Der König von Österreich und seine liebste Dame

Ein Spielchen zur Zerstreuung: Markus Ragger und Tina Kopinits auf der Terrasse ihrer Grazer Wohnung
Eine Homestory über die besten Schachspieler des Landes. Markus Ragger ist Österreichs Nummer 1, Tina Kopinits ist die Nummer 2.
Von Uwe Mauch

Die Oma war immer Weiß, erinnert sich Markus Ragger, das Jahrhunderttalent unter Österreichs Schachspielern. Von seiner Oma und vom Opa, einem Tischler-Ehepaar aus Sankt Michael am Zollfeld, habe er das Brettspiel früh gelernt. "Nach dem Frühstück und nach dem Mittagessen haben die beiden immer Schach gespielt."

Der junge König

Der König von Österreich und seine liebste Dame
Schach schreibt derzeit wieder Geschichte, noch dazu eine mit Pep. Im November des Vorjahrs schaffte der 24-jährige Norweger Magnus Carlsen, der besser aussieht als Justin Bieber und vermutlich mehr in seiner Birne hat als die meisten in seinem Alter, den Sprung von den Sport- auf die Klatschseiten der Magazine. Nachdem er sich in Indien zum Schachweltmeister gekürt hatte.

Und auch Österreichs beste Schachspieler haben mehr als nur Königsangriffe und Damenopfer zu bieten: Die Nummer eins unter den wettkampfmäßig spielenden Männern und die Nummer zwei bei den Damen sind ebenso jung wie Schach- und Mode-Ikone Carlsen. Und sie sind darüber hinaus ein Paar.

Seine Leidenschaft

Wir treffen Markus Ragger, 26, und seine Freundin Tina Kopinits in ihrer Wohnung in Graz, in einer ruhigen Anlage nahe der Mur. Dort haben es sich der Kärntner und die gebürtige Wienerin vor zwei Jahren gemütlich eingerichtet. "Wir kennen einander seit frühester Jugend", eröffnet er. "Von gemeinsamen Fahrten zu internationalen Schach-Meisterschaften", ergänzt sie. Ragger spielt heute im Rang eines internationalen Großmeisters. Mit der höchsten ELO-Zahl (aktuell 2644, beschreibt die jeweilige Spielstärke), die jemals ein Österreicher erreicht hat. Seit seinem dritten Lebensjahr spielt er Schach, seit seinem siebenten Lebensjahr in einem Verein. Kopinits, Tochter einer Wiener AHS-Lehrerin, begann zeitgleich. "Meine Mutter hatte immer schon den Ehrgeiz, Schach auch den Frauen zu eröffnen." Die 28-jährige Akademikerin lächelt. "Mit sieben bin ich zum ersten Mal bei den Wiener Landesmeisterschaften angetreten. Gespielt haben dort de facto die Schülerinnen meiner Mutter – und ich."

Der König von Österreich und seine liebste Dame
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Gefunkt hat es zwischen den Beiden im Jahr 2010, während der gemeinsamen Vorbereitung auf die 39. Schacholympiade im zentralrussischen Chanty-Mansijsk. Nie hätten sie sich nur über Eröffnungen, Zugfolgen, Verteidigungsvarianten und Offensiv-strategien ausgetauscht, betont die Dame des jungen Königs von Österreich. Doch damals wären sie einander auch privat näher gekommen. Und wenn man das Paar heute betrachtet, lässt sich sagen, da haben zwei Menschen schon lange vor der Endrunde gewonnen.

Sein Professionalismus

Im Unterschied zu ihr, die bei der Caritas in Graz einen interessanten Job angenommen hat, lebt Ragger vom Schachspielen. Das ist heute möglich, wenngleich weitaus weniger leicht als vergleichsweise für heimische Fußballer oder Skifahrer. Sechs Stunden Training in seinem Schachzimmer, abwechselnd am Brett und am Computer, der ihn via Skype unter anderem mit seinen Trainern und Trainingspartnern verbindet, sind Alltag. Tägliche Norm. "Weniger geht nicht, wenn man international mithalten möchte", sagt Ragger, der im Moment viel daran setzt, den Sprung zurück unter die Top 100 der Welt zu schaffen. Dazu fehlt ihm nicht allzu viel, erklären kundige Schachexperten.

Was Ragger freut: Seit dem Jahr 2005 wird das Brettspiel in Österreich von der Bundessportorganisation als Sportart anerkannt. Das ist insoferne plausibel, als ein Spiel bei Turnieren bis zu sechs Stunden dauert, hohe Konzentration und damit viele Kalorien abverlangt.

Dazu kommen für den Profi unendlich viele Reisen. Um finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen ("Reich kann man mit Schach nicht werden"), spielt Markus Ragger nicht nur in der österreichischen Bundesliga (für den SK Maria Saal), sondern als Legionär in anderen Ligen. So sitzt er schon seit Langem mehrere Wochenenden im Jahr für die deutsche Schachgesellschaft Solingen am Brett. Gespielt hat er für Vereine in Maribor, Dubrovnik und Sarajevo sowie in Frankreich und in Griechenland.

Ihre Berufung

"Beim Markus ist Schach Beruf und Berufung. Er muss sich zum Training und Spiel nicht zwingen", sagt seine Freundin. Selbst im Urlaub verschlingt er Bücher, in denen die Stellungen von hunderten Spielen dokumentiert und kommentiert werden.

Der König von Österreich und seine liebste Dame
Sie selbst kann sich an das Schachbrett deutlich entspannter setzen als ihr Lebensgefährte. Ihre Berufung findet Tina Kopinits nach dem Studium für Internationale Entwicklung und einem Lehrgang für Deutsch als Fremdsprache derzeit bei der Caritas in Graz. Das heißt aber nicht, dass die zweitbeste Spielerin Österreichs Schach auf die leichte Schulter nimmt: "Wenn ich mich an das Brett setze, dann will ich nicht nur spielen, dann will ich auch gewinnen."

Gemeinsam auf der Terrasse ihrer Grazer Wohnung spielen sie übrigens nur selten, und wenn, dann nur zur Zerstreuung. Verständlich, wer arbeitet schon gerne in seiner Freizeit?www.KURIER.at/lebensnahMehr "Ansichten von unterwegs" im gleichnamigen Blog von Uwe Mauch.

Er engagiert sich für Schach in der Schule. Er spielt fernsehwirksam Schach mit Bill Gates, indem er ihn nach nur neun Zügen matt setzt. Er ist nicht nur in seinem Heimatland Norwegen ein König der Herzen. Das Time Magazine hat ihn in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgenommen. Er hat schon lange mehr ELO-Punkte (aktuell 2881) als Schachlegende Garri Kasparow. Seit dem November des Vorjahres darf er sich vor allem auch als regierender Weltmeister im Schach vorstellen.

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Norwegian chess world champion Magnus Carlsen reacts while attending the Norwegian Sports Gala in Oslo January 4, 2014. REUTERS/Audun Braastad/NTB Scanpix (NORWAY - Tags: SPORT CHESS ENTERTAINMENT) ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. NORWAY OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN NORWAY. NO COMMERCIAL SALES
Dabei ist der erst 24-jährige Magnus Carlsen nicht nur ein ganz außergewöhnlicher Stratege am Brett, er ist auch ein gut zu vermarktender Medienstar. Die Geschichte vom jungen, gut aussehenden Dandy, der die sonst eher grauen Eminenzen matt setzt, gefällt sogar der Klatschpresse. Den Schachfunktionären sowieso. Endlich haben sie einen, der ihren wenig breitenwirksamen, oft gering geschätzten Sport ("Wenns d’ wehleidig bist, geh Schach spielen") in die Schlagzeilen bringt.

Interviews mit ihm sind kurzweilig, daher ist der junge Mann öfter in den Medien abgebildet als alle Weltmeister vor ihm. Wenn man gegen ihn spielt, erinnert sich Österreichs Nr. 1, Markus Ragger, dann spielt man immer auch vor 15 Fotografen und mindestens zwei TV-Teams.

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