Nur wer Fehler macht, lernt auch

Bildungsdiskussion im Haus der Industrie
Warum sich der Unterricht an den Interessen des Kindes orientieren sollte.

Jedes Kind ist anders anders. Ein schöner Titel für eine Veranstaltung. Die Industriellenvereinigung wählte ihn, um für mehr Individualisierung im Unterricht zu werben. Also dafür, dass die Schule jedem Kind gerecht wird. Wie das in der Praxis aussehen kann, darüber berichteten Lehrer, Direktoren und Schüler am Montag im Haus der Industrie in Wien (siehe auch Bericht unten).

So erläuterte etwa Erwin Neubacher aus Salzburg, dass an seiner Schule das Wahlpflichtfach "dat – design, architektur, technik" eingeführt wurde. Die Schüler lernen, indem sie handeln. Ein konkretes Ziel wird nicht vorgegeben. Georg Neuhauser berichtete von "cool – cooperatives, offenes Lernen": Lehrer sind Coaches, die ihre Schüler begleiten. Allesamt gute Ansätze. Doch noch immer kein Alltag in Österreichs Schulen.

Nur wer Fehler macht, lernt auch
26.05.2014, Wien, Haus der Industrie, Pudiumsdiskussion Bildungsreform

In der anschließenden Experten-Diskussion fragte deshalb Martina Salomon (Stv. Chefredakteurin des KURIER), warum es so lange dauere, bis sich im Schulsystem etwas ändern würde. Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek verwies auf Finnland: "Auch dort hat es 30 Jahre gedauert, bis sich etwas geändert hat." Sie wolle aber nicht nur nach Skandinavien schauen: "Polen und Portugal haben gezeigt, wie man das Schulsystem verbessern kann. Letztere haben das sogar geschafft, obwohl ihr Budget um 30 Prozent gekürzt wurde." Ein entscheidendes Problem sei das föderale System, das Änderungen erschwere.

Nur wer Fehler macht, lernt auch
26.05.2014, Wien, Haus der Industrie, Pudiumsdiskussion Bildungsreform
Erziehungswissenschaftler und Filmemacher Reinhard Kahl verwiesen darauf, dass die Finnen die zentrale Schulbehörde aufgelöst und durch kommunale Behörden ersetzt hätten. Kahl machte nicht nur die Politik für fehlende Reformen verantwortlich: "Wir wissen zwar alle mehr über Pädagogik als vor 30 Jahren, aber wir glauben unserem Wissen nicht." Ein Grund, warum der Frontalunterricht noch immer im Vordergrund stehe und alle auf gleich gebracht werden.

PH-Rektor Andreas Schnider mahnt deshalb ein, dass die Schulen zu lernenden Systemen werden müssen, wenn sie den Begabungen der Kinder gerecht werden wollen. Nur nach Lehrplan vorzugehen, sei nicht zeitgemäß. Schüler sollten nicht nur Stoff auswendig lernen, sondern Mechanismen verstehen, indem sie ausprobieren.

Wie "praktisches Tun" aussehen kann, damit beschäftigt sich Konrad Krainer von IMST (Innovationen Machen Schulen Top). Dieses Unterstützungssystem hilft Lehrern, naturwissenschaftliche Fächer anschaulich zu vermitteln, indem z. B. Schüler selbst Versuche machen.

"Forschendes Lernen bedeutet immer auch, dass ich Fehler machen darf", sagt Krainer. Schließlich lernt man durch Irrtümer. Seine Forderung also: "Der Rotstift muss weg." Der Vorteil des forschenden Lernens sei, dass Kinder dabei Erfolgserlebnisse haben. "Nur so kann ich das Selbstbewusstsein des Kindes stärken."

Genau das ist es auch, was ein junger Mensch in der Arbeitswelt benötigt. Karin Exner-Wöhrer (Salzburger Aluminium AG) bestätigt das: "Die Industrie braucht selbstbewusste Kinder. Alles andere können wir ihnen beibringen. Zur Not auch das Schreiben und Lesen."

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26.05.2014, Wien, Haus der Industrie, Pudiumsdiskussion Bildungsreform

Wie man Individualisierung in der Praxis umsetzen kann, weiß Klaus Tasch, Direktor der Grazer Klusemannstraße – ausgezeichnet als Österreichs beste Schule: "Wir arbeiten nicht nur den Lehrplan ab, sondern wir arbeiten Projekte aus, mit denen die Schüler die Lerninhalte praktisch begreifen und die Lernziele erreichen. Dazu gehört, dass wir das strenge Stundenkorsett auflösen."

In einem waren sich die Diskutanten einig: Schule gelingt nur, wenn Lehrer gut und motiviert sind. So wie in Finnland: Dort müssen sich die Besten in einem Auswahlverfahren auszeichnen.

Felix Oblin freut sich jeden Tag auf die Schule: "Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn ich abends mit dem Wissen nach Hause komme, dass ich wieder etwas Neues gelernt habe", sagt der 16-jährige Schüler der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien, Österreichs einziger Schule für Hochbegabte.

Besonders angetan ist Felix Oblin vom guten Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern an seinem Gymnasium: "Wir haben ein fast freundschaftliches Verhältnis zueinander. Die Lehrer sind sehr engagiert und gehen auf unsere Anliegen und Wünsche ein. Sie sehen sich nicht als Lehrende, sondern als Lernende, die immer wieder Neues entdecken wollen."

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26.05.2014, Wien, Haus der Industrie, Pudiumsdiskussion Bildungsreform

Lust am Lernen hat auch Alexander Sanchez de la Cerda, der 16-jährige Schulkollege von Felix. "Ich will meine Potenziale voll entfalten", sagt er. Das Modulsystem an der Schule ermöglicht es ihm, dass er seine Fächer so zusammenstellen kann, wie er das sich wünscht. Und da er sehr wissbegierig ist, hat er oft einen vollen Terminkalender: "Ich kann mir richtig viel aufladen. An manchen Tagen habe ich von 10 bis 19 Uhr durchgehend Unterricht – ohne lange Mittagspause. Aber das macht nichts. Weil mich der Stoff sehr interessiert, macht mir so ein Tag sogar große Freude."

Ein großes Talent haben Alexander und Felix gemein: Sie organisieren und managen gerne. Alexander hat das Schulfest organisiert und Felix eine Reise zum Thema UNO. Sie lernen also, indem sie tun. Ihr Schule gibt ihnen die Möglichkeit dazu.

Ziele, was sie nach der Schule machen wollen, haben sie auch schon. Oder zumindest einen Traum: "Es wäre eine wunderschöne Sache, wenn ich einmal in Boston am MIT in den USA studieren könnte", sagt Alexander Sanchez de la Cerda. "Auf jeden Fall will ich einmal im Ausland studieren."

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