Wie grenzenlos ist grenzenlos?
„Die Werbung des Telefonanbieters versprach: GRENZENLOSE KOMMUNIKATION!!! ....“ beginnt Anna Hackl, die diesjährige Gewinnerin des exil-jugend-literaturpreises ihre Geschichte nach einer Einleitung über ein Bild des Großvaters in Sachen neue Heimat, die er verglich mit neuen Schuhen, die drücken und man sich die alten, zerschlissenen zurückwünsche.
Sie wollen dich hier nicht
Die angesprochene Werbung versprach problemloses rasches Ummelden eines Handys. Und dann schildert die Autorin die erlebte Wirklichkeit. Die Odyssee vieler Telefonate und mehr als unfreundlicher Abwimmelungs-Versuche im Shop selbst hat sie in ähnlicher Art – dies vorweggenommen aus dem Interview – in der Tat erlebt. Im Text liest sich das dann so: „Sie sah mich verächtlich an, ich versuchte, nicht wie sie die Fassung zu verlieren. So höflich wie möglich fragte ich nach, ob ich mich an jemand anderen wenden sollte. Sie schleuderte mir einen Satz entgegen, den ich vom ersten bis zum letzten Wort nicht verstand. Ich merkte, wie mein Atem schneller ging, wie meine Kopfhaut zu jucken begann, wie ich mich zusammenreißen musste, um sie nicht laut anzuschreien. Bitte, sagte ich leise, sagen Sie mir einfach, wohin ich gehen soll. Meine Stimme zitterte, ich schämte mich dafür. Die Frau beugte sich über den Schalter, funkelte mich an und sagte ganz langsam und so leise, dass nur ich sie hören konnte: Do, wo’s herkumman, do kinnan’s hingehn. Ich hielt den Atem an, merkte, wie der Schwindel meinen ganzen Körper ergriff, starrte in ihr hasserfülltes Gesicht, drehte mich um und verließ fluchtartig den Laden...
Nun kam jede Demütigung, jede Beleidigung, jedes Gefühl des Deplatziertseins, jedes tränenbenetzte Kissen, jede schlaflose Nacht, jeder verzweifelte Tagebucheintrag zu mir zurück. Jede Erinnerung, die ich in mir begraben geglaubt hatte, schien mich von innen heraus anzubrüllen: Du kannst es nicht! Du gehörst hier nicht her! Geh nach Hause! Ich griff mir an den Kopf und zwang mich an Sonnenschein, Lachen, Strand zu denken, doch alles führte mich zu diesem einen klaren Gedanken zurück: Sie wollen mich hier nicht...“
Ist ihre Siegertext "Grenzenlos" eine fiktive Geschichte oder sind da mehr oder minder Erlebnisse aller Übersiedlungen/ Neuankünfte in die eine Geschichte eingeflossen? Und wenn nicht (ganz fiktiv) haben da vorherige Notizen geholfen?
Anna Hackl: Die Geschichte ist zum großen Teil fiktiv, wurde aber von persönlichen Erfahrungen inspiriert: Das mit dem Handyanbieter ist mir in meinem ersten Winter in Wien tatsächlich passiert und am Ende der „Odyssee“ war ich so verzweifelt und genervt, dass ich mich fragen musste: Wie soll das denn bitte eine Person schaffen, die das österreichische Deutsch mit all seinen derben Dialekten nicht versteht? Dann dachte ich darüber nach, wie es mir manchmal in anderen Ländern ergangen ist, wenn ich etwas nicht verstanden habe oder mich über ein bestimmtes Verhalten gewundert habe. So kam es zur Geschichte. Dazu kam, dass ich mich schon als in Deutschland aufwachsende Jugendliche gewundert, warum es diese österreichische Werbung mit „dem Inder“ gibt, die ich nie lustig fand…
Wie sind Sie auf Elfriede Jelinek und Anna Mitgutsch gestoßen? (Diese beiden Autorinnen nennte sie in einem Gespräch das im Band mit den Preistexten abgedruckt ist.) Per Zufall oder gezielte Suche nach Autorinnen?
Auf Elfriede Jelinek bin ich in einer Vorlesung im zweiten Semester gestoßen, wo „die liebhaberinnen“ Pflichtlektüre war. Ich war völlig hin und weg und las nach und nach auch ihre anderen Werke. Anna Mitgutsch wiederum ist eine der Lieblingsautorinnen meiner Mutter, welche mir einige Monate nach meiner Rückkehr aus Costa Rica „In fremden Städten“ empfahl – ein Buch, das mich auf völlig neue Art und Weise realisieren ließ: „Hey, das mit dem Kulturschock und sich fremd fühlen, das ist bei anderen genau so!“
Bisher zurückblickend: Haben Sie Ihre mehrfachen teils doch recht massiven – Übersiedlungen eher bereichert oder eher verwirrt?, um das mal so verkürzt zu fragen.
Bei jeder Übersiedlung kommt es meiner Erfahrung auf den Grad der Freiwilligkeit an. Während ich mich noch daran erinnern kann, dass ich die erste Übersiedlung innerhalb Deutschlands mit meinen damals knapp sechs Jahren erstens nicht verstand und zweitens als etwas Abruptes und Gewaltiges wahrnahm, war die Übersiedlung nach Mexiko etwas, worauf ich mich sehr freute, weil ich mehr eingebunden worden war. Und spätere Übersiedlungen, beispielsweise die nach Costa Rica, waren ja alleine meine Entscheidung, was dem Ganzen sowohl einen Beigeschmack von Freiheit, aber auch von großer Verantwortung gab. Insgesamt hat mich rückblickend jeder Tapetenwechsel bereichert und verwirrt zugleich – die Bereicherung merkt man wohl aber erst im Nachhinein, die Verwirrung hingegen sofort…
Gedichte mit der Hand, Geschichten am Laptop
Schließlich möchte ich noch wissen, ob Sie weiter beim Schreiben bleiben (wollen) oder dies „nur“ neben wissenschaftlicher Arbeit zu Ihrem Fachgebiet transkulturelle Kommunikation betreiben werden (möchten)?
Ich möchte auf jeden Fall weiter beim Schreiben bleiben! Mein Studium ist eine Sache, das Schreiben eine andere – auch, wenn sie sich sicher gegenseitig beeinflussen. Aber ich schreibe auch über andere Themen, die nichts mit kulturellen Themen zu tun haben, und ich hoffe, das auch weiter zu tun!
Führen sie Tagebuch? Und Ihre Aufzeichnungen, Notizen machen Sie die handschriftlich oder tippen sie im Smartphone, am Laptop...?
Ich führe kein Tagebuch, das ist irgendwie nicht so ganz mein Format. Meine ersten Notizen mache ich so, wie es gerade geht, je nachdem, wo mir eine Idee in den Sinn kommt. Manchmal in der Uni, manchmal während eines Spaziergangs, manchmal zu Hause – je nach Ort variiert die Aufzeichnungsart. Generell schreibe ich aber Gedichte immer auf Papier und Kurzgeschichten am Laptop.
Mit Texten zu „Sprachbarrieren brechen“ bzw. „Wonach schmeckt die Welt“ gewannen zwei Klassen der Handelsakademie Untere Augartenstraße (Wien-Leopoldstadt) die Kategorie Schulgruppen bei den diesjährigen „Exil“-Literaturpreisen, die Samstag Abend auf der ORF-Bühne bei der Buch Wien vergeben wurden. Der Kinder-KURIER traf einige der jungen Autorinnen und Autoren zum Interview schon vor der Preisverleihung.
Daumen hoch, uuuups...
„Beim Aussteigen zeigte der Historiker dem Taxifahrer mittels hochgehaltenem Daumen, dass alles geklappt hatte. Er wollte sich beim Taxilenker somit bedanken, da er es verbal nicht ausdrücken konnte. Der Fahrer reagierte aber nicht, wie vom Historiker erwartet. Stattdessen sah der Mann den Österreicher wütend an. Als der Taxifahrer ausstieg und mit erhobenen Fäusten auf den Historiker zukam, hielt der Arzt den Iraner auf und erklärte ihm auf Farsi, dass der Österreicher nicht wusste, was diese Geste hier bedeute und sich nur für die Fahrt bedanken wollte. Als der Taxifahrer das hörte, fing er an zu lachen und gab dem Historiker versöhnlich die Hand. Er lud die zwei Männer auf einen Tee ein. Während sie diesen tranken, erzählte der Arzt dem Österreicher, dass der Daumen im Iran gleichbedeutend mit dem Mittelfinger in Europa ist. Da wurde dem Österreicher bewusst, wie viele Unterschiede es gibt.“
Zwölf Jugendliche hatten ihre Texte zum Thema „Sprachbarrieren brechen“ verfasst: Anna Ianchis, Ilias Joya, Joel Karakkattu, Georg Mansour, Tamara Milovanović, Patrick Parth, Iva Pelić, Hakan Sabri, Aleksandar Savić, Michelle Schwiegelhofer, Kurosh Soleimani, Viktoria Vexelberg. Elf davon sandte Lehrerin Katharina Demmelbauer für den Bewerb Literaturpreise Exil ein. Die zuletzt genannte Schülerin bedauert, dass ihrer wegen angeblicher Themenverfehlung nicht dabei gewesen ist. „Dabei hab ich mich mit dem Thema philosophischer auseinander gesetzt.“
„Jetzt wissen wir aber, wenn wir in ein anderes Land fahren, wollen wir uns schon vorher vorbereiten, ein wenig was über Kulturen und Gebräuche, ein paar Wörter lernen, uns aber auch schlau machen, welche Gesten was bedeuten und was man vermeiden sollte“, meinen die fünf Gesprächspartner_innen des Kinder-KURIER.
Der besondere Kuchen
Von Börek über Lahmaçun bis zu einem „besonderen Kuchen“ spannt sich der Bogen der Speisen. An die Texte fügten die Jugendlichen auch die dazugehörigen Rezepte an. Was steckt in dem besonderen Kuchen? Diellza Kuqi beschreibt diese von der Oma zubereitete Süßspeise so: „Es war nicht irgendein Schokoladenkuchen... mit sehr viel Liebe zubereitet. Dieser Kuchen hat mich immer fröhlich und glücklich gemacht...“
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