„Nicht mit Betonierern verhandeln“

Interview mit Andreas Salcher (Bildungsexperte, Unternehmensberater und Autor) und Achim Kasper (Cisco, General Manager Austria) , geführt von Gerald Reischl (Futurezone)
Andreas Salcher über Autoren, die sich mit Bildung beschäftigen, und über Reformverweigerer.

Über Schule redet jeder. Auch der Philosoph Richard David Precht hat jetzt seine Thesen über das Bildungssystem veröffentlicht (siehe unten). Doch bringen uns solche Bücher weiter? Warum tun wir uns mit Reformen schwer? Ein Gespräch mit Andreas Salcher, der mit dem Buch „Der talentierte Schüler und seine Feinde“ vor Jahren eine Bildungsdebatte angefacht hat.

KURIER: Die „Welt“ bezeichnet Prechts neues Buch als sinnloses Ärgernis. Ist es das?

Andreas Salcher: Im Gegenteil. Precht ist sehr bekannt und es ist gut, dass jemand mit seinem Stellenwert sich zur Bildung äußert. Auch wenn er nichts Neues sagt. Hirnforscher, Intellektuelle, gute Lehrer und interessierte Eltern wissen schon lange, dass sich im Bildungssystem Grundsätzliches ändern muss. Solche Reformen wurden übrigens immer von außen angestoßen. Aus dem System heraus gab es stets heftige Widerstände. Diese müssen von außen gebrochen werden.

In welcher Form ?

Ein Blick nach Dänemark zeigt, wie es geht. Dort sagen Bildungsverantwortliche: „Wir wollen das alte System brechen. Die Schulen müssen für die Schüler da sein. Direktoren müssen autonom Entscheidungen treffen.“

Was könnten wir daraus lernen?

Die Politik sollte aufhören, mit der Gewerkschaft über ein neues Dienstrecht zu reden. Es ist naiv zu glauben, mit Betonierern könne man verhandeln. Auch die Berliner Mauer wurde nicht „weg verhandelt“, sondern weg demonstriert. Der Nationalrat soll ein modernes Dienstrecht beschließen. Fertig.

Warum kommt denn von guten Lehrern so wenig Protest?

Der Grund ist ein „Stockholm-Syndrom der Solidarität“. Gute Lehrer lassen sich von mittelmäßigen Kollegen in Geiselhaft nehmen und verteidigen sie nach außen.

Haben Sie dennoch Hoffnung, dass sich bald etwas ändert?

Ja, in der Geschichte gab es immer Widerstände gegen Reformen. Doch aufhalten lassen sie sich nicht. Ein Beispiel ist der Umweltschutz. Irgendwann war der Druck so groß und es gab Reformen. So wird es auch bei uns sein. Ich weiß, dass der Unmut über das System bei allen groß ist: Bei Eltern, Schülern, Lehrer, Politikern, Wirtschaftstreibenden usw. Die Revolution im Bildungssystem kommt. Garantiert.

Er ist populärer Philosoph, Bestsellerautor und Vater. Da ist es nur logisch, dass sich Richard David Precht mit der Schule beschäftigt und seine Analyse in ein Buch packt: „Anna, die Schule und der liebe Gott“ heißt es. Es ist diese Woche erschienen.

Dem Schulsystem stellt er eine denkbar schlechte Diagnose aus: „Wir überfrachten die Kinder mit zu viel Wissen, das dann nur oberflächlich angekratzt wird. Statt Kindern zu helfen, Neugier zu erwerben, dressieren wir sie zu langweiligen Anpassern.“

Die Schule muss sich komplett verändern. Wie das gelingen kann, verrät Precht in seinem Buch. Hier ein Auszug seiner Vorschläge:

„Nicht mit Betonierern verhandeln“
Anna die Schule und der liebe Gott von Richard David Precht
MotivierenKinder wollen lernen und gehen gerne auf Entdeckungsreise. Diese Motivation aufrecht zu erhalten ist Aufgabe der Schule.

Projekte statt Fächer Vernetzt denken ist wichtig. Das lernen Schüler nicht im Fach-, sondern im Projektunterricht. Jahrgangsklassen widersprechen der Tatsache, dass sich Kinder unterschiedlich schnell entwickeln.

Lehrer Nur dort, wo Schüler eine gute Beziehung zum Lehrer haben, gelingt die Schule. Deshalb ist es wichtig, die Geeignetsten für den Beruf zu gewinnen. Zudem sollte man Menschen aus anderen Berufszweigen in die Klassenzimmer holen.

Noten abschaffen Schriftliche Beurteilungen über den Lern- und Entwicklungsweg des Schülers sagen mehr aus.

Ganztägig Ganztagsunterricht und Kindergartenpflicht ab drei Jahren wären ein Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit.

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