Michael Kühnel - weltweit im Einsatz für Menschen

Mittelmeer, Nov. 2016: Seit 11. Nov. verstärkt der 41-jährige Wiener Arzt Michael Kühnel das Team an Bord des Rotkreuz-Rettungsschiffes ?Responder? im Mittelmeer. Aus einem Schlauchboot wurden 170 Menschen gerettwt, darunter ein Baby (heißt Desmond (ein Bub), ist ein Monat alt und stammt aus Nigeria). An Bord der ?Responder? werden die aus Kriegs- und Krisengebieten stammenden Flüchtlinge medizinisch untersucht, mit Decken gegen den Wärmeverlust geschützt und bekommen Nahrung und Kleidung. Das Rotkreuz-Schiff ?Responder? ist ein gemeinsames Unternehmen vom italienischen Roten Kreuz, der privaten Hilfsorganisation Migration offshore Aid Station (MOAS) und der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Der erfahrene Wiener Arzt und Katastrophenhelfer Michael Kühnel war für das Rote Kreuz bereits in den Ebola-Gebieten Afrikas und nach dem verheerenden Tsunami im Indischen Ozean im Einsatz. Bild: Michael Kühnel kümmert sich um ein Baby, welches von einem Boot im Mittelmeer gerettet wurde.
Der Allgemeinmediziner war nach Tsunami, Erdbeben und Ebola im Einsatz. Jetzt rettet er Flüchtlinge.

Wenn der Lautsprecher anspringt, ist man von null auf hundert. "Attention to all stations: boat ahead. There will be a rescue." (Achtung, an alle Stationen: Boot voraus. Es gibt einen Rettungseinsatz.) In Michael Kühnels Bauch krampft sich etwas zusammen. Er weiß nicht, wie viele Menschen er gleich bergen und untersuchen wird. Und ob Leichen darunter sind.

"Aber deswegen sind wir da", sagt der 41-jährige Notarzt mit massig Katastrophenerfahrung. Seit einer Woche kreuzt er mit dem Rotkreuz-Schiff "Responder" vier Kilometer vor der libyschen Küste, um Flüchtlinge in Seenot zu retten. "Man weiß nie, was passiert. Bisher hatte das kleinste Boot 22 Menschen an Bord, ein anderes 170." Und einmal war ein einmonatiges Baby darunter.

Kühnel ist ein Gutmensch. Seit 17 Jahren arbeitet er auch ehrenamtlich für das Rote Kreuz, er war nach dem Tsunami in Indonesien, nach den Erdbeben auf Haiti und als einziger österreichischer Arzt im Ebola-Einsatz. "Ich finde, Gutmensch ist noch immer ein nettes Wort, auch wenn es als Schimpfwort gebraucht wird. Aber gibt es ein schmeichelhaftes Gegenteil zu ‚Mensch‘?" Kühnel spricht ohne Schaum vor dem Mund, er wirkt so gelassen wie ihn andere beschreiben. "Es muss niemand gutheißen, was ich hier tue. Nur ich." Nämlich in vier Tagen 800 Flüchtlingen das Leben gerettet zu haben.

"Besucher" bessert Kühnel aus. "Es sind Menschen, wir behandeln sie als Gäste." Sie bekommen nach den eingeschränkten Möglichkeiten Kleidung, weil ihre eigene nass und voll Treibstoff ist. Sie bekommen Wasser und Kekse, weil die am besten zu lagern sind. Die medizinische Versorgung ist bis auf wenige Ausnahmen banal: "Ich bin hier nur eingeschränkt Arzt, wir haben gar nicht die Ausrüstung dafür. Pro Gast dauert die Aufnahme 15 Sekunden: Temperatur messen, wobei das Thermometer wegen Unterkühlung meist nur ‚LO‘ anzeigt, Zunge und Augen anschauen, Finger und Unterarme. Und ‚Thank you‘ sagen. Wir sind keine Zoowärter, die Tiere füttern."

Einer fragt Kühnel, wie er heißt, er antwortet: Michael. Der Mann sagt: "God bless you, Michael!" Kühnel dreht sich gerührt weg.

Respekt

Er habe unendlichen Respekt vor dem Leben. Damit erklärt Michaels Ehefrau Barbara Rouchouze seine Haltung. Und sein Engagement: "In Wien hat Michael acht verschiedene Jobs. Wir haben uns als ehrenamtliche Sanitäter kennengelernt. Wir mögen diese Tätigkeiten." Sie betont den Nachsatz: "Und wir sehen es nicht als Opfer."

Der Respekt vor dem Leben wird besonders deutlich, wenn man dem Tod so nahe ist wie die beiden. Kühnel arbeitet als Arzt oft im Palliativbereich und half beim Ebola-Einsatz in Sierra Leone im "Dead Body Management". Barbara und er stützen einander in solchen Phasen, sie leitete die Rotkreuz-Delegation in Liberia. "Die Arbeit im Ebolagebiet war am heftigsten, es war auch unser gefährlichster Einsatz. Wir waren nie gemeinsam an einem Ort, aber es hilft, wenn sich dein Partner mit dem Thema auskennt."Ja, meine Frau gibt mir bei all dem den nötigen Halt", sagt Kühnel und lacht freundlich durch die Telefonleitung. Ein herzliches Lachen, ein glückliches. "Gestern Nacht haben wir ein Boot nur zufällig gefunden, eine Kollegin war gerade draußen und hörte Hilferufe." Bei starkem Wellengang sind die kleinen Boote oft weder auf dem Radar noch mit freiem Auge zu sehen. "Die Menschen darin waren seit Tagen unterwegs, unterkühlt, dehydriert und verzweifelt." Er seufzt. Sie hätten die Nacht nicht mehr überlebt.

Ruhe

In solchen Momenten entscheidet die Ruhe. Die hat Kühnel, auch wenn andere ihn fragen, ob solche Rettungsaktionen nicht noch mehr Menschen zur Flucht animieren. "Ich frage mich eher, wie verzweifelt man in seiner Heimat sein muss, um sich mit Baby und als Schwangere in so eine Situation zu begeben." Vor allem gelte für ihn die Philosophie des Roten Kreuzes, unpolitisch und unparteilich zu bleiben. Kühnel ist tief mit der Organisation verwurzelt, hat sogar zwei Tätowierungen: die Grundsätze des Roten Kreuz in mehreren Sprachen und das Logo der Föderation, rotes Kreuz und roten Halbmond. "Durch die neutrale Haltung kommen wir in Krisenregionen, wo sonst keiner hindarf. Hier ist es einfach gerade unsere Aufgabe, das Sterben dieser Menschen auf der Flucht zu verhindern." Er habe auch keine Lösungen. "Dafür verstehe ich die Weltpolitik zu wenig." Es ist nicht immer klar, ob Kühnel etwas zynisch meint oder nicht. Ein Hang zum Understatement trifft bei ihm auf die Erkenntnis, dass er leider nicht die ganze Welt retten könne.

Solche inneren Konflikte reinigt Kühnel im Musical Workshop und an der Gitarre, auf Reisen an der Ukulele. Die passt in die Tasche. Und in seinen Blogs: Die entstehen immer aus der Emotion, er nennt sie seine "Coping-Strategie". Beim Schreiben muss der große, wuchtige Mann noch weinen. "Oft sind es Tränen der Freude, manchmal bin ich nur traurig. Meist ist es aber die Erleichterung, weil es gut gegangen ist." Die Blogs seien in unserer Zeit aber auch als Zeichen wichtig: "Ich tue mir hier nichts an, wie viele es nennen. Ich tue es einfach, weil es sich richtig anfühlt. Außer mir hat nur ein Arzt bei uns die Ausbildung dafür und der hat jetzt ein Kind. Es würde sich nicht richtig anfühlen, wenn ich kneife." Wenn man will, darf man ihn Held nennen, aber nein, er fühlt sich damit nicht wohl."Michael sagt immer, er tut es, weil es sonst niemand macht", beschreibt Barbara ihren Mann und lacht, weil sie den Satz ironisch findet. "Im Ernst: "Man tut das, weil man es kann, weil man es will und weil man die Möglichkeit hat." So einfach ist das. Manchmal wird diese Stärke zu Michaels Schwäche: "Wenn jemand etwas braucht, kann er kaum Nein sagen. Er nimmt sich wenig Zeit für sich selbst."

Auch diese Beschreibung bringt Kühnel zum Lachen. "Sie hat wohl recht." Dann geht der Lautsprecher wieder an. Der gibt bis 30. November für ihn den Ton an. Dann fliegt er heim. "Wahrscheinlich. Und wieder werden mir die Bilder im Fernsehen so unwirklich vorkommen."

Michael Kühnel-Rouchouze

Der Mensch-geboren 1975 in Wien, ist Allgemeinmedi ziner, Notarzt und Katastrophen helfer mit Sonderausbildungen in Tropen-, Palliativ- und Psycho- sozialer Medizin. Seit 1999 arbeitet er ehrenamtlich für das Rote Kreuz, seit vier Jahren auch im Hospiz der Caritas Socialis. Er war nach Tsunamis, Erdbeben und dem Ausbruch von Ebola im Einsatz, seit dem Vorjahr auch in der Betreuung von Flüchtlingen.
Seit 2012 ist er mit Barbara Rouchouze verheiratet, die ebenfalls für NGOs tätig ist.
Im Vorjahr verarbeitete er die Afrikazeit im Buch „Acht Gräber: Als Katastrophenhelfer im Ebola- gebiet“. Blog
Das Schiff Das Rotkreuz-Schiff „Responder“ ist ein Unternehmen vom Roten Kreuz und „Migration offshore Aid Station“ (MOAS) und rettet seit einigen Monaten im Mittelmeer in Seenot geratene Menschen. Es darf bis zu 350 Menschen transportieren, nimmt aber bis zu 700 auf. Seit Juli rettete die Crew mehr als 5000 Flüchtlinge.

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