Lehre so wertvoll wie die Matura
Die Vertreter der Wirtschaft gaben sich mehr als glücklich: "Das ist ein historischer Tag", sagte Michael Landertshammer, Leiter der Abteilung für Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer WKO. Der Grund für seine Euphorie: Am Mittwoch wurde im Parlament der Nationale Qualifikationsrahmen (NQR) beschlossen.
Damit, so die Hoffnung, erfährt die berufliche Ausbildung endlich den Stellenwert, den sie haben sollte. Hinter dem sperrigen Begriff NQR versteckt sich eine Skala, die verschiedene Abschlüsse in acht Stufen kategorisiert (Details unten). Damit ist ein Lehrabschluss einer AHS-Matura gleichgestellt,und eine Meisterprüfung steht auf der gleichen Stufe wie ein Bachelor. Der NQR orientiert sich am europäischen Qualifikationsrahmen, der Abschlüsse EU-weit klassifiziert.
Österreichisches Spezifikum
Besonders die beruflichen Abschlüsse wären dann international transparenter und vergleichbarer. Das duale Ausbildungssystem gibt es nämlich nur in deutschsprachigen Ländern. Das führt dazu, dass manches, was hier "nur" ein Facharbeiter ist, andernorts als Maturant oder gar Bachelor gilt. Somit werden Gesellenbrief oder HTL-Matura nicht nur aufgewertet, auch die Wirtschaft kann daraus Kapital schlagen: "Bei internationalen Ausschreibungen wird oft eine bestimmter Anteil an Stufe-6-Qualifikationen gefordert. Sobald HTL-Ingenieure Bachelor-Absolventen gleichgestellt werden, erreichen Unternehmen leichter diese Bedingungen", erläutert Landertshammer. Und noch eine Hoffnung haben die Wirtschaftstreibenden: "Wenn die Lehre in der Gesellschaft den gleichen Stellenwert hat wie eine Matura, werden sich junge Menschen eher dafür entscheiden, sich zum Facharbeiter ausbilden zu lassen." Hintergrund ist, dass Betriebe händeringend nach guten Auszubildenden suchen, aber kaum finden.
Kein Zugang zur Uni
Qualifizieren kann man sich entlang von zwei Strängen – es gibt einen beruflichen Weg, der vom Lehrling bis zum Meister reicht. Und einen akademischen, der von der AHS-Matura bis zum PhD, also dem Doktoratsstudium, führt. Abschlüsse wie Lehre und Matura sind zwar gleichwertig – Berechtigungen sind damit aber nicht verbunden. Heißt: Ein Facharbeiter darf nicht automatisch an die Fachhochschule. Ziel muss sein, dass die Fachhochschulen mehr Quereinsteiger aus der Berufspraxis zum Studium zulassen als bisher, um eine bessere Durchlässigkeit zu ermöglichen, fordert Landertshammer. Überhaupt sollten weitaus mehr Ausbildungen an Fachhochschulen angeboten werden, um die Universitäten zu entlasten. Diese könnten ihre Ressourcen besser bündeln und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: Wissenschaft und Forschung. Die Unis müssten die Möglichkeit erhalten, sich ihre Studierenden selbst auszusuchen. "Darüber muss man emotionslos und faktenbasiert diskutieren", fordert Landertshammer.
Reaktion
Kritik am NQR kommt von der grünen Wissenschaftssprecherin Sigrid Maurer. Sie stößt sich daran, wie über die Einstufungen entschieden wird: Da einzelne Kurse – wie ein Bilanzbuchhalterkurs des WIFI (gehört zur WKO) oder BFI (Arbeiterkammer) – als Qualifikation zählen, hätten die Sozialpartner Interesse daran, diese Abschlüsse hoch einzustufen. Beide Sozialpartner sitzen in dem Gremium, das über die Einstufung entscheidet. Maurer befürchtet, "dass es zu einer Schönfärberei der Bildungsangebote der Kammern kommt."
So könnte der achtstufige Qualitätsrahmen aussehen
- 1 bis 3: Pflichtschule Poly oder Hauswirtschaftsschule sind die Mindestqualifikation
- 4 AHS, Lehre AHS-Matura, Lehre und dreijährige Fachschule sind gleichwertig, garantieren aber nicht die gleichen Zugangsberechtigungen.
- 5 HAK, BHS: Berufsbildende höhere Schulen sind eine österreichische Besonderheit
- 6 HTL-Ingenieure, Meister und Bachelor könnten zukünftig als gleichwertig erachtet werden .
- 7 Master: Uniabschluss und Baumeister werden gleichgestellt
- 8 Doktorat: Denn Herrn Doktor gibt es nicht mehr, der Abschluss nennt sich nun PhD
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