"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Hinter dem Vorhang spielen sich nciht nur die Verhöre ab, auch Passagen aus dem Roman werden gelesen und gesprochen
Anna Seghers berühmter Roman in einer bedrückend-berührend-zeitlos-aktuellen Version für junges Publikum.

Traute, fast idyllische Zweisamkeit einer Tochter und ihrer Mutter. Sie liest in einem dicken Buch, die Mutter bittet sie liebevoll, schlafen zu gehen. Anna bettelt, wenigstens noch eine Seite lesen zu dürfen und verspricht, dies aber dann ohnehin schon im Bett tun zu wollen. Liebevolle, zärtliche Gute-Nacht-Verabschiedung mit dem sweeten Song „Oh oh I love you baby, I love you so“ (u.a. in der Version Paul Ankas berühmt geworden).

Brüche

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Doch irgendwie... naja, einerseits scheint schon das Ambiente der Wohnung – mit einem Hauch von Grindigkeit – einen Bruch zur Idylle darzustellen. Zum anderen aber ist es das Wissen um die Story von Anna Seghers „Das siebte Kreuz“. Ein Roman, der auf wahren Geschichten aufbaut. Sieben Flüchtlinge eines Lagers entkommen. Dessen Kommandant lässt schon für jeden einen Baum zum Henkerspfahl umfunktionieren. Sechs werden von seinen Schergen gefangen genommen und aufgehängt. Der siebente entkommt.

Bedrohungen

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Genau, der landet hier in dieser Wohnung, wo er Zuflucht erhofft. Doch noch zuvor kippt Elisabeth nachdem ihre Tochter eingeschlafen ist und sie sich ihrer Verzweiflung hingeben kann (ihr Mann, der im politischen Widerstand gegen die Diktatur war, wurde ermordet – was erst viel später nach und nach erzählt wird) eine Handvoll Tabletten nach der anderen in sich rein und lässt sich in die Wanne sinken.

Der Flüchtling, der in die Wohnung eindringt, rüttelt und schüttelt sie ins Leben zurück. Was Anna als sie munter wird, nicht mitbekommen hat, den Fremden für eine bedrohlichen Eindringling hält, der noch dazu immer wieder mit einer Pistole herumfuchtelt.

Da kommt die nächste Bedrohung – Polizei auf der Suche nach dem Flüchtling, der gerade noch notdürftig von Mutter Elisabeth versteckt werden kann... Dafür wird eine Nachbarin mit auf den Posten geschleppt – ausgelöst von der denunzierenden Hausbesorgerin...

Aktualisiert

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Das theater wozek rückt die Story ein wenig aus Zeit und Raum. Einige Utensilien (etwa Handy) lassen sie im hier und heute spielen, Diktatur ist nicht zwingend der Rahmen – der Umgang mit Flüchtlingen und ihre Abschiebungen, Misshandlungen ins Schubhaft soll auch schon in Demokratien vorgekommen sein.

Genial-arges Schau- und Bilderspiel

Fein und differenziert arbeitet das zentrale Trio (Elisabeth – Marion Rottenhofer, Georg – Charly Vozenilek und Anna – Julia Vozenilek) die Schwankungen zwischen Bedrohung und Annäherung wunderbar spielend heraus. Besonders hervorzuheben ist dabei die Leistung der erst 15-jährigen Julia Vozenilek, die in diesem Stück so viel im Zentrum steht wie in keinem ihrer bisherigen Produktionen. Und obendrein hier einige schier ansatzlosen Auszucker punktgenau und voll glaubhaft ausspielt. Da kommt's mitunter auf den Bruchteil einer Sekunde an!

Hervorragend auch das nicht unübliche Spiel bad cop/“good“ cop. Felicitas Lukas als bitterböse Kriminalbeamtin Fischer, die mit wenigen herausgeschossenen Sätzen und zackigen Bewegungen von der ersten Sekunde ihres Auftritts an Angst und Schrecken verbreitet. Und ihr scheinbar offenerer, liberalerer Chef, der sich hingegen in den Verhörszenen zum abgeklärten Zyniker mausert.

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Und erschreckend genial die die Brutalität von Elisabeths Verhör zeigende Abfolge von eingeblendeten Fotos. Kein ausgeführter Schlag, „nur“ einmal eine angesetzte Pistole, ansonsten entsprechende Kopfbewegungen, mehr und mehr rote Farbe im Gesicht und kontrastiert vom oben schon genannten Sülze-Song – brutale Realität leider wohl in jeder Sekunde im jetzt.

Und doch bleibt am Ende...

... wenn Simonida Selimović geschlagen und maltraitiert sich nicht unterkriegen lässt und die Roma-Hymne Gelem Gelem anstimmt

1. Gelem, gelem, lungone dromenca malaðilem e bute romenca. Barvalenca taj vi e čorenca taj vi lenge bute šavorenca.

Refrain: Aj, romalen, aj šavalen.

2. Aj romalen, katar tumen aven? Katar aven romale butalen? Amen avas anda e Indija, sa le Rom sam sar jek familija.

Refrain

3. Aj romalen, kado drom sas pharo kaj phirasas ando them, o baro. Vurdonenca taj čore cerenca, e asvenca taj bare dukhenca.

Refrain

Übersetzung: 1. Ich bin weite Wege gegangen, und ich habe viele Roma getroffen. Reiche und Arme habe ich getroffen und auch ihre vielen Kinder.

2. Roma, woher kommt ihr? Woher kommt ihr, die ihr so viele seid? Wir kommen aus Indien Wir Roma sind alle wie eine große Familie.

3. Oh, Roma, es war ein schwerer Weg, den wir gegangen sind auf dieser Welt. Mit Wagen und mit ärmlichen Zelten, mit Tränen und mit Schmerzen.

(Version von Ruža Nikolić-Lakatos Text: Miso Nikolić, April 1994)

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Das siebte Kreuznach Anna Segherstheater-wozekSchauspiel, Performance, 80 Minuten

Konzept, Regie: Karl Wozek Darsteller_innen: Marion Rottenhofer, Julia Vozenilek, Charly Vozenilek, Robert Kahr, Felicitas Lukas, Simonida Selimović, Maria Draxler, Christina Kolin, Sabine Hütter und Max Glatz. Bühne: Alexandra Stachl

www.theater-wozek.at/

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

1937 bricht Georg Heisler mit sechs Mitgefangenen aus dem Konzentrationslager Westhofen bei Worms aus. Der KZ-Kommandant Fahrenberg befiehlt, die Entflohenen innerhalb von sieben Tagen zu fangen. Er lässt die Kronen von sieben Bäumen kappen und an den Stämmen in Schulterhöhe je einen Querbalken anbringen, so dass sieben Kreuze entstehen - eines für jeden Flüchtigen. Sechs der Entflohenen werden entweder gefasst oder kommen auf der Flucht um, doch das siebte Kreuz bleibt frei. Georg Heisler gelingt die Flucht.

"Das siebte Kreuz" im Dschungel Wien

Dieser 1942 zuerst in englischer Sprache, kurz darauf in einem mexikanischen Exilverlag in deutscher Sprache erschienene Roman „Das siebte Kreuz“, machte die Autorin Anna Seghers weltberühmt. Er wurde zu einem Bestseller. Der aus Österreich emigrierte Regisseur Fred Zinnemann verfilmte den Roman 1944 in den USA. Sie habe mit dieser Fluchtgeschichte, so Anna Seghers, die Struktur des ganzen Volkes aufrollen wollen.

„Wir fühlten alle, wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können, bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, dass es im Innersten etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar." (Letzter Satz aus „Das siebte Kreuz".)

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