"Zuhören benötigt viel innere Kraft"

Zuhören können – auch dem, der anders ist als man selbst: Das ist ein große Herausforderung, aber auch eine erfüllende Erfahrung
Ein intensives Gespräch kann zur Herausforderung werden – und dabei viel Vertrauen schaffen.

Anderen Menschen vertrauensvoll zuhören können: Das ist Voraussetzung für eine friedliche Zukunft – im Großen wie im Kleinen. Das war der Tenor beim KURIER-Gespräch "Zuhören: Was ist das?" Montagabend im Raiffeisen Forum in Wien, moderiert von KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter.

"Wir müssen über Persönlichkeitsbildung die Ich-Stärke der Menschen erhöhen", sagt der Theologe Paul Zulehner. "Wir brauchen Menschen, die sagen, ,es ist super, dass der andere anders ist als ich und ich von ihm etwas lernen kann.‘ Denn erst dann erwacht das Interesse, dem anderen zuzuhören – wenn ich das Gefühl habe, dass er mich bereichert, und nicht, dass er mich bedroht. Da sind viele Emotionen im Gange, bevor man das Ohr überhaupt erst aufmacht."

Menschen mit einem schwachen Ich hingegen könnten Leuten nicht zuhören, die anders sind als sie, so Zulehner: "Sie haben Angst, dass diese sie in ihrer inneren Schwäche bedrohen."

"Zuhören benötigt viel innere Kraft"
Podium: Theologe Paul Zulehner, Moderator CR Helmut Brandstätter, Psychologin Margot Schmitz, Hansaton-GF Oliver Lux

"Zum Zuhören benötigen Sie sehr viel innere Kraft", sagt die Psychiaterin und Unternehmensberaterin Margot Schmitz. "Weil sie viel hören werden, was sie nicht hören wollen." Bei Scheidungen etwa halte oft ein Ehepartner dem anderen vor: ,Das habe ich dir doch schon 1000-mal gesagt – und du hast es immer noch nicht verstanden.‘ Schmitz: "Aber warum hat er es nicht verstanden? Weil er es nicht verstehen will." Hören sei überwiegend eine emotionale Sache.

Längerfristig

Mit Zuhören könne Vertrauen aufgebaut werden – "aber dafür braucht es Zeit, das ist eine längerfristige Investition in die Beziehung zu einem anderen Menschen."

Und diese Bereitschaft zur Investition, zur Auseinandersetzung, gehe zurück: "Beziehungen sind kurzlebiger geworden", so Schmitz. Damit trete aber auch diese hohe Kunst der Investition in den anderen in den Hintergrund: "Man trifft sich dann lieber mit denen, die alle das Gleiche denken und reden."

"Aber das ist das Ende jeder persönlichen Entwicklung", betont Zulehner. "Wenn ich mich nicht mit Menschen zusammentue, die anders sind als ich, dümple ich nur vor mich hin."

Um wirklich zuhören zu können sei auch die Erfahrung der Stille notwendig: "Wir müssen von dieser zugedröhnten Welt ein wenig Abstand bekommen und in die Stille gehen, um wieder die leise Musik der Grundwirklichkeit zu vernehmen."

Gerade Kinder würden einen lehren, Gespräche zu führen, die man zunächst vielleicht nicht für sinnvoll hält und die auch nicht immer angenehm sind, sagt Schmitz. "Aber es ist die größte Herausforderung überhaupt, Menschen zuzuhören, die man zunächst vielleicht nicht so ernst nimmt, die einen aber lehren, dass man sie ernst nehmen muss." Um Radikalisierungen zu vermeiden, sei es wichtig, in der Gesellschaft genügend Bildungsangebote und Angebote zum Zuhören zur Verfügung zu stellen.

"Jeder Mensch ist in der Lage gut zu sein – wenn er keine Angst hat", sagt Zulehner. "Und es ist immer die Angst, die böse macht." Zuzuhören und im Gespräch zu bleiben sei entscheidend. "Wir müssen in unserer Umwelt schauen: Wo ist jemand, der ein großes Ohr braucht?"

Was vielen Menschen schon längst nicht mehr bewusst ist: Wir haben nur eine Aufmerksamkeit. Das Gehirn ist (noch) nicht dafür gemacht, alles gleichzeitig zu tun: Auf dem Smartphone zu surfen, am PC gefühlte 100 Mails pro Tag zu checken und parallel dazu den Fernseher aufzudrehen, weil dort gerade die aktuellsten News gesendet werden (oder allenfalls Richter Alexander Hold ordiniert). Wissenschaftler haben es bereits mehrfach betont: Multitasking ist ein Mythos, der einfach nicht funktioniert. So sehr uns das auch eingeredet bzw. oktroyiert wird. Irgendwo müssen wir also nachlassen – meist da, wo es am wenigsten wehtut. Etwa beim Zuhören. Wer weniger hinhört, muss weniger hin – zum anderen, zu einem Thema, in eine Sache. Es heißt, Zuhören sei eine Kunst. Stimmt. Aber noch viel mehr ist es harte Arbeit. Es bedingt nämlich, dass man sich mit einem Gegenüber und mit dessen Gedankenwelt auseinandersetzen, sich also dafür "öffnen" muss. Und zwar konsequent. Das wiederum bedeutet, sich auf etwas einzulassen – sogar dann, wenn es unbequem ist. Doch nur so kann Beziehung entstehen – in deren Rahmen man einander versteht, aufeinander zugeht, etwas füreinander tut. Das war schon immer wichtig – aber gerade jetzt ist es wichtiger denn je.

Bei Hörproblemen geht es "nicht darum, lauter zu hören – es geht im Regelfall darum, den anderen verstehen zu können", sagt Oliver Lux, Geschäftsführer von Hansaton, beim KURIER-Gespräch.

"Irgendwann merkt man, dass man aus den Umfeldgeräuschen, aus dem Störlärm heraus die Stimme nicht mehr herausfiltern kann", so Lux. "Aber der Mensch ist ja sehr adaptionsfähig und sucht lange keinen Arzt und keinen Akustiker auf, sondern vermeidet einfach bestimmte Situationen – etwa gewisse Lokale mit viel Hintergrundmusik und hohem Lärmpegel." Dies gehe oft über viele Jahre. "Viele ziehen sich zunehmend zurück und versuchen, ihren scheinbaren Makel zu umschiffen." Den Ausdruck "scheinbarer Makel" wählt er bewusst, sagt Lux: Denn in den meisten Fällen kann ein Hörverlust, was auch immer die Ursache dafür ist, entweder durch eine medizinische Behandlung, durch ein Hörgerät oder ein Implantat zumindest in weiten Teilen überbrückt werden.

Leidensdruck

Trotzdem kommen die Betroffenen in der Regel "erst dann zu uns, wenn es einen gewissen Leidensdruck gibt. Wenn zum Beispiel der gut hörende Partner zusehends genervt ist, der Fernseher sehr laut eingestellt ist oder der eine dem anderen unterstellt, dass er bestimmte Dinge absichtlich nicht hört. Deshalb motivieren wir unsere Kunden, auch immer den Partner mitzubringen".

Das Ohr sei das einzige Sinnesorgan, das durch ein Implantat vollständig ersetzt werden kann, betont Lux. Heute könne Menschen durch Implantate eine Hörqualität ermöglicht werden, die früher unerreichbar war. Erhalten Kleinkinder ein Cochlea-Implantat, ermögliche dieses die notwendigen Impulse, um das Gehirn und Emotionen zu entwickeln und alle von den Eltern ausgelösten liebevollen Geräusche mitzubekommen: "Durch das Hören erleben wir Emotionen, Sprache, Musik. Ohne all diese Erfahrungen ist das Leben um vieles ärmer."

Kommentare