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Szenenfoto aus "Nirgends in Friede. Antigone"
„Nirgends in Friede. Antigone.“ von diverCITYLAB & Dschungel Wien: Junge Schauspiel-Absolvent_innen spielen den Bogen zentraler Fragen von der Antike bis heute.

In ihrer Grau-Gesprenkeltheit vermitteln die Quader von Anfang an die Anmutung alter Steine – passend zu der vor rund 2500 Jahren von Sophokles verfassten Ur-Version der antiken Tragödie „Antigone“. Dazwischen eilen allerdings recht heutig hektisch unterschiedlichst gekleidete Frauen und Männer in verschiedenen Sprachen handy-fonierend auf einem Flughafen umher, zu dem das Ambiente nun wird. Alle paar Sekunden eine Ansage, dass dieser oder jener Flug gecancelt wurde, da oder dort die Einreise nicht möglich ist. Der – wieder offene Flughafen steht nach eineinhalb Stunden am Ende des Stücks.

Der Flughafen als Ort internationaler Begegnung einerseits und Trump’scher Einreisestopps andererseits ist eine neue Rahmenhandlung für „Nirgends in Friede. Antigone.“ der in Zürich und Berlin sowie von 2012 bis 2014 in Ägypten und Tunesien lebenden Autorin Darja Stocker (Auftragswerk für das Theater Basel). Ein bisschen sehr gewollt und zwanghaft wirken Ein- und Ausstieg. Organischer sind dafür die Anklänge an aktuell Innenpolitisches im Verlauf des Kernstücks.

Bogen über 2500 Jahre

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Szenenfoto aus "Nirgends in Friede. Antigone"
„Nirgends in Friede. Antigone.“ stellt selbst schon einen großen Bogen über die 2500 Jahre her, in dem es zwar bei Sophokles und seinem „Personal“ – Antigone, Kreon, Ismene und den nie real vorkommenden, weil schon toten verfeindeten Brüdern Polineikes und Eteokles – anknüpft, aber allgemein gültige Fragen ins Zentrum des Geschehens rückt:

* Betrachten wir wirklich alle Menschen als gleichwertig wie es ja auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vorsieht? Oder sind nicht allzu oft jene, die zu den „anderen“ gezählt werden und damit deren Schicksal, eigentlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Polineikes, der als Verräter gebrandmarkt wird, darf ja nicht einmal richtig begraben werden. Eteokles hingegen liegt sozusagen in einem Ehrengrab. Diesen Konflikt rückt Darja Stocker eher ans Ende des Stücks, ihr geht’s – wie sie in einem Interview auf der Homepage des Basler Theaters sagt – mehr um das Leben vor dem Tod, darum, dass jene „anderen“ oft – sehenden Auges – unter unwürdigen Bedingungen leben müssen, selbst wenn sie es über die Mauern Thebens oder der Festung Europas geschafft haben.

* Eine weitere zentrale Frage ist die der Antigones – in diesem Stück gibt es 3 – nach der Wahrheit. Wer war denn Polineikes, was ist wirklich geschehen, stimmt die Erzählung des Herrschers Kreon?

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* Und schließlich geht’s natürlich um den Widerstand der Antigones – deswegen drei, damit nicht, wie die Autorin meint, die eine als Verrückte allein und bloß gestellt werden kann, sondern es um organisierte Auflehnung gegen die Herrschenden, um Suche und Kampf nach demokratischen Alternativen geht. So „nebenbei“ zieht sich damit eine weitere Frage durch das – eben vor zweieinhalb Jahrtausend entstandene original/Vorbild: Ist die Menschheit, sind wir in der Lage, aus der Geschichte zu lernen?

* Und nicht zuletzt dreht sich vieles auch darum, wer kann wie Mitgefühl für das Schicksal, die Menschen neben einem/einer entwickeln. Oder leben alle nur in ihrer Ich-AG, ihrer eigenen Blase, wurscht, was rundherum – auch wenn das vielleicht ein bisschen weiter weg ist – passiert.

Vielschichtig zu erleben

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All das – und noch die eine oder andere Facette mehr – wird von den jungen multikulturellen Schauspielerinnen und Schauspielern, die mit diesem Stück ihre vierjährige praxisorientierte Performance- und Schauspielausbildung im diverCITYLAB beenden, spannend auf die Bühne gebracht. Das Fragen, das Suchen, das Widerständige oder Abwehrende (Wächter – sozusagen Frontex), das Machthaberische ist immer wieder (mit) zu erleben. Auch die Fragen nach den Werten, von denen seit einiger Zeit so viel die Rede ist – und die eher als Abwehrmechanismus eingesetzt zu werden schienen denn als Hochhalten der allgemeinen Menschenrechte.
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Nirgends in Friede. Antigone.
diverCITYLAB & Dschungel Wien in Kooperation mit Werk X
Schauspiel, 1 ½ Stunden; ab 16 J.

Autorin: Darja Stocker
Regie: Corinne Eckenstein
Darsteller_innen:
Antigone 1: Ines Miro
Antigone 2: Elif Bilici
Antigone 3: Zeynep Alan
Ismene: Ayşe Bostancı
Kreon: Tanju Kamer
Haimon: Onur „Cağdaş“ Şahan
Wächter: Jonathan Fetka

Musik: Uwe Felchle
Bühne: Markus Liszt
Kostüm: Ingrid Leibezeder
Dramaturgie: Anna Schober
Regieassistenz: Sandra Moser
Regiehospitanz: Philipp Moritz
Ausstattungshospitanz: Alaz Deniz Köymen
Dramaturgiehospitanz: Sophie Mashraki
Produktion: Hülya Çelik, Alenka Breitfuss

Aufführungsrechte: henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Fotocopyright: Rainer Berson
Videocopyright: Patrick Topitschnig

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Szenenfoto aus "Nirgends in Friede. Antigone"
Wann & wo?
Bis 17. März 2017; 30. Mai bis 2. Juni 2017
Dschungel Wien, 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-20
www.dschungelwien.at

Interview mit der Autorin auf der Site des Theaters Basel

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