Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"

Michael Landau spricht über sein erstes Buch "Solidarität"
Michael Landau ist unverbesserlich zuversichtlich. Aber er glaubt, manchmal müsste er lauter sein.

Der Mann will seine Botschaft nicht loswerden, er will sie anbringen. Michael Landau, Caritas-Präsident und Teil des humanistischen Gewissens in Österreich, kommt zum Interview mit drei Seiten handgeschriebener Notizen. Während des Gesprächs nennt er mantrahaft Zahlen und Fakten der Arbeit der Caritas. Eine wertvolle Arbeit.

In seinem Buch "Solidarität – Anstiftung zur Menschlichkeit" bekommt diese Arbeit Konturen, Landau berichtet von Begegnungen, Erlebnissen, berührenden Momenten. Er führt "an Orte, wo das Leben brüchig wird. An Ränder des Lebens." Und formuliert seine Botschaft: "Es kommt auch auf mich an, wie die Welt aussieht."

KURIER: "Unsere Welt hat Risse bekommen" – diagnostizieren Sie im Vorwort Ihres Buches. Solchen Alarmismus kennt man sonst eher von Populisten. Dabei geht es der Welt objektiv so gut wie noch nie.

Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"
Michael Landau
Michael Landau:Es geht auch um die gefühlte Wirklichkeit, Menschen haben Sorgen. Wir erleben die Welt zunehmend als globalisiertes Dorf, wo Syrien im Vorgarten und die Ukraine in der Nachbarschaft liegt und wir uns das Wohnzimmer mit 1,2 Millionen Menschen teilen, die in Österreich akut armutsgefährdet oder arm sind. Nachrichten prasseln in Echtzeit wie das Wetter auf uns ein. Das löst in vielen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht aus.

Auch in Ihnen, wie Sie im Buch zugeben – "nicht oft, aber doch von Zeit zu Zeit". Muss man auf nur gefühlte Realität denn Rücksicht nehmen? Etwa wenn Menschen in Gegenden Angst vor Überfremdung haben, in denen noch nie ein Muslim vorbeigekommen ist?

Es ist nicht mein Ansatz, Menschen zu belehren. Ich werbe mit Fakten und Beispielen darum, dass Menschen sich trauen, auf diese Wirklichkeit zu schauen und zu helfen. Natürlich ist es spannend, wenn der Integrationsbericht klar zeigt, dass die Sorgen der Menschen in Gemeinden zurückgehen, wo man sich auf Flüchtlingsbetreuung eingelassen hat und Menschen menschlich behandelt. Diese Fakten muss man deutlich machen. Da geht es um gelungenes Menschsein. Ich möchte zeigen, dass es ein Weg zum geglückten Leben sein kann, nicht nur dem eigenen Glück nachzujagen, sondern auch das Glück der anderen in den Blick zu nehmen. Das Buch ist eine klare Absage für jede Form von Endzeitstimmung, ich möchte damit Angst nehmen und Mut machen. Denn es gibt gute Gründe zur Zuversicht.

Ich bin verwirrt: Die Welt hat Risse, aber wir sind zuversichtlich. Ist sie nun besser oder schlechter als früher?

Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"

Michael Landau

Wir haben in Österreich Jahrzehnte des Wohlstands, in Europa Jahrzehnte eines friedlichen Miteinanders erlebt und auch weltweit konnte der Hunger bereits verringert, die Kindersterblichkeit halbiert werden. Der Blick auf diese Zeit zeigt grundsätzlich: Wir haben die Fähigkeit, den Mut und die Phantasie, Gegenwart und Zukunft gut zu gestalten. Und genau dieses Selbstbewusstsein benötigen wir jetzt. Denn die verschiedenen Krisen, die wir gerade erleben – die Finanzkrise und ihre Folgen, aber auch die Not der Flüchtlinge – machen deutlich: Es sind Zeiten des Umbruchs. Wie wir diesen Umbruch gestalten, liegt an uns. Es geht um die Einsicht, dass die Welt etwas mit uns zu tun hat. Wenn mir Fischer im Senegal erzählen, dass sie nicht mehr von der Fischerei leben können so wie Generationen vor ihnen, weil die großen Flotten bis nah an die Küste fischen, dann hat das auch etwas mit uns zu tun. Wenn 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen und für 70 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, dann ist etwas aus der Balance geraten. Durch die Globalisierung merken Menschen zunehmend, dass Probleme nicht an den Grenzen halt machen. Noch immer stirbt alle zehn Sekunden ein Kind an den Folgen des Hungers, 800 Millionen Menschen sind von Unterernährung betroffen. Aber: Wenn wir wollen, können wir den Hunger besiegen. Es ist eine Frage des Wollens. Ich will diesen Optimismus stärken.
Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"
Michael Landau spricht über sein erstes Buch "Solidarität" im Cafe Korb. Wien, am 19.08.2016.
Im Buch klingt das so: "Wir können nicht die ganze Welt retten. Aber wir sollten es auf jeden Fall versuchen." Sie sprechen von der "Fähigkeit, sich selbst im Anderen zu erkennen". Damit werden Sie den Radikalen, der auf Facebook Menschen erschießen will, nicht erreichen.

Die neuen Kommunikationsstrukturen tragen zur Radikalisierung viel bei. Ich bin froh, dass es Initiativen gibt, auch im Internet respektvoll miteinander umzugehen. Respekt ist eine wesentliche Ressource für jede Gesellschaft. Das Risiko einer Politik der Gefühle ist, dass letztlich alle Verlierer dabei sind. Ängste lassen sich leicht schüren, aber nicht mehr leicht abschalten. Mit meinem Buch kann ich allenfalls zum Nachdenken anregen. Doch jede Veränderung beginnt mit dem Hinsehen und ist getragen von Menschen, die sich trauen. Gerade in schwierigen Zeiten muss man sich auf seine Stärken besinnen. Und was hat Österreich stark gemacht? Die Bereitschaft zusammen zu stehen und nicht auf die Schwächsten zu vergessen.

Muss man das nicht auch einfach verordnen, wie etwa Flüchtlingsquoten in Gemeinden?

Das glaube ich nicht. Aber von Gelungenem zu erzählen, macht anderen Mut. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren oft gesehen, wie viel wir gemeinsam zum Guten verändern können und dass Solidarität ansteckend sein kann. Neben dem Engagement der Einzelnen braucht es auch politisches Handeln – also individuelle und strukturelle Solidarität. In den Menschen gibt es mehr Bereitschaft, Gutes zu tun, als wir ihnen oft zutrauen. Das hat ja gerade auch das vergangene Jahr gezeigt. Eine solche Renaissance der Zivilgesellschaft werden wir auch in Zukunft brauchen.

"Gutes tun" wird unterschiedlich definiert. Nationalisten etwa verstehen darunter die Bewahrung des angestammten Volks und dessen Kultur. Ist es schlussendlich eine Frage der Stimmung? Wenn etwa alle glauben, es gibt Not, dann wollen auch alle eine Notverordnung.

Ja, und ich möchte für die positive Stimmung werben, denn nichts hemmt solidarisches Handeln so sehr wie Angst. Wenn ich Einzelne zum Nachdenken bringe, ob wir wirklich so ausgeliefert sind, wie man uns weismachen will, und sie sich die Wirklichkeit selbst ansehen, dann können wir den Untergangspropheten entgegen treten. Und viele Einzelne sind dann Viele.

Diese Propheten schreien aber lauter, sparen sich die Mühe des Differenzierens, sind insgesamt plakativer. Müssten die Zuversichtlichen nicht auch endlich aktionistischer sein?

Das ist immer ein Balanceakt, vor allem in einer Zeit, wo immer mehr Informationen um Aufmerksamkeit konkurrieren. Wo laufen wir Gefahr, unseriös zu werden oder uns dem Verdacht auszusetzen, Not zu instrumentalisieren? Wir laden zum Beispiel Politiker zum Nacht-Streetwork ein und viele kommen. Aber unsere Bedingung ist: keine Medien.

Das ist nobel, ab vielen fehlt heute eine Instanz, ein neuer Kardinal König. Ein Bundespräsident, Kanzler, Bischof, der sich öffentlich zu den Armen in den Dreck legt, um eine Besserung der Situation zu erzwingen. Jesus hätte das getan, der Papst fordert es.

Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"
Michael Landau spricht über sein erstes Buch "Solidarität" im Cafe Korb. Wien, am 19.08.2016.
Ja. Vielleicht sollten wir manchmal aktionistischer sein. Ich frage mich schon, wie würde eine Regierung handeln, die miteinander an Orte ginge, wo es brüchig ist. In Obdachlosenheime oder sich mit Arbeitslosen zusammensetzt, nicht nur für das Wahlkampffoto. Oder eine Bischofskonferenz, die am Vormittag berät und nachmittags in Einrichtungen für psychisch Kranke oder Menschen mit Behinderung geht. Ich bin überzeugt, das würde vieles ändern. Daher bin ich froh über das jetzige Pontifikat, weil Franziskus deutlich macht, dass eine Kirche, die dem Auftrag ihres Gründers entsprechen will, in die Diskussion gehen muss. Sie muss riskieren, eine verbeulte Kirche zu sein, die sich die Hände schmutzig macht.

Sind Sie so eine Instanz? Sie sind ja auf Facebook sehr deutlich.

Ich sehe mich nicht so. Und ich glaube, es gibt viele Instanzen. Ich denke dabei etwa an eine Pflegekraft, die mit unendlicher Geduld, mit Liebe und Aufmerksamkeit eine demenzkranke Frau dabei unterstützt, selbst zu essen. Mir fällt die leitende Sozialarbeiterin der Gruft ein, die seit 25 Jahren mit großem Respekt für obdachlose Menschen arbeitet. Pensionistinnen und Studierende, die am Westbahnhof Wasser ausgegeben haben. Sie sind mir Vorbilder.

Im Gegensatz zu diesen wunderbaren Menschen haben Sie aber Kontakte. Was sagen Sie Politikern ins Gesicht?

Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"
Michael Landau spricht über sein erstes Buch "Solidarität" im Cafe Korb. Wien, am 19.08.2016.
Einiges, aber nicht über die Medien. Ich nenne ihnen klare Zahlen: 220.000 Menschen in Österreich können ihre Wohnungen nicht warmhalten, wir geben jährlich über 110.000 Mahlzeiten in der Gruft aus, in unserer Sozialberatung bleiben einem Drittel der Klientinnen und Klienten nach Abzug der Fixkosten acht Euro pro Tag. Solche Fakten werden die Gesellschaft nicht stabil halten.

Ihr Plädoyer für Solidarität?

Liebe ist größer als Hass, Hoffnung größer als Angst. Veränderung beginnt im Kleinen und mit jeder und jedem Einzelnen. Und: Wir werden den Weg bewältigen, auch wenn er steiler wird. Gemeinsam können wir das schaffen.

Autor und Buch

Michael Landau, geboren 1960, ist Doktor der Biochemie und der Theologie. Drei Jahre nach seiner Priesterweihe (1992) übernahm er die Leitung der Caritas Wien, seit 2013 ist er Präsident der Caritas Österreich. Sein Buch „Solidarität – Anstiftung zur Menschlichkeit“ erscheint am 5. 9., im Brandstätter Verlag (192 S., 22,90 €)

Einladung

Landau: "Es geht um gelungenes Menschsein"
Michael Landau; Buch "Solidarität - Anstiftung zur Menschlichkeit", Brandstätter Verlag, Cover
Erstpräsentation des Buches ist am Dienstag, 13. September, um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Morawa, Wollzeile 11, 1010 Wien

Unterstützungsmöglichkeit

Flucht und Hunger sind globale Tragödien, die Caritas bietet die Möglichkeit zu helfen: "Die aktuelle humanitäre Katastrophe im Nahen Osten zeigt, dass Not- und Überlebenshilfe über einen langen Zeitraum geleistet werden muss. Die wichtigsten Partner im Kampf für eine Zukunft ohne Hunger sind Sie! Danke für Ihre Unterstützung!"Kennwort: Hungerhilfe. Bank: PSK. IBAN: AT92 6000 0000 0770 0004; BIC: OPSKATWW

Info: www.caritas.at/hunger

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