Wenn Bilder zu klingen beginnen

So weit und doch so nah - in einer Wüste des US-Bundesstaates New-Mexico fand die Malerin Tier-Skelett-Teile, nahm si emit - und malte sie später. Hier bekommen die Kinder Sand bzw. ein Hirschgeweih zum Anfassen
Neue App ist mehr als ein Audio-Guide, sie spielt passende Stimmungsmusik zu zehn ausgewählten Bildern in der Ausstellung Georgia O’Keeffe. KiKu-Lokalaugenschein, vier Dutzend Fotos.

Helle, klimpernde, düstere, geheimnisvolle Klänge ertönen zu verschiedenen Bildern der aktuellen Ausstellung im Kunstforum Wien (Freyung). Der Kinder-KURIER durfte die 13-jährige Dimana, Lena (7), Johanna (9) und Julius (3 ¾) begleiten als sie die App "Eye to Ear" testeten. Entwickelt für Menschen, die Bilder nicht oder nur sehr schlecht sehen können, haben aber auch alle Sehenden von den zehn Bildern der US-Amerikanerin Georgia O’Keeffe (1887–1986) mehr als von der reinen Betrachtung.

Fantasie anregende Klänge

Wenn Bilder zu klingen beginnen
Dieses Wolkenbild malte Georgia O'Keeffe nachdem sie das erste Mal geflogen war - was vor allem in der Musik dazu zu hören ist
Besonders Lenas Fantasie kam durch die Musik auf Touren – so regte sie die Musik dazu an, in einem Bild eine Zauberhöhle und in anderen auch Magisches oder aber auch Gruseliges zu sehen. Letzteres fanden übrigens einige beim New Yorker Nachtbild.

Jenes, in dem Lena eine Zauberhöhle hörte – „Music – Pink and Blue No. 1“/Musik – pink und blau Nr. 1 – ist übrigens von der Malerin nicht beim Hören von Musik entstanden. „Es ist bloß meine eigene Melodie – es ist etwas, was ich unbedingt jemandem erzählen wollte, und was ich ausdrücken wollte, war ein Gefühl, was mir wunderbare Musik verschafft“, schreib sie einer Freundin zu diesem abstrakten Gemälde in pink und blau – und dazu noch weiß.

Dimana, die seit ihrer Geburt nichts sieht und die App schon kannte, nutzte neben der Musik auch die zu hörenden Beschreibungen, die jeweils auch die Größe der Bilder in Körpermaßen angibt – so breit wie deine Schultern, so hoch wie du mit den Fingerspitzen reichen kannst... Und die Zusatzinformationen über die Geschichte rund um das jeweilige Bild liefert. Dimana switchte von einem Modus der App in den anderen.

Be-greifen

Wenn Bilder zu klingen beginnen
Dieses Bild einer Stechapfel-Blüte ziert auch das Plakat zur Ausstellung
Die beiden App-Entwicklerinnen Verena und Katharina hatten aber auch noch einige Gegenstände mitgebracht, die zu einigen der Bilder passen und die – natürlich im Gegensatz zu den Gemälden - angegriffen werden durften: Sand und ein Hirschgeweih – für eines der Bilder aus der Wüste des Bundesstaates New Mexico. Dort hatte die Malerin etliche Tierskelette gesammelt und später dazu – wie bei vielen andere Werken – gleich eine ganze Serie gemalt.

Bei einem Wolkenbild bekamen die jungen Kunstinteressierten ein Sackerl, in das sie greifen konnten „mit einer Wolke“. „Gar nicht“, erkannte Dimana beim ersten Griff, „Wolken sind Wasserdampf, das ist sicher Watte“.
Über dieses Wolkenbild (Sky with Flat White Cloud – Himmel mit flacher weißer Wolke) erzählen übrigens die Klänge weit mehr als im Bild zu sehen. Würden angesichts der pastelligen Farben eher sanfte Töne vermutet, ertönt viel mehr motorenartiges Geräusch. Hintergrund: Georgia O’Keeffe hatte es nach ihrem ersten Flug gemalt.

Wollen weiter machen

Wenn Bilder zu klingen beginnen
Bevor die Entdeckungstour los geht, gibt es zunächst eine kurze Erklärung zwischen einigen der Bilder der Malerin
„Äääääh“ ertönte es unisono als Verena und Katharina nach knapp mehr als einer Stunde und fünf Bildern zu den drei verbliebenen Schulkindern meinte, die Führung wäre nun zu Ende. Für ein weiteres Bild ließen sich die beiden Guides noch erweichen. Ein relativ kleines, aber doch dominantes schwarzes Viereck in einem ansonsten eher sehr hell gehaltenen Bild – die Musik oder Klänge dazu: Vor allem Vogelgezwitscher und andere Naturgeräusche. Die hat niemand komponiert. Am Ort des Bildes, einem Haus am Rande der Wüste von New Mexico, in dem die Malerin wohnte, wurden die Umgebungsgeräusche jetzt aufgenommen. Das Bild nannte sie „My Last Door“/meine letzte Tür. Sie war vor allem von den Licht- und Schattenverhältnissen angetan und schrieb: „Ich versuche immer diese Tür zu malen – und es gelingt mir nie ganz. Es ist ein Fluch – so wie ich mich fühle, muss ich mit dieser Tür weiter machen.“

Weitermachen mussten auch die jungen Kunstinteressierten – alle drei hatten noch Hausübungen vor sich, Dimana zusätzlich ihre Geigenstunde.

Rund vier Dutzend Fotos vom App-Test und Hintergrundinfos weiter unten

Eye to Ear – Gallery of Audible Images
Blinde Menschen können die App (derzeit nur fürs iPad) mit dem integrierten Screenreader „Voice Over“ nutzen. Dabei werden alle Menüpunkte vorgelesen. Eye to Ear wurde von den Wiener Designerinnen Katharina Götzendorfer und Verena Blöchl entwickelt. Das Projekt wurde im Rahmen der Diplomarbeit an der Universität für angewandte Kunst konzipiert, die App in Zusammenarbeit mit einem Sound-Designer und Musiker_innen erstellt und mit Betroffenen entwickelt. Gemeinsam mit den Kooperationspartnern NOUS Wissensmanagement und dem Bank Austria Kunstforum Wien wird der erste Prototyp im Rahmen der Georgia O’Keeffe Retrospektive präsentiert und angeboten.
Mehr Infos zur App

Die Ausstellung
Neben der Mexikanerin Frida Kahlo ist Georgia O’Keeffe eine der bekanntesten Malerinnen des vergangenen Jahrhunderts. Sie schuf rund 2000 Werke, knapp 100 davon hängen derzeit (noch bis 26. März 2017) im Kunstforum Wien (Freyung).
Infos zur Ausstellung

Kommentare