"Nicht schrill sprechen": Konzern legt sexistischen Verhaltenskodex vor

Symbolbild
In einer Präsentation von Ernst & Young, die der Huffington Post vorliegt, wurde Frauen nahegelegt, keine Vieraugengespräche mit männlichen Kollegen zu führen.

Es sind bizarre Unterlagen, die Emily Peck, ihres Zeichens Journalistin bei der Huffington Post, am Montag zusammen mit einem Artikel veröffentlichte. Die Dokumente, die Peck vorliegen, enthalten Material der global agierenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young Mitarbeiterinnen.

Inhaltlich dreht sich darin alles um spezifische Verhaltensregeln, die der US-amerikanische Ableger des Unternehmens seinen Mitarbeiterinnen nahelegt.

Haarschnitt bis Stimme

Etwa, dass sie nicht mit schriller Stimme sprechen, vorteilhafte Kleidung tragen und "manikürte Fingernägel" haben sollten. Während Miniröcke tabu seien, sei ein "guter Haarschnitt" jedenfalls erwünscht. Hierbei handelt es sich um Auszüge jener Präsentation, die rund 30 Mitarbeiterinnen des Konzerns im Juni des vergangenen Jahres bei einer Schulung im neuen Büro des Konzerns in Heboken, New Jersey, vorgestellt wurde, schreibt Peck.

Frauen sind "zärtlich"

Vor dem Workshop hätten die Frauen auch ein "Männlichkeits/Weiblichkeits-Arbeitsblatt" erhalten, auf dem sie einordnen sollten, ob sie sowohl am Arbeitsplatz als auch außerhalb des Büros eher an stereotypen männlichen und weiblichen Merkmalen festhielten. Unter den sogenannten männlichen Merkmalen würden "aggressiv", "ambitioniert", "analytisch", "Führungsqualitäten" und "starke Persönlichkeit" gelistet. Die den angeführten weiblichen Merkmalen zählten "zärtlich", "fröhlich", "kindlich", "mitfühlend", "leichtgläubig" und "kinderliebend". Keines der weiblichen Merkmale betraf Führungsqualitäten, obwohl dies als Schwerpunkt der Schulung ausgewiesen war.

Besagte Präsentation umfasst in Summe 55 Seiten. Zugespielt wurde sie der Huffington Post von einer Teilnehmerin des Schulungsseminars – die laut eigenen Angaben von deren Inhalt "entsetzt" gewesen sei. "Gespickt mit abgehobenen Ratschlägen, konzentrierte sich die Präsentation darauf, wie Frauen sich an einem von Männern dominierten Arbeitsplatz verhalten müssen", beschreibt Peck.

Erwähnenswert: Besagte Schulung fand im Lichte der MeToo-Bewegung statt, die Ende 2017 Fahrt aufnahm und auch den globalen gesellschaftspolitischen Diskurs des Folgejahres dominierte. Zudem sah sich auch Ernst & Young selbst mit Sexismusvorwürfen konfrontiert.

Einige Monate zuvor geriet das Unternehmen in die Schlagzeilen, weil es eine von Jessica Casucci, einer Partnerin der Firma, eingereichte Diskriminierungsbeschwerde beigelegt hatte. Casucci hatte angegeben von einem männlichen Business-Partner sexuell belästigt worden zu sein. Der Vorfall hatte sich Jahre zuvor ereignet und Casucci beschwerte sich intern. Ernst & Young entließ den Mann erst, nachdem sie an die Öffentlichkeit ging.

"Bei der Veranstaltung im Juni 2018 wurde jedoch keines dieser Themen angesprochen. Der Fokus lag auf der Selbstverbesserung. Für Frauen", schreibt Peck mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen.

"Aus dem Zusammenhang gerissen"

Nachdem sich die Huffington Post Anfang Oktober dieses Jahres beim Konzern nach der Schulung erkundigte, teilte man mit, dass der Kurs seit Monaten evaluiert werde und die Veranstaltung im Juni 2018 das letzte Mal stattgefunden habe. Besagte Version der Schulung "wird in der jetzigen Form nicht mehr angeboten", hieß es. Zu etwaigen Änderungen machte man keine näheren Angaben.

Die Schulung sei jedoch lediglich eine von vielen, die die Firma Männern und Frauen anbiete. Zudem sei die Präsentation von einem "externen Anbieter" und auf Nachfrage einiger Mitarbeiterinnen erstellt worden.

Den Zugang der Huffington Post zu den Dokumenten kritisierte man: "Alle isolierten Aspekte werden völlig aus dem Zusammenhang gerissen", hieß es in einer Erklärung. Das Unternehmen gab auch an, das Feedback der Frauen, die an dem Programm teilgenommen hatten, überprüft zu haben. Man habe festgestellt, dass die Teilnehmerinnen dieses durchwegs positiv bewertet hatten. Als beweis fügte man Zitate aus den Bewertungsbögen der Frauen hinzu.

Die Informantin der Huffington Post, die das Unternehmen mittlerweile verlassen hat (dennoch anonym bleiben will), zeichnet in ihren Schilderungen ein anderes Bild. Demnach sei das Seminar Mitarbeiterinnen als Programm angepriesen worden, welches diese innerhalb des Unternehmens zu Erfolg führen werde.

Man habe ihr jedoch vielmehr nahegelegt, "keine Haut zu zeigen", wenn sie wolle, dass Männer sich auf den Inhalt ihrer Wortspenden konzentrieren. Der Rat habe ihr das Gefühl gegeben, "wie ein Stück Fleisch zu sein", erinnert sie sich.

Im Sommer dieses Jahres legten US-Forscher im Fachjournal Plos One erstmals eine Analyse dazu vor: Insgesamt hatten sie mehr als 500 US-Amerikanerinnen im Alter von 25 bis 45 Jahren zu Vorfällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und ihrem Selbstwertgefühl befragt – die eine Hälfte 2016, also vor #MeToo, die andere 2018, also ein Jahr danach.

87 Prozent berichteten, mindestens einmal sexuell belästigt worden zu sein – schwere Übergriffe wie sexuelle Nötigung oder Begrapschen kamen in der Gruppe jener, die nach Ausbrechen der #MeToo-Debatte befragt wurden, aber deutlich seltener vor. Außerdem waren in dieser Gruppe viel mehr Frauen bereit, Vorfälle zu melden, gestärkt durch die Solidarität und die Erfahrungen anderer, während 2016 Angst, Scham sowie Schuldgefühle bei weiblichen Opfern vorherrschend waren.

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