Liebe in Zeiten der Unverbindlichkeit

Festlegen steht nicht am Plan von Mingles. Dafür aber Sex, kuscheln, telefonieren, gemeinsame Unternehmungen. Wie Partner, aber ganz ohne Verpflichtungen
Sie haben Dates, Sex und vertraute Gespräche – aber keinen offiziellen Beziehungsstatus. Die Kombination aus "mixed" und "Single" definiert, was nicht definiert ist: ein Beziehungsmodell zwischen Singleleben und Pärchentraum.

Es ist kompliziert. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wird sich schon etwas dabei gedacht haben, als er diese drei Worte beim Feld "Beziehungsstatus" als Option anführte. So einfach sind Partnerschaften nämlich nicht mehr – die Zeiten, als ein Kuss oder das erste Mal den Anfang einer (lebenslangen) Beziehung markierten, sind perdu. Heute lernt man einander kennen, trifft sich, hat gute Gespräche, Spaß und vielleicht Sex – aber das bedeutet nicht zwingend, dass man mit dem "Objekt der Begierde" gleich eine fixe Beziehung führen möchte, die traditionellen Vorstellungen folgt.

Dieser Schwebezustand zwischen Single-Dasein und klassischer Langzeit-Partnerschaft hat jetzt einen Namen: Mingles. "Mixed Singles", also "gemischte Singles", genießen die Vorzüge einer festen Partnerschaft, ohne Verpflichtungen einzugehen. Heißt in der Praxis: Man sieht einander, wann immer man Lust auf Nähe hat, ist aber nicht beleidigt, wenn sich der Partner einmal ein paar Tage nicht meldet. Zukunftspläne und gegenseitiges Eltern-Kennenlernen? Fehlanzeige. Genauso wie Gefühls-Dramen, Alltagsfrust und die Sache mit der Klobrille.

Neue Vielfalt

Liebe in Zeiten der Unverbindlichkeit
Peter Wippermann
Der Begriff stammt – natürlich – aus den USA. Der deutsche Trendforscher Peter Wippermann brachte die "Mingles" in den deutschen Sprachraum. Weil ihm auffiel, "dass immer weniger Menschen in Familien leben. Früher war die Ehe die einzige Konstante bis zum Tod. Das hat sich geändert." Mingles beschreibt er als Menschen, die die bewusste Nähe zum Partner suchen, ohne die eigene Persönlichkeit verlieren zu wollen. "Wir alle haben zwei Seelen in unserer Brust: Wir wollen einzigartig sein, aber auch nicht alleine bleiben. Wir suchen eine Balance zwischen Individualisierung und Sozialisation." Dadurch habe sich diese neue, hybride Beziehungsform ergeben.

Auch Andreas Steinle, Geschäftsführer vom Institut für Zukunftsforschung, beobachtet die vielen neuen Facetten der Liebe. "Zwar hat es in Beziehungen immer schon eine große Vielfalt gegeben. Neu ist, dass man heute alles ausleben kann ohne stigmatisiert zu werden. Früher wurde eine alleinerziehende Frau schief angeschaut, wenn sie neue Partner hatte. Da hat eine Liberalisierung stattgefunden."

Geplant wird ein Mingle-Dasein selten, erklärt Steinle. Für manche ist es eine Überbrückung, bis die große Liebe auftaucht. Für andere ein bewusst gewähltes, ideales Modell. Meistens ergibt es sich aber aufgrund der bestehenden Lebensumstände. Für Frauen, die schon einmal verheiratet waren und Kinder haben, ist ein Leben als Mingle oft genau das Richtige. Steinle: "Für eine Mutter hat ihr Kind oberste Priorität. Kinder finden wechselnde Partner oft irritierend. Sie brauchen Kontinuität. Die Mutter hat einen unverbindlichen Partner, das Kind lernt diesen aber nicht kennen."

Die meisten Mingles haben aber andere Gründe für eine "Halbbeziehung": Das Leben von Mittzwanzigern bis Mittdreißigern dreht sich um persönliche Entfaltung, Selbstentdeckung und Abenteuer. Eine fixe Partnerschaft engt da unnötig ein. Außerdem ergeben sich durch häufige Arbeitsplatz- und Wohnortwechsel mehr Möglichkeiten, Bekanntschaften zu schließen. "Die Beziehungsmobilität hat extrem zugenommen", sagt Steinle. Da wird eine fixe, langfristige Bindung schnell zur anstrengenden Herausforderung.

Ungleichgewicht

Liebe in Zeiten der Unverbindlichkeit
Caroline Erb ist Psychologin bei Parship. Den Trend zum undefinierten Beziehungsstatus beobachtet auch sie. "Natürlich spielt die Bindungsfähigkeit bzw. die Bindungswilligkeit jedes einzelnen eine Rolle und wie sehr man überhaupt bereit ist, Nägel mit Köpfen zu machen und Nähe zuzulassen. Fakt ist aber, dass der Zeitpunkt, sich zu binden, immer weiter nach hinten rückt. Man hat theoretisch die absolute Wahlfreiheit, die Partnerwahl betreffend." Fluch und Segen zugleich, denn viele tappen in die "Perfektionsfalle": "Sie legen sich im Glauben, dass es da draußen einen immer noch besseren Partner für sie gibt, erst gar nicht fest."

Die Angst, etwas zu verpassen, sobald man sich zu einem Menschen bekennt, mag ein Grund für die neue Unverbindlichkeit sein. Ein anderer ist, dass viele Menschen zu sehr an ihrer Eigenständigkeit hängen. "Sie genießen ihre Unabhängigkeit und experimentieren eine Zeit lang herum, bis es wieder richtig funkt."

Die größte Gefahr in Mingle-Beziehungen heißt emotionales Ungleichgewicht. Erb: "Häufig leidet einer der beiden auf Dauer an dieser Unverbindlichkeit und sehnt sich nach mehr. Da kann es leicht passieren, dass man sich hinter dieser scheinbaren Lässigkeit gefühlsmäßig übernimmt." Gerade Mitte 30 haben viele Frauen genug vom Mingle-Leben. Sie sehnen sich nach etwas Verbindlichem. "Der Biologie sind Grenzen gesetzt", sagt Steinle. "Männer tun sich als Mingles in diesem Alter leichter. Bei ihnen tickt die biologische Uhr nicht."

Wenn das "Herum-Minglen" mehr Schmerz als Spaß bringt, ist es an der Zeit, die Verbindung zu lösen. Psychologin Erb rät zu Ehrlichkeit: "Am besten wäre es in diesem Fall, mit offenen Karten zu spielen, bevor es ein böses Erwachen gibt. Sprechen Sie ihre Gefühle an und versuchen Sie, fair zu bleiben. Je früher einer von beiden die Notbremse zieht, desto mehr Leid erspart man sich möglicherweise."

Dass Mingle-Beziehungen die klassische Partnerschaft ablösen werden, glaubt Steinle nicht. "Auch in Zukunft wird es Beziehungsformen in verschiedenen Schattierungen geben – und auch nach wie vor die traditionelle Zweierbeziehung." Denn: "Tief im Herzen sehnt sich jeder nach der großen Liebe, die ewig währt."

Kathrin* war 26, als sie eine bewusste Entscheidung traf: Ab sofort würde sie Mingle sein. "Ich hatte eine lange Beziehung hinter mir und wollte mich nicht schon wieder in die nächste stürzen, bzw. sollte die nächste Beziehung mit dem Richtigen sein."

Statt dem Richtigen lernte Kathrin andere Männer kennen – nett, aber ohne "Beziehungspotenzial". "Man kann mit jemandem auf kommunikativer und körperlicher Ebene gut, aber für mehr reicht es nicht. Ich wollte nicht rumsitzen und mich kasteien, sondern mir einfach das holen, was mir guttut, ohne die Verpflichtungen einer Beziehung eingehen zu müssen. Natürlich gilt das beidseitig."

Die Grenzen sind abgesteckt und Kathrin genießt die Vorteile gegenüber einer festen Partnerschaft: "Freiheiten! Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Es gibt viel Abwechslung, es tritt kein Alltagstrott ein. Je nachdem wie die Bedürfnisse sind, kann man sich öfter oder weniger oft treffen – ohne Verpflichtungen. Niemand ist beleidigt, wenn man sich eine Zeit lang nicht meldet."

Manchmal kam es vor, dass sie oder ihr Mingle-Gegenüber plötzlich eine "echte" Beziehung hatte und sich aus der "Halbbeziehung" zurückzog. Für Kathrin kein Problem: "Man weiß ja, dass jemand da ist, falls man wieder Single ist. Man fühlt sich nie wirklich alleine."

Ausgehen, Koch- und Fernsehabende, manchmal sogar Kurzurlaube – im Prinzip macht Kathrin mit ihren Mingle-Partnern alles, was man in einer Beziehung tut, "aber ohne, dass es in Alltagstrott abdriftet." Ihre Eltern werden ihn nicht kennenlernen. "Mit den Freunden unternehmen wir mitunter etwas. Meist bleiben wir lieber unter uns." Über die Zukunft macht sich die heute 32-Jährige keine Gedanken. "Pläne machen wir natürlich nicht, denn wir leben für den Moment. Weil es jetzt gerade miteinander schön ist."

* Name von der Redaktion geändert

"Wie ich in diese Situation kam, ist mir bis heute ein Rätsel", sagt Maria* (22), wenn sie an ihre Mingle-Zeit zurückdenkt. "Eigentlich bin ich ein totaler Beziehungsmensch und war nie auf eine offene Beziehungsform aus. Es ist einfach irgendwie passiert." Aus langjähriger Freundschaft wurde mehr, aber eben nicht genug für eine feste Partnerschaft.

Wider Erwarten fand Maria das neue Beziehungsmodell zu Beginn dann doch recht reizvoll. "Was ist schlimm daran, als Studentin im ersten Semester gewisse Freiheiten zu haben? Ich hatte zwar immer jemanden, der für mich da war und mit dem ich Spaß hatte, war ihm aber zu nichts verpflichtet. Nicht schlecht – eigentlich." Denn nach und nach vermisste Maria einen gewissen Grad an Sicherheit, den sie von früheren Beziehungen kannte.

Besonders auf Familienfeiern und Geburtstagsfesten fühlte sie sich oft einsam. "Ich war immer überall alleine." Zwar hatte sich Maria nach einer gewissen Zeit mit der Situation angefreundet und versucht, das Beste daraus zu machen – nicht aber ihre Familie und Freunde.

"Ständig wurde ich mit Fragen bezüglich meines Beziehungsstatus’ gelöchert. Am meisten störte mich aber, dass sich Freunde und Familienmitglieder mit meinen ehrlichen Antworten nie zufriedengaben. In der verzweifelten Suche nach einer passenden Schublade kategorisierten mich einige doch meist als ‚unglücklich‘, weil ich in keiner klassischen Beziehung war."

Als fast niemand mehr damit rechnete – am wenigsten Maria selbst – änderte sich ihr Beziehungsstatus doch noch. Seit mehr als einem Jahr sind Maria und ihr Freund nun fix zusammen. "Jetzt, da ich beides kenne, kann ich definitiv sagen, dass ich die klassische Form der Beziehung der des Mingle-Daseins auf jeden Fall vorziehe. Nicht nur ich, sondern auch meine Familie und Freunde können jetzt endlich richtig glücklich sein."*Name von der Redaktion geändert

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