Alpenvereinspräsident und Bergmärchen: 430 Hütten und 50.000 Kilometer Weg
Sommerurlaub in Österreich boomt, 80 Millionen Nächtigungen (Mai bis Oktober) waren neuer Rekord. Ein Hauptmotiv dafür sind die Berge. Deren alpine Infrastruktur – von Wegen bis Hütten – wird zum großen Teil durch alpine Vereine geleistet. Sie betreiben 430 Hütten und erhalten 50.000 Kilometer Wege und Steige. Ohne sie wäre Alpinurlaub nicht möglich, das touristische Sommermärchen liegt damit auch in den Händen Tausender ehrenamtlicher Helfer.
Doppelt an der Spitze dieser Leistungen steht ab übermorgen der Umweltökonom Gerald Dunkel-Schwarzenberger. Am 1. Jänner übernimmt er die Präsidentschaft des Österreichischen Alpenvereins, dem alpinen Dachverband steht er schon länger vor. Er glaubt, dass sich in den Bergen vieles verändern wird.
KURIER: Alleine im Alpenverein arbeiten jährlich 25.000 Ehrenamtliche mehr als eineinhalb Millionen Stunden. Was wäre der Bergsommer ohne sie?
Dunkel-Schwarzenberger: 65 Prozent der Sommerurlauber geben an, dass sie zum Wandern kommen, für viele sei es sogar die Hauptaktivität. Als Präsident des VAVÖ (Verband alpiner Vereine Österreichs) betone ich, dass es eine wertschätzende Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Tourismus und dem Sportministerium gibt. Aber auch, dass die Förderungen natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Alleine der Alpenverein investiert zehn bis zwölf Millionen Euro jährlich in alpine Infrastruktur und 80 Prozent davon kommen aus Mitgliedsbeiträgen. Unsere Ehrenamtlichen leisten die Arbeit von tausend Vollzeitstellen. Sie machen das alle sehr gerne. Aber um neue Herausforderungen zu bestreiten, ist die öffentliche Hand gefordert.
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Was sind diese neuen Herausforderungen?
Die Wegewartung wird mit Zunahme der Extremwetterereignisse aufwendiger. Wir müssen uns fragen, welche alpine Infrastruktur in 20 Jahren notwendig ist, was erhalten werden soll, was neu gedacht sein muss. Wegen der Altersstruktur vieler Hütten gibt es immensen Investitionsbedarf, die eine oder andere wird gar nicht zu erhalten sein. Also wo brauchen wir welche Hütten, die auch sicher zu erreichen sind? Dazu muss man bedenken, dass der Bau auf dem Berg dreimal so viel kostet wie im Tal.
Gibt es nicht ohnehin schon zu viele alpine Wanderwegautobahnen?
Den Begriff würde ich nicht verwenden, aber ja, wir alpinen Vereine sind verstärkt abseits der ganz großen Hotspots aktiv. Wege stehen allen zur Verfügung, aber bei den Hotspots sind die Tourismusverbände aktiv. In höheren Regionen die alpinen Vereine. Uns muss es um naturverträglichen Bergtourismus gehen, das ist Teil unserer Satzung.
In der steht als Ziel neben der Förderung des alpinen Bergsports aber auch die Erhaltung der Ursprünglichkeit und Schönheit der Bergwelt. Ein Widerspruch.
Wir begeistern Menschen für die Berge und bilden sie in Kursen und Angeboten weiter. Sie alle sind Multiplikatoren, nicht nur was Sicherheit auf dem Berg betrifft, sondern auch Respekt vor Berg und Natur. Unsere Initiative „Bergsteigerdörfer“ mit besonders nachhaltiger Entwicklung ohne große technische Neuerungen zeigt zum Beispiel, wohin unser Weg für sanften Tourismus führt.
Braucht es dafür künftig vielleicht Beschränkungen oder strengere Regeln?
Ich lehne Verpflichtungen in diese Richtung ab. Als alpine Vereine sind wir zunächst dafür da, dass Menschen die alpine Natur erfahren können. Wir haben einen Bildungsauftrag, die Menschen dafür vorzubereiten, zu informieren, aber auch zu sensibilisieren, was sich da draußen abspielt. Auch über neue Wege wie E-Learning, oder zum Beispiel unserer Veranstaltung „Lawinenupdate“: Die gibt es auch live auf Youtube. Wir hatten 50.000 Zugriffe in wenigen Wochen, das ist unglaublich.
Ist die Kapazitätsgrenze auf dem Berg also noch nicht erreicht?
Bergsport bringt Menschen großen Nutzen, körperlich wie psychisch – das haben wir während der Pandemie gesehen. Und wer den Berg erlebt, richtet vielleicht sein restliches Leben naturverträglicher aus, das ist meine Zuversicht. Es gibt hier viel Platz und mit dem nötigen Respekt hat jeder Mensch die Möglichkeit, seine Erfahrungen zu machen. Aber wir sind sicher gefordert – im Sinne einer Besucherlenkung – und müssen mehr die Vorzüge der nicht so bekannten Routen herausstreichen.
Ist noch mehr Tourismus mit Klimaschutz vereinbar?
Die alpinen Vereine widmen sich dem Klimaschutz intensiv – schon aus Eigennutz. In den Alpen ist der Temperaturanstieg doppelt so hoch, da haben wir die zwei Grad längst überschritten. Man sieht es ja: Gletscher verändern sich rasant; unter Hütten schwindet der Permafrost; manche Wege brechen weg; es gibt vermehrt Steinschlag, einige Berge können gar nicht mehr begangen werden. Und was viele nicht glauben können, ist die Trockenheit in den Bergen. Auf den Hütten haben wir massive Probleme, nicht nur mit Trinkwasser, auch mit Brauchwasser – es wurde viel in kleine Wasserkraftanlagen investiert. Und jetzt fehlt der kontinuierliche Niederschlag – abseits des Extremwetters. Manche Hütten mussten deswegen früher sperren, manche müssen deswegen ganz sperren.
Vielleicht muss man den aufgekommenen Bergluxus wieder zurückfahren?
Ja, man wird nicht überall duschen können. Dazu haben wir gerade eine Initiative mit dem Waschlappen als Symbol. Da geht es nicht nur um das weniger verfügbare Wasser in den Hütten, wir wollen zum Nachdenken anregen: Nutzt das Wasser bestmöglich, es ist keine Selbstverständlichkeit!
Zuletzt war der Hüttentrend eher zu Dusche, Zimmer und Weinkarte. Ist Verzicht generell notwendig, um dem Klimawandel zu begegnen?
Ich spüre schon ein behutsames Zurück zum Wesentlichen. Es geht dabei nicht nur um Verzicht, sondern um Rückbesinnung – und die hat etwas Positives. Wenn ich zum Beispiel auf Hütten wieder einfacher werde, auf Regionalität achte, auch vegetarische Bergsteigeressen anbiete. Oder die Mobilität: Wenn man sich zur Bergtour nicht am Parkplatz trifft, sondern gemeinsam öffentlich anreist, stressfrei, und die Tour nicht den gleichen Start- wie Endpunkt haben muss. Die öffentliche Anreise kann man in unserem Tourenportal (alpenvereinaktiv.com) übrigens auswählen. Wie auch barrierefreie Touren. Inklusion ist mir wichtig, nicht nur weil ich einen Sohn mit Down-Syndrom habe, sondern weil die Berge allen offen stehen sollen. Es ist faszinierend, wie wir über das Klettern Menschen im Rollstuhl ansprechen können. Klettern ist wirklich fast jedem möglich.
Die Berge sind für alle da.
Absolut ja. Die Gruppe der Menschen, die auf den Berg wollen, hat sich erweitert, viele drängen hinaus, weil sie den Mehrwert erkennen. Auch viele Junge. Das hat mit neuen Sportarten zu tun, ja, auch mit Mountainbiken oder Sportklettern, auch in der Halle. Denn mittlerweile ist Wien der mit Abstand größte Landesverband des Alpenvereins.
Zur Person
Der Steirer Gerald Dunkel-Schwarzenberger (geb. 1970 in Trieben) studierte in Graz, heute ist der Umweltökonom als Geschäftsführer eines Unternehmens in intern. Klimaschutzprojekten tätig. Er lebt mit seiner Frau, einer Salzburgerin, Tochter und Sohn in Langenlois (NÖ). Im Österreichischen Alpenverein (ÖAV) war er Jugendleiter, Tourenführer und seit 2008 Vizepräsident. Ab 1. Jänner ist er Präsident.
430 Hütten mit 17.000 Schlafplätzen und 50.000 Kilometer Wege werden von den zwölf Vereinen im „Verband alpiner Vereine Österreichs“ (VAVÖ) betreut. Zusammen haben sie etwa 920.000 Mitglieder.
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