Klicken, liken, kommentieren: Facebook wird zehn Jahre alt
Mehr als viereinhalb Milliarden Botschaften werden täglich auf Facebook geteilt – vier Milliarden Fotos, Links, Meinungen. Sie alle könnten dazu beitragen, dass wir unsere Individualität verlieren. Davor warnt die britische Neurowissenschaftlerin Susan Greenfield. Sie untersuchte, wie der Umgang mit dem sozialen Netzwerk das menschliche Gehirn verändert hat. „Das Gehirn hat die einzigartige Fähigkeit, sich seiner Umgebung anzupassen – es ist formbar. Da wir in einer digitaler werdenden Welt leben, sind wir permanent auf Alarmbereitschaft getrimmt, was andere Menschen gerade tun oder welche Meinung sie vertreten. Dadurch ändert sich unsere Denkweise, unsere Einstellung zu vielen Dingen,“ sagte sie dem Telegraph.
Eine Reizüberflutung, die Iris eines Tages zu stressig wurde. Die 29-Jährige verbrachte viel Zeit – beruflich und privat – auf Facebook. „Sobald ein Zeitfenster offen war, habe ich reingeschaut.“ Irgendwann kam der Tag, an dem sie beschloss, sich abzumelden. „Man liefert sein Leben, seine Meinung, seine Ansichten visuell, akustisch oder schriftlich aus. Aber wie wichtig ist es, was die anderen denken und wie viele Likes ich bekomme? Man verstrickt sich in einer Illusion.“ Die Entscheidung, ihr Konto zu löschen, hat Iris nicht bereut: „Obwohl anfangs noch ab und zu der Impuls kam, bei Facebook reinzuschauen, war es sehr befreiend, die Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt zu lenken.“
Narzissmus
Schneller, leichter, zwanglos: Das sind Begriffe, die dem Kommunikationsexperten Klaus Eck zu Facebook einfallen – und: „Auf Facebook lernen viele Menschen, Bilder, Texte und Videos miteinander zu teilen“. Durch das Sharing ebenso wie durch den Facebook Messenger sei die digitale Nähe größer. Die persönliche Kommunikation finde ihren alltäglichen Ausdruck auf Facebook. „Auf Facebook können wir unsere Arbeits- und Privatkontakte einfacher und zwangloser pflegen“, sagt Eck. Von Nachteil sei manchmal der übertriebene Narzissmus Einzelner, die der Welt alles ohne Rücksicht auf Verluste mitteilen.
Obwohl Facebook derzeit mehr als eine Milliarde Nutzer hat, prognostizieren Experten ein frühes Ende. Wissenschaftler der Universität Princeton behaupten, dass Facebook in den nächsten drei Jahren bis zu 80 Prozent seiner Nutzer verlieren wird. Sie analysierten das Suchinteresse für Facebook und verglichen es mit dem einst populären Netzwerk MySpace.
Junge wandern ab
Vor allem Jugendliche kehren dem größten sozialen Netzwerk den Rücken. Wie etwa der 17-jährige Fabian Haider. „Meine Fotos poste ich meistens auf Instagram. Das ist wegen der verschiedenen Bildeffekte einfach cooler. Wenn ich Nachrichten schreiben will, benütze ich
WhatsApp. Damit bin ich mobiler als mit Facebook.“ Viele seiner Freunde hätten das Interesse am größten aller sozialen Netzwerke verloren. „Wir nutzen es hauptsächlich für die Schule. Meine Klasse hat eine eigene Gruppe, in der wir Unterlagen austauschen.“ Die ältere Generation ist nicht unschuldig am wachsenden Desinteresse der Jugend: „Seit so viele Eltern auf Facebook sind, wollen wir dort nicht mehr so viel posten. In anderen Netzwerken haben wir mehr Privatsphäre.“
Apropos „ältere Generation“: Die 66-jährige Hermine Scherzer meldete sich vor fünf Jahren an und postet seither fleißig. Ihr gefällt’s, sie fühlt sich davon angesprochen. Und nutzt es, um etwa Bekanntschaften mit möglichst Gleichgesinnten zu schließen, sich auszutauschen und zu informieren. Dabei hätten sich schon „nette, echte Freundschaften ergeben.“
Als Facebook am 4. Februar 2004 offiziell startete, war die Webseite ein Studentennetzwerk, das sich von Harvard aus über andere Unis verbreitete und schließlich die ganze Welt erreichte. Von dieser Zeit erzählt auch der Film „The Social Network“.
Höhe- und Tiefpunkte
2009, als 25-Jähriger, war Zuckerberg der jüngste Self-made-Milliardär der Welt. Drei Jahre später sollte der Börsengang von Facebook einer der größten und glanzvollsten aller Zeiten werden. Tatsächlich entpuppte er sich als einer der am meisten verpatzten, unter anderem wegen technischer Pannen. Nur dank massiver Stützungskäufe war verhindert worden, dass die Aktien nicht unter ihren Ausgabekurs von 38 US-Dollar gefallen waren. Mittlerweile befindet sich die Aktie auf Erfolgskurs, 2013 gelang Facebook ein durchaus erfolgreiches Comeback an der Börse. Ende 2013 nutzte Zuckerberg den Höhenflug der Facebook-Aktie und verkaufte sein bis dato größtes Paket an Anteilsscheinen. Er bot knapp 41,4 Millionen Aktien an und soll damit um die 1,7 Milliarden Dollar eingenommen haben.
Scheuer Philanthrop
Private Fotos des Kapuzenpulli- und Turnschuh-Liebhabers sind rar, was wohl mitunter daran liegt, dass er die Nachbargrundstücke seines Hauses aufkaufte, um sich und seine Frau vor Paparazzi zu schützen. Zuckerberg und die Privatsphäre – ein eigenes Kapitel.
2011 wurde ein 13-jähriger Bub aus dem Unterricht zitiert, aber nicht wegen schlechten Benehmens. Die Agenten des Secret Service verhörten ihn, weil er nach dem Tod von Osama Bin Laden einen Facebook-Kommentar verfasst hatte, der nach Meinung des Geheimdienstes Präsident Obama gefährden könnte. Wer auf Facebook postet, sollte daran denken, dass Urlaubsgrüße während des Krankenstandes bis zum Chef durchdringen können. „Bin ab heute bis einschließlich Samstagabend mit meinem Dreimäderlhaus in Italien auf Urlaub und nicht erreichbar! Wünsche euch allen eine schöne Woche!“, ließ ein Oberösterreicher seine Facebook-Freunde wissen. Der Haken: Er war zu dieser Zeit krank gemeldet – und nach dem Urlaub arbeitslos.
Dass es sich lohnt, die Privatsphäre-Einstellungen zu checken, weiß seit 2012 eine junge Niederländerin. Sie wollte ihren Geburtstag im kleinen Rahmen feiern. Weil sie vergessen hatte, das Event als „privat“ zu markieren, kamen mehr als 3000 ungebetene Gäste. Diese entpuppten sich als Randalierer und hinterließen umgerissene Straßenschilder, angezündete Autos und aufgebrochene Geschäfte. Dennoch: Facebook-Postings können sogar Leben retten. 2011 suchte die Mutter eines Vierjährigen eine Klinik auf, weil sein Gesicht rot und geschwollen war. Da ihr niemand helfen konnte, lud sie Fotos von ihm auf Facebook. Andere Nutzer wiesen sie darauf hin, dass ihr Sohn am Kawasaki-Syndrom litt.
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