Mit Literatur eine andere Welt erfahren

2. April: Internationaler Kinderbuchtag 1962 von der IBBY (International Board on Books for Young People) ins Leben gerufen, will man vorrangig Kinder und Jugendliche zum Lesen qualitativ hochwertiger Kinderbücher animieren.
Autoren und Intellektuelle über den Wert der Bücher im Unterricht.

Österreichs Literaten sind sehr besorgt. Sie fürchten, dass die Literatur aus dem Unterricht verschwindet. Schuld daran ist die Zentralmatura: Literatur kommt hier kaum vor – und wenn, dann als Ideengeber für nichtliterarische Texte wie Leserbriefe oder Erörterungen. Die Folge: Im Deutschunterricht werden kaum mehr ganze Bücher gelesen. Doch es gibt viele gute Gründe, zu lesen.

Für die Wiener Germanistin und Bachmannpreisjurorin Daniela Strigl ist es „der Sinn von Allgemeinbildung, dass man sich mit Künsten bekannt macht. Gerade in Österreich, das sich als Kulturland versteht, ist es wichtig, junge Menschen frühzeitig in die verschiedenen Kultursparten wie Musik, Bildende Kunst oder die Literatur einzuführen.“

Wer Bücher liest, erhalte „eine Anregung für die eigene Sprache. Der Leser erfährt über den Text, was Sprache sein kann. Es schärft die Wahrnehmungsfähigkeit für eine aus dem Alltag gehobene Sprache. Literatur verbessert nicht nur unseren Sprachschatz. Sie lässt uns in eine andere Welt eintauchen, eine Fantasiereise, die den Horizont erweitert.“

Welche Argumente es für das Lesen guter Bücher gibt und was ein Maturant gelesen haben sollte – das fragte der KURIER österreichische Autoren und Intellektuelle. Es ist ihr Plädoyer fürs Lesen.

Karl-Markus Gauß, Schriftsteller und Essayist

Sieht man sich die Lehrpläne an, muss man von einer schleichenden Abschaffung der Literatur im Unterricht sprechen. Vor lauter Panik, nur ja genügend Schüler dazu zu befähigen, eine Gebrauchsanleitung zu verstehen oder Leserbriefe zu verfassen, sind die Planer des Deutschunterrichts auf dem Wege, das Schlechteste zu machen, nämlich Kindern, Schule und in der Folge der Gesellschaft die Literatur auszutreiben. Es ist kein Bildungsziel mehr, Kindern die Freude und die Fähigkeit zu vermitteln, literarische Werke (nicht nur Häppchen davon, die häppchenweise abgefragt werden können) zu lesen und sich lesend in das Leben, das Glück, die Tragik anderer zu versenken.

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Die Notwendigkeit der Literatur besteht ja auch in ihrer praktischen Überflüssigkeit. Wir brauchen sie, eben weil sie unmittelbar zu gar nichts nütze ist und uns dadurch von dem Zwangsdenken befreit, dass alle Dinge, Begabungen, Tätigkeiten, Beziehungen immer etwas nützen, einen Vorteil eintragen müssen. Sie wirft uns aus der Bahn, wo wir auf den Schienen der Gewohnheit dahinrollen und setzt uns auf neue Spuren, wenn wir in der Unübersichtlichkeit unserer Existenz nicht mehr recht wissen, wohin es mit uns geht. Lesen ist Entrückung, wir geraten außer uns und gelangen gerade dadurch erst wieder ganz zu uns, und indem wir uns in den Biografien, den inneren und äußeren Konflikten, den Gefühlen fremder Menschen verlieren, werden wir uns unserer eigenen bewusst. Wer liest, führt viele Leben, probeweise, tageweise, und Lesen kann heilsame Irritation bedeuten, aber ebenso: Bestärkung, Ermutigung.
Einen Kanon aufzustellen ist eine prekäre Sache. Es gibt glücklicherweise zu viele zu gute Bücher, als dass man sinnvoll ein Ranking aufstellen könnte, an dem sich die Lektüre in der Schule zu orientieren habe. Wichtig ist nicht so sehr, welche Bücher gelesen werden – eben weil es so viele gibt, die es wert sind –, sondern dass sie zur Gänze gelesen werden, denn nur dann öffnet sich für die Leser jener weite Raum, den sie sich lesend selbst erschaffen und in dem sie ihre eigenen Erfahrungen machen.
Die jungen Menschen meiner Umgebung haben mir, wenn sie von mir damit versorgt wurden, jedenfalls immer leidenschaftlich von ihrer Lektüre dieser Bücher berichtet, die in ihrem Denken, ihrem Fühlen fortwirkten und sie zu Streitgesprächen mit sich selbst und anderen veranlassten.Theodor Fontane: Effi Briest,Arthur Schnitzler: Fräulein Else,Heinrich Kleist: Die Novellen,Franz Kafka: Die Verwandlung,Gabriel Garcia-Marquez: Chronik eines angekündigten Todes,Franz Innerhofer: Schöne Tage,Erich Hackl: Sara und Simon. Das ist keine Bestenliste.

Adi Hirschal, Künstler

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Literatur ist mein Lebensmittel, alles Gute kommt aus den wohlgesetzten Worten der Dichter und Schriftsteller. Der Verlust von Sprache kommt der Bankrotterklärung einer Gesellschaft gleich. Mein ganzes erfolgreiches Berufsleben als Schauspieler und Regisseur, Theatermacher und Texter von Liedern nahm seinen Anfang im Deutschunterricht (1966) – die bestimmende Figur mein Deutschprofessor, dem ich alles verdanke. Er gab mir mit 16 den „Mann ohne Eigenschaften“ , um mich bei der Matura darüber zu prüfen. Das nenne ich Vertrauen und fördernde Liebe. Meine Vorschläge:Somerset Maugham: Auf Messers Schneide, Hermann Hesse: Gesamtwerk,Jack London: König Alkohol,Ian Potocki: Die Handschrift von Saragossa. Jean Gebser: Ursprung und Gegenwart. Shakespeare: Stücke,Franzobel:Gesamtwerk.

Daniel Glattauer, Lehrer und Autor

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Schüler auf den Lese-Geschmack zu bringen, ist löblich. Aber das geht nur über Neigung und nie über Pflicht. Ich selbst hatte unter Pflichtlektüre gelitten und viele Klassiker innerlich verweigert. Dafür hatte es mir die Lyrik der deutschen Expressionisten angetan – ganz gegen den Geschmack meines Lehrers. Ja, es ist für die Entwicklung eines jungen Menschen förderlich, „gute“ Bücher zu lesen. Aber ein gutes Buch ist für mich eines, das MICH anspricht, das MICH zum Denken bewegt, MEINE Gefühle weckt, das MIR gefällt. Ich habe wenig Ehrfurcht vor großen Namen und formellen Qualitäts-Gewichtungen. Als Lehrer würde ich immer bei den Lesebedürfnissen der Schüler ansetzen. Z. B. sollen sie mir erklären, was sie an Harry Potter oder Fantasy-Werken faszinierend finden. Danach können wir gerne über Goethe und Shakespeare reden.

Anna Mitgutsch, Schriftstellerin

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Ich bekomme öfter Anfragen von Schulbuchverlagen mit der Bitte, Textstellen aus einem meiner Romane freizugeben. Dabei handelt es sich höchstens um einen Absatz, der in einen außerliterarischen Kontext gestellt wird. So kann man, darf man, Literatur nicht missbrauchen. Ich höre, die neuen Lehrpläne lassen Schlimmeres vermuten. Fünf Bücher fürs erste Lebensdrittel? Ich wüsste nicht, wo anfangen. Was mir wichtig schiene, ist von der aktuellen Literatur wegzukommen, weder Harry Potter noch den neuesten Krimi irgendeines angeblich hoch literarischen Autors und diegroßen Werke der Weltliteraturzu studieren, angefangen bei den Minnesängern, und zumindest für jedes Jahrhundert ein Buch der Literaturgeschichte genauer zu lesen. Einen Kanon kann ich nicht liefern. Es gelingt mir nicht, mich zu beschränken.

Barbara Coudenhove-Kalergi, Journalistin

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Als ich mit sechs Jahren lesen lernte und mein erstes Buch las, sagte mein Vater: „Von jetzt an musst du dich nie mehr langweilen.“ Er hatte recht.
Und als ich als Teenager, ziemlich unglücklich im Internat, ernsthaft zu lesen begann, waren die Bücher für mich eine Art Befreiung. Sie zeigten mir eine andere, größere, spannendere Welt, machten Türen auf, eröffneten neue Wege und überzeugten mich davon, dass es unbegrenzte Möglichkeiten gibt. Das ist bis heute so geblieben. Ich gehe nie ohne ein Buch aus dem Haus. Und ein Leben ohne Bücher kann und will ich mir gar nicht vorstellen. Diese drei Bücher könnten jungen Leuten gefallen:Rainer Maria Rilke: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke,Joseph Roth: Hiob,Erich Hackl: Abschied von Sidonie.

Kurt Palm, Regisseur

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Beim Wort „Kanon“ werde ich hellhörig, weil man immer fragen muss, wer hinter so einem Kanon steckt. Im Zweifelsfall bin ich daher gegen den Kanon und für die Vielfalt. Warum es für junge Menschen wichtig ist, gute Bücher zu lesen? Weil es auch nicht schaden kann, mit dem eigenen Kopf zu denken, und nicht wie ein Konsumidiot durchs Leben zu wanken. Hier fünf sehr gute Bücher, die ich jungen (und natürlich auch alten) Menschen zur Lektüre empfehlen würde:Ingeborg Bachmann: Der Fall Franza,Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer,Hannelore Valencak: Die Höhlen Noahs,Elfriede Kern: Kopfstücke,Hans Lebert: Die Wolfshaut.

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