KURIER: Der Alpenverein bezieht immer wieder sehr klare Positionen zu extrem umstrittenen Projekten – seien es Kraftwerke oder Erweiterungen von Skigebieten. Ist das intern immer unumstritten oder wird da gerungen?
Andreas Ermacora: Umstritten ist das falsche Wort. Aber wir haben insofern Diskussionsbedarf, weil wir im Verein doch einige Fundamentalisten haben, die noch viel weiter gehen würden. Ich war immer bekannt dafür, dass ich versucht habe, die Wortwahl so zu treffen, dass man den anderen leben lässt, um weiter eine Gesprächsbasis zu haben.
Umstritten ist also weniger die Haltung, sondern eher, wie man diese formuliert?
Genau. Ich habe immer gesagt, wir müssen aufpassen, dass wir nicht komplett als Verhinderer dastehen, weil das ja immer ein negatives Image ist. Man muss auch schauen, dass man gestaltet. Bei uns gibt es auch keine Schnellschüsse. Wenn ein vereinspolitisch wichtiges Thema erarbeitet wird, dann passiert das nicht im stillen Kämmerchen, sondern das wird in ganz Österreich besprochen. Wir sind hier sehr föderalistisch aufgebaut. Wir haben 196 Sektionen und die Sektionen sind die Mitglieder des Gesamtvereins.
Wie ist das, wenn der Alpenverein sich in die politische Auseinandersetzung einbringt. Ist er da mit über 700.000 Mitgliedern auch eine politische Macht?
Ja. Sicher. Ich merke zunehmend, dass wir gehört werden, weil die Positionen, die wir einnehmen, inzwischen zu einem großen Teil auch von der Bevölkerung getragen werden, bin ich der Meinung. Und gerade was Gletscherausbau oder immer neue Skigebiete und Erweiterungen betrifft, haben wir immer gesagt: Es gibt gerade in Tirol ein Skigebiets- und Seilbahnprogramm. Da gibt es Flächen, die gewidmet sind und innerhalb dieser Flächen sind wir mit allem einverstanden. Aber nicht mit mehr.
Ski-Weltcup im Oktober?
Wir hatten gerade eine hitzige Debatte um den Skirennauftakt am Ötztaler Gletscher. Wie sehen Sie das?
Ich verstehe natürlich, dass die Verantwortlichen an einem Plan, den sie vor zwei Jahren entwickelt haben, festhalten, weil das einfach so ein riesiger logistischer Aufwand ist. Aber für die Zukunft, da bin ich ganz bei den Kritikern, wird man das wirklich hinterfragen müssen, ob es tatsächlich notwendig ist, dass man im Oktober Ski fährt. Die letzten Jahre haben einfach gezeigt, dass es im Oktober aufgrund der Klimaveränderung zu warm ist.
Ist man bei manchen Kontroversen als Präsident mitunter verwundert, in was man da hineingeraten ist? Ich denke jetzt an diese Gipfelkreuz-Debatte.
Da wurde ein Nicht-Thema im Sommer plötzlich zu so einem Thema, dass sogar der Landwirtschaftsminister sich dazu äußern musste, weil ich gesagt habe, dass wir der Meinung sind, wir haben Gipfelkreuze auf allen markanten Erhebungen und es braucht keine neuen mehr. Vielleicht hätte ich ein bisschen klarer sagen sollen, dass sich das nur auf jene Berge beziehen kann, die im Eigentum des Alpenvereins sind. Das sind ja Tausende. Aber natürlich, wenn der große Alpenverein was sagt, hat das schon Gewicht.
Aber man sieht auch, dass Berge Emotionen wecken.
Auf jeden Fall. Das sieht man ja bei Unfällen. Wenn ein Lawinenunfall passiert, steht das fünf Tage in der Zeitung. Wenn auf der Straße etwas passiert, ist das eher eine kleinere Notiz. Die Berge wecken Emotion in alle Richtungen. Das ist auch das Schöne.
Wandern, Klettern und vieles mehr ist in den Alpen ein Massenphänomen. Ist der Alpenverein mit dafür verantwortlich, dass sich so viel in den Bergen abspielt?
Wir wissen, dass die Menschen in die Berge strömen. Einerseits wollen wird die Ursprünglichkeit und Schönheit der Bergwelt erhalten, so wie es in unserer Satzung steht. Und andererseits den alpinen Bergsport fördern, wie es in der Satzung steht. Das ist auch immer ein bisschen eine Gratwanderung für mich als Präsident, einen guten Mittelweg in der Diskussion zu finden.
Der Klimawandel setzt dem Wegenetz des Alpenvereins in den Bergen stark zu. Wie problematisch ist das?
Irgendwann in den nächsten Jahren wird man die Frage stellen müssen, ob man den einen oder anderen Weg nicht zur Gänze auflässt. Das wäre natürlich das Letzte, weil dann auch die Hütte nicht mehr erreichbar ist. Aber wir können nicht ununterbrochen Stege und Hängebrücken im Hochgebirge errichten, nur um jetzt da noch weiterzukommen.
Bergretter beklagen, dass sie sehr viele Menschen vom Berg holen müssen, die sich einfach aus reiner Überforderung in Notsituationen bringen. Fehlt die Ehrfurcht vor alpinen Gefahren?
Das ist sicher immer noch ein Problem und das ist auch eine der Aufgaben der alpinen Vereine, ihre Mitglieder zu guten und sicheren Bergsteigern zu erziehen. Das ist bei über 700.000 Leuten nicht so leicht, aber wir haben ein irres Kursangebot. Es wird am Alpenverein liegen, noch mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es im Gebirge anders zugeht.
Zur Person: Andreas Ermacora
Experte für Alpinrecht Der Innsbrucker Rechtsanwalt Andreas Ermacora ist auch beruflich den Bergen verbunden. Der 63-jährige Jurist gilt als ausgewiesener Experte für Sport- und Alpinrecht.
Vereinskarriere Mit Ende des Jahres übergibt er das ehrenamtliche Amt des ÖAV-Präsidenten, das er im Jahr 2013 angetreten hat und damit zu Stimme und Gesicht des Vereins wurde, an den Niederösterreicher Gerald Dunkel-Schwarzenberger. Ermacora war seit 1991 Mitglied des Präsidiums des Österreichischen Alpenvereins.
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