Pädagoge: "Schule betrifft uns alle"

Pädagoge: "Schule betrifft uns alle"
Der Pädagoge Erwin Rauscher über falsche Standes­dünkel, Schüler als Nachhilfelehrer und mutige Lehrer.

Er kennt die Theorie und die Praxis: Erwin Rauscher war Lehrer und ist jetzt Rektor an der Pädagogischen Hochschule St. Pölten und für die Ausbildung kommender Lehrergenerationen verantwortlich. Das "Raunzen über die Schule" nervt ihn. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben: "Schule sind Wir. Bessermachen statt Schlechtreden."

KURIER: Prof. Rauscher, was sollen wir besser machen?

Erwin Rauscher: Es wird viel über Schulreformen diskutiert. Dabei geht es meist nur um Strukturreformen. Um die Schule besser zu machen, wäre es aber wichtig, dass die Menschen in der Schule sich mehr mit dem identifizieren, was sie tun, und so Verantwortung übernehmen. Denn: Wer mitverantwortlich ist, ist kreativer, innovativer und neugieriger.

Müssen Lehrer mehr Verantwortung übernehmen?

Ich meine alle Schulpartner, also Eltern, Schüler und Lehrer. Aktive Elternmitverantwortung wird vernachlässigt, dabei ist sie die größte Rohstoffreserve schulischer Entwicklung – etwa bei der Wahl der angebotenen Fremdsprachen, bei Klassenteilungen oder bei der Gestaltung von Schulrandwochen. Die Schüler sind aufgerufen, Verantwortung nicht nur als Schülervertreter zu übernehmen, sondern beim Lernen selbst. Mein Schlagwort: Klasseninterne und -übergreifende "Nächstenhilfe" statt teurer Nachhilfe. Dafür gibt es erfolgreiche Modelle. Wenn Schüler sich als Mitkonstrukteure sehen, steigen Leistungen und Zufriedenheit. Für Lehrer wird es unverzichtbar, sich für den Erfolg ihres Unterrichts selbst verantwortlich zu fühlen. Sie müssen auf Leistungsabfall reagieren, Unterricht gemeinsam und fachorientiert planen usw.

Sie nehmen aber nicht nur Schulpartner in die Pflicht.

Ja, auch Politik, Medien und Interessensvertreter. Zu viele delegieren Verantwortung an andere. Meine Botschaft: Schule betrifft uns alle, weshalb wir alle aufgerufen sind, Verantwortung zu übernehmen. Auch sollten wir mit dem Polarisieren aufhören. Es gibt nicht nur "Entweder – oder". Es braucht oft ein "Sowohl – als auch."

Sie meinen die Diskussion um die Gesamtschule?

Auch diese. Wir müssen aus der Pattsituation heraus. Viele plädieren dafür, dass alle Schüler in der Unterstufe gemeinsam unterrichtet werden. Andere, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich schlage für die Unterstufe einen dritten Weg vor: Bereits ab der Unterstufe soll es zwei Schienen geben, die gleichwertig sind und mit Brücken zueinander. Die AHS soll sich eher auf die Studierfähigkeit der jungen Menschen konzentrieren, die Neue Mittelschule soll berufsorientierend ausbilden – als "reale" Schiene. Dabei soll keine Schule, so wie jetzt das Gymnasium, schwierige Kinder einfach abschieben und beeinträchtigte oder nicht muttersprachig deutsche abweisen können. In der Oberstufe gibt es schon jetzt zwei gleichwertige Säulen – die berufs- und die allgemeinbildende.

Eltern geben ihr Kind aber lieber in eine AHS, weil diese ein höheres Ansehen hat.

Wir müssen aufhören mit diesem Nimbus des "Höheren" gegenüber dem "Niederen". Das ist falscher Standesdünkel. Bekennen wir uns zur heterogenen Gesellschaft. Alle Menschen sind gleich viel wert, aber nicht gleich. Warum zählt ein Maturant mehr als ein Lehrling? Nicht nur die Matura macht "reif" fürs Leben.

Aber Gesamtschule bedeutet doch, dass jedes Kind optimal gefördert wird.

Wenn das gelingt, hätte ich nichts dagegen. Das Problem wird sein: Wenn wir die Gesamtschule einführen, regen sich alle auf, die in die ehemalige Hauptschule gehen müssen. Die Schüler der Schule, die vorher eine AHS war, fühlen sich dann weiterhin als die "Besseren".

Wie kann man sich den Unterricht in solchen "realen" und "gymnasialen" Schulen vorstellen?

Ich habe als Lehrer vieles selber ausprobiert. Ich schlage vor, den Unterricht so zu organisieren, dass ausreichend Zeit bleibt für die unverzichtbaren Grundlagen, also Lesen, Rechnen, Schreiben und all das, was heute zur Allgemeinbildung gehört. Dazu werden in Form von Werkstattfächern zusätzlich jene Kompetenzen geschult, die die Jugendlichen heute brauchen.

Thema Selbstverantwortung: Brauchen Schulen mehr Autonomie?

Schulen brauchen den Mut, selbstverantwortlich die Autonomie zu gestalten. Darin gilt es sie zu stärken. Je mehr Lehrer von dem tun können, was sie selbst tun wollen, desto mehr machen sie all das besser, was sie tun müssen. Viele werden aber durch einen hohen Rechtfertigungsdruck gelähmt.

Sie sprechen hier die Bildungsstandards an.

Standards sind notwendig, aber längst nicht hinreichend für guten Unterricht. Bessere Lernergebnisse erreichen wir weniger, indem wir die Schüler testen, sondern indem wir ihre Eigenverantwortung und ihren Ehrgeiz wecken. Und wir sollten Wege finden, die Eltern in diese Mitverantwortung stärker einzubinden.

INFO: Am 5. September, 19 Uhr diskutiert Erwin Rauscher in der Buchhandlung Thalia, Landstraße Hauptstr.21-22 in 1030 Wien.

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