Herr Otto, der lebendige Aktenschrank mit Herz

Szenenfoto aus "Kein Päckchen für Sando" vom Mezzanin-Theater, Graz
Berührende Theaterstunde über Amtsschimmel und einen rumänischen Buben auf der Suche nach seinen Eltern. Gastspiel im Wiener WuK.

„Privat“, „Vernichtung“, „Verlauf“ und „soziale Zwecke“ steht auf vier der Türen eines sehr alt wirkenden Bürokastens. Ganz oben steht Otto. Und mit „Herr Otto“ sprechen ihn auch die beiden Mitarbeiterinnen, die sich morgens in grauen Arbeitsmäntel zwängen und obendrein Ärmelschoner überziehen, an. Er redet zwar nicht direkt zurück, scheint aber lebendig zu sein. So wirft er ein Päckchen aus einem offenen Regal zu Boden.

Herr Otto, der lebendige Aktenschrank mit Herz
Szenenfoto aus "Kein Päckchen für Sando" vom Mezzanin-Theater, Graz
Frau Rödel und Frau Birnbaum klauben es auf, vermessen es schätzen Gewicht, schütteln‘s für den Geräuschtest und schnüffeln daran – Geruchstest. Wir befinden uns hier in der Abteilung für unzustellbare Poststücke und die eingangs genannten Kasteln geben vor, was mit solchen geschehen sollte – das erste ist einfach für privaten Dinge der Mitarbeiterinnen. Das erwähnte Päckchen landete hier, weil der Absender nicht korrekt angegeben wurde. Adressiert an einen Sando Constantin mit einer Adresse in Rumänien.

Vurschrift is Vurschrift - oder?

Herr Otto, der lebendige Aktenschrank mit Herz
Szenenfoto aus der Aufführung im Wiener WuK
Sollte man nicht nachschauen, was drinnen ist? Nein, so Frau Birnbaum, das sei voll gegen die Vorschriften, weil die Datumskontrolle ergibt, dass es noch nicht ein Jahr lang hier liegt. „Sch...egal“ meint die Kollegin. Auf ihre Verantwortung öffnet sie’s. Ein Geburtstagsgeschenk für den Buben ist drinnen – und ein Brief seiner Eltern, die in Graz arbeiten und eine neue Adresse haben. Als das Packerl in Rumänien angekommen ist, konnte es die Oma, bei der Sando lebt, nicht von der Post holen, weil sie tödlich verunfallte. Sando kommt in eine Waisenheim...

Die Geschichten von und rund um Sando „erzählt“ der Kasten – manche Stationen in Form von Schattentheater in einem der kleineren Kasteln, die sich öffnen. Andere werden über Figuren und kleine Requisiten dargestellt. Sando haut aus dem Heim ab und macht sich auf den Weg nach Österreich. Mal spielen das die beiden Schauspielerinnen mit Koffer im Vordergrund, vieles aber wieder im und rund um den Kasten mit Figuren – nicht zuletzt jener, die als Geburtstagsgeschenk im Päckchen war.

Herr Otto, der lebendige Aktenschrank mit Herz
Szenenfoto aus der Aufführung im Wiener WuK
So manche Kinder auf dieser Welt haben kein Glück, vor allem jene wie Sando oder andere, die flüchten müssen, erzählen Dialoge bzw. Zeitungsartikel. Solchen Menschen schlägt obendrein oft Ablehnung und Hass entgegen – einfache Bananenschachteln vor den Gesichtern verstärken die entsprechenden Sprüche, die die beiden Schauspielerinnen in böse, hetzende Furien verwandeln. Weniger böse geben sie sich auch als ignorant zu erkennen, wenn sie sich wundern, dass es in Rumänien schöne Bäume und Kirchen gebe.

Gelungenes Zusammenspiel

Herr Otto, der lebendige Aktenschrank mit Herz
Szenenfoto aus der Aufführung im Wiener WuK
Der lebendig werdende Kasten mit Herz, der die beiden Frauen durch seine Erzählungen dazu bringt, Sando zu helfen, soll übrigens von den Chefitäten entsorgt werden und durch ein billiges Plastik-Regal ersetzt werden. Und dennoch – zumindest für Sando gibt’s ein Happy End in der Grazer Triesterstraße. Äußerst gelungen ist das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Theaterformen – Schau-, Schatten- und Figurenspiel. Und beim Schauspiel ist vor allem die authentische, erdige, spontan wirkende humorvolle Art von Annegret Janisch hervorzuheben.
Herr Otto, der lebendige Aktenschrank mit Herz
Szenenfoto aus "Kein Päckchen für Sando" vom Mezzanin-Theater, Graz
Kein Päckchen für Sando
Mezzanin Theater, Graz

Regie: Annette Scheibler
Es spielen: Martina Kolbinger-Reiner, Annegret Janisch; im Hintergrund: Anaïs Rabelhofer

Bühne/Technik: Christina Weber
Kostüme: Corinna Schuster
Regieassitenz: Leonie Bramberger

Wann & wo?
Bis 21. Jänner 2017
Wien, WuK (Werkstätten- und Kulturhaus): Museum: Stiege 1, 1. Stock
1090, Währinger Straße 59
Telefon: (01) 401 21-0
www.wuk.at

Gastspiele in Bludenz, Hall/Tirol/KuKuK-Theaterfestival Steiermark/Welser Figurentheaterfestival
Zu den Terminen auf der Mezzanin-Homepage

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