So lernen Kinder guten Geschmack

So lernen Kinder guten Geschmack
Das erste Slow-Food-Kochbuch für Kinder soll mehr Lust auf Gesundes machen – und der ganzen Familie zeigen, wie viel Spaß man in der Küche haben kann.

Fast täglich gibt es neue Meldungen zum Thema „schädliches Essen“: Die Wurstsemmel zwischendurch steht fast auf einer Ebene mit Passivrauchen. Seit Jahren warnen Experten in diversen Studien, dass Kinder zu oft Fertiggerichte bekommen und Kindernahrungsmittel zu viel Zucker oder Salz enthalten. Eltern, die sich über gesunde Ernährung Sorgen machen, beklagen sich: „Mein Kind isst gar kein Obst“ oder „Ich brauche Tricks, wie ich Gemüse ins Essen schummle“.

Das erste „Slow-Food-Kochbuch“ für Kinder will jetzt mehr Lust auf gesunde Ernährung erzeugen. „Der kleine Koch“ stellt 33 Rezepte vor, die Kinder mit Nahrungsmitteln aus der Umgebung selbst zubereiten können. Bei der Mischung aus experimentellen Speisen und Kinder-Klassikern – nach Jahreszeiten eingeteilt – ist für jeden kleinen Gourmet etwas dabei. Beim KURIER-Testkochen durften Joel (9), Gidi (7) und Noa (3) – dem Slow-Food-Konzept entsprechend – bereits bei der Menüplanung mitwirken: Passend zum Herbst Kürbissuppe und Apfel-Zimt-Kuchen, aus dem Kapitel Sommer die Pizza. Die Lieblingsspeise vieler Kinder kommt oft aus dem Tiefkühler.

Viel Zeit und gute Nerven sind nötig, wenn die Kinder alles selbst machen dürfen. Aber das gemeinsame Kochen „wirkt“: Es macht Lust aufs Essen („Es riecht so gut, vielleicht koste ich es sogar“) und ist ein Anstoß für weitere Genussaktivitäten. Denn die Frage „Wie wächst eigentlich ein Kürbis?“ kann man einem Stadtkind gar nicht so leicht beantworten.

Gemeinsames Werken in der Küche sorgt auch für positive Stimmung in der Familie, betont Barbara van Melle, Mitinitiatorin der Slow-Food-Bewegung in Österreich: „Freizeit hat in unserer Gesellschaft meist mit Konsum zu tun. Dabei könnte man freie Zeit mit den Kindern auch in der Küche verbringen. Sie genießen das sehr und profitieren davon. Wenn ich gekocht habe, wollten die Kinder schon als Kleine entweder mithelfen oder zumindest daneben sitzen und sich unterhalten.“

Gutes Essen erkennen

Genau diese lustvolle Auseinandersetzung mit dem Essen fehlt in unserer Fast-Food-Kultur, stellt sie fest: „Ich habe erst kürzlich in einem Supermarkt erlebt, dass Jugendliche bei einer Exkursion viele Gemüsesorten gar nicht kannten oder sie nicht unterscheiden konnten – etwa Gurken und Zucchini.“

Da immer weniger frisch auf den Tisch kommt, entgehen Kindern die Sinnesreize des Kochens: das Ansehen und Schmecken der einzelnen Zutaten, der Geruch, der Appetit auslöst, die Möglichkeit, selbst mitzuarbeiten, bedauert van Melle. Den Effekt von Geschmack erlebte die vierfache Mutter drastisch in ihrer Familie: „Bei meinen älteren Kindern habe ich von Anfang an auf Vielfalt geachtet und sie vieles kosten lassen. Aber meine jüngste Tochter ist erst mit zwei Jahren als Pflegekind zu uns gekommen. Da waren viele Geschmäcker so ungewohnt für sie, dass ihr von Erdbeeren fast übel wurde. Erst langsam öffnete sie sich für neue Lebensmittel.“

Studien zeigen, dass sich das Geschmacksempfinden auch auf das Gewicht auswirkt: So stellte die Berliner Charité fest, dass übergewichtige Kinder die Geschmacksrichtungen schlechter auseinanderhalten können als schlanke. Das wirke sich auch weiter auf deren Essverhalten aus. Experten betonen, dass Kinder möglichst unterschiedliche Nahrungsmittel probieren sollen, um sie intensiver zu schmecken.

Verschärft wird das Problem insoferne, als Eltern und Kinder den ganzen Tag nicht zu Hause sind, so van Melle. In Schulen und Kindergärten fehlt das Ernährungsbewusstsein. Starköche wie Jamie Oliver bemühen sich mit Kampagnen, die Schüler zu gesundem Essen zu motivieren und die Verantwortlichen aufzurütteln. Oft vergeblich. Auch Österreich hat ein Problem bei der Ganztagsbetreuung, gab Familienministerin Sophie Karmasin vergangene Woche zu: „Nur jedes zweite Kind ist mit dem Mittagessen wirklich zufrieden. Und dann isst es wenig oder gar nicht.“

Wo wächst unser Essen?

So lernen Kinder guten Geschmack
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Im Unterricht hat Ernährung hat kaum Platz: „In der Schule meiner Tochter gibt es einen Kochkurs, das ist eine Ausnahme. Dort erleben Jugendliche, wo das Essen herkommt“, erzählt van Melle. „Einmal haben wir eine Aktion gemacht, wo Kinder Äpfel vom Baum ernten konnten. Für die meisten war es das erste Mal.“
Im Slow-Food-Kochbuch wird daher auch das richtige Einkaufen betont: So empfiehlt „Der kleine Koch“ seinen Lesern, nicht nur im Supermarkt, sondern einmal auf einem Bauernmarkt oder in einer Gärtnerei einzukaufen. Barbara van Melle ist besonders von Projekten begeistert, bei denen die Kinder selbst Gemüse anpflanzen können. Das wirke auch bei den heikelsten Essern appetitanregend: „Ich habe noch kein Kind erlebt, dass eine selbst gezogene Karotte nicht sofort waschen und essen wollte.“

Back mit mir. Pizza, Brot und Süßes – mit tollen Wissenstipps,

Dorling Kingsley 2015, 10,30 €

Der kleine Koch. Lieblingsrezepte für Kinder, Junior Slow e.V., oekom 2015, 13,40 €.
Rezepte nach Jahreszeiten, richtet sich per du an die Kinder.

Kinder, Essen! Facultas 2015, 16,50 €.
Köstlich gemachtes Kochbuch mit vielen leichten Rezepten.

Lernen in der Küche: Wie Kinder nebenbei Rechnen übenMontessori-Pädagogik.Essen zuzubereiten hat in Montessori-Kinderhäusern und -schulen eine wichtige Bedeutung. Sabine Hütter vom Wiener Montessori-Campus Hütteldorf erklärt diese „Übungen des täglichen Lebens“: „Schon im Alter von drei bis sechs Jahren richten sich die Kinder die Jause selbst her, streichen sich Brote und schneiden das Gemüse. Das machen sie sehr gerne und es stärkt ihre motorischen Fähigkeiten.“

Die Größeren kochen schon selbst: „Aus den Klassen der Neun- bis Zwölfjährigen bereitet eine Gruppe ein Mal pro Woche das Essen mit einer Köchin vor. Das beginnt mit dem Einkauf im Supermarkt. So sehen die Kinder, was die Produkte kosten. Wir legen auch großen Wert auf biologische Ernährung.“ In der Küche wird dann gemeinsam gearbeitet. Hütter: „Da kommen viele Faktoren zusammen. Einerseits beschäftigen sie sich mit den Nahrungsmitteln, aber sie üben auch sinnerfassendes Lesen, wenn sie die Rezepte verstehen müssen, und Mathematik, wenn sie wiegen und rechnen. Und das Kochen von Knödeln ist wie ein physikalisches Experiment.“

Die Großen machen das tägliche Mittagessen für 40 bis 45 Jugendliche selbst, erklärt Hütter: „Da lernen sie Arbeitsteilung und Planung. Und sie merken, dass manche in Mathematik gut sind und andere in Kochen oder Organisieren.“

Sie selbst war früher keine Küchenfee: „Ich habe erst von meinen Schülern die Freude am Kochen gelernt. Einige meiner Kochgenies werden jetzt in der Hotelfachschule echte Profis.“

Für ein „Zurück-zu-den-Wurzeln“-Projekt wurde jetzt der Kinderreise-Anbieter Vamos mit einem Tourismus-Preis ausgezeichnet. Im Urlaub können die Kinder sich als „Schnupperbauern“ und „Ackerhelden“ betätigen. Sie ernten mit den Kinderbetreuern das Gemüse und bereiten in einer Kinder-Küche ein dreigängiges Menü zu (www.vamos.de).

Auch in der City Farm Schönbrunn (http://blog.gourmet.at) oder im Schloss Hof (www.schlosshof.at) werden die Kinder während der Saison zum Anbauen und Ernten oder zumindest Ernte-Feiern eingeladen. So bekommen sie ein Gefühl für die Sorten der Saison.

Das gleiche Ziel hat das Projekt „Schule in die Gärtnerei“, bei dem Wiener Kinder im Frühjahr Pflanzen setzen können und dort frisches Gemüse riechen und kosten dürfen (www.zumgaertner.at/schule).

In der Schoko-Manufaktur von Josef Zotter können die Besucher die Bestandteile der Schokolade erschmecken (www.zotter.at). In seinem „Essbaren Tiergarten“ mit Ziegen, Schafen & Co. verfolgt der Schoko-König das pädagogische Ziel, Kindern zu zeigen, dass Fleisch nicht nur in Schnitzelform existiert.

Der Verein „Slow Food“ hat jeden Samstag am Wiener Karmelitermarkt einen Stand von Produzenten mit frischen Produkten. Außerdem wird eine Veranstaltung mit Kinderprogramm zum Thema „Brot backen“ vorbereitet, verrät Barbara van Melle schon. Dort können die Kleinen von Josef & Co. lernen (www.slowfood.wien).

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