Humorvolles Stück spielt mit Vorurteilen
Jugendliche, die – möglicherweise - in den Dschihad gezogen sind – kann so ein Thema anders als „bier“ernst, betroffenheits-triefend, mit erhobenem Zeigefinger abgehandelt werden? Ja kann – in etlichen Jugendbüchern, die in den vergangenen zwei, drei Jahren praktisch alle Verlage herausgebracht haben, ging es immer darum, zu ergründen, was Jugendliche veranlassen könnte, auf diese Bahn zu geraten. Viele auch ohne die beiden zuletzt genannten Attribute, aber doch immer ernst. Dass selbst so ernste Themen mit einer mehr oder minder gehörigen Portion Humor dargestellt werden können, zeigte schon „Töchter des Jihad“, ein szenisch-dokumentarischer Bilderbogen über Kinder, Küche, Kalaschnikoff und das Leben im IS (Koproduktion von dieheroldfliri.at, KosmosTheater/Wien) und Theater Reutlingen Die Tonne). Seit kurzem läuft ein anderes Stück – „Stirb, bevor du stirbst“ --, das zwar von der Handlung her junge vermeintliche „foreign fighters“ als Plot hat in Österreich erstmals im Theater Forum Schwechat. Uraufgeführt wurde es in Köln – mit einem anderen Schluss. Und für das Theater Forum Schwechat ist es die erste Eigenproduktion unter der neuen Intendantin Manuela Seidl, die hier auch Regie führte.
Klischees verdrehen
Nachbarinnen-Streit
Völlig fertig von vielen Nachtdiensten als Krankenschwester langt Sabine (Barbara Braun), Gertruds Tochter zu Hause an, giftet die neue Nachbarin sofort an, schmeißt sie aus der Wohnung – immer gleich auch mit „solche wie die...“, ruft die Polizei wegen Ruhestörung, weil Magda in ihrer Wohnung Musik spielt, noch dazu fremdländisch klingende. Und siehe da, schwupp di wupp taucht auch schon ein Polizist (Martin Schlager) samt klappbarem Regiestuhl mit der Aufschrift 007 und James-bond-Handyklingelton auf. Er will – das erahnen wir ja vom Kurztext im Programmzettel – über Sabines Sohn reden, der vermeintlich, wird aber als fix angegeben, nach Syrien ausgereist ist. Sie geht davon aus, er sei wegen ihres Anrufs in Sachen Nachbarin gekommen. Ein für etliche Lacher sorgendes Missverständnis. Obendrein trägt die Figur des Polizisten kottaneske Züge.
Beim Imam
Auch Philipp (Michael Perner) und Mustafa (Samuel Meister) tauchen auf, als kämen sie von einem Bergausflug, kennen sich nicht aus, weil sie nicht ... – nein, ganz sei das Ende nicht verraten. Zwar geht’s nicht wirklich um die Spannung, sondern um die immer wieder in witzigen Dialoge, Missverständnisse, Streitgespräche eingepackten demaskierten Vorurteile und Klischeebilder, aber dennoch sollen Zuschauer_innen sich auch vom Ende überraschen lassen können. Nur so viel, Regisseurin Manuela Seidl war mit jenem Ende, das in Köln gespielt wurde, nicht glücklich, änderte es – und der Autor fand sein ursprünglich geschriebenes Ende hier in Schwechat. Wenngleich er es noch eher offener mit einem Anflug von Zweifel gemeint hatte.
Interview mit dem Autor
Mit Theater hatte Ibrahim Amir schon in seiner ersten Heimat zu tun, als Angehöriger der kurdischen Minderheit in Syrien erlebte er Aktivist_innen des kurdischen Widerstands, die mit kleinen szenischen Stücken ihre Inhalte zu verbreiten versuchten. Trotz des Ernstes, immer wieder auch mit Sarkasmus, Ironie und Humor. Nach „Habe die Ehre“, das vor drei Jahren im Hamakom, im Theater Nestroyhof, uraufgeführt worden war, hatte der Autor zum Kinder-KURIER gemeint: „Diese Art, brutale Geschichten in so eigenartigem Humor darzustellen, entspricht völlig mir und meinem Umgang mit tragischen Situationen. Das hab ich von meinem Großvater gelernt. Der konnte in den verzweifeltesten Momenten - und von solchen hatten Kurde_innen auch schon früher in Syrien mehr als genug - auch drüber lachen. Das heißt nicht, dass ich das nicht ernst nehme, im Gegenteil. In dem Fall die Schauspieler müssen die Situation, die Rolle total ernst nehmen, nur durch die Konstellation ergeben sich dann Wendungen und lustige Momente."
Letzteres ist damals in Wien vielleicht doch besser gelungen als – zumindest bei der Premiere - in Schwechat, wo einige der Darsteller_innen den Humor vielleicht mit zu viel Nervosität überlagerten. Voll zur Entfaltung brachte diesen, wie schon oben erwähnt, Angela Schneider als Oma Gertrud.
Eigenproduktion Theater Forum Schwechat
Komödie; ca 2 Stunden
Autor: Ibrahim Amir
Regie: Manuela Seidl
Es spielen
Sabine: Barbara Braun
Gertrud: Angela Schneider
Magda: Petra Niedermayer
Polizist: Martin Schlager
Imam: Marius Schiener
Philipp: Michael Perner
Mustafa: Samuel Meister
Regieassistenz: Stephanie Grünberger
Bühne und technische Leitung: Thomas Nichtenberger
Technische Assistenz: Reinhard Kralik
Rechte: Per H. Lauke Verlag
Wann & wo?
Bis 24. April 2017
Theater Forum Schwechat
2320, Ehrenbrunngasse 24
Telefon: (01) 707 82 72
www.forumschwechat.com
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