Welche Reformen die Schule braucht

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV): "Wir brauchen mehr Schulautonomie und einen Mittlere Reife am Ende der Sekundarstufe I."
IV-Generalsekretär Christoph Neumayer über Boni für Lehrer, schlanke Verwaltung und den Wert der Allgemeinbildung.

Matura oder Neue Mittelschule: An der Schule wird viel herumgedoktert. Jetzt soll die Bildungsreformkommission, in der Vertreter von Bund und Ländern sitzen, weitere Neuerungen vorschlagen. Konkrete Wünsche an die Verhandler hat die Industriellenvereinigung, die vor kurzem ein Bildungskonzept vorgestellt hat. Welche das sind, erklärt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.

KURIER: Über Bildungsreformen wird viel gejammert. Gibt es eine Reform, die sie erfreut ?

Christoph Neumayer: Beispielsweise die Zentralmatura – wenn sie richtig gemacht wird. Denn damit hat man am Ende der AHS einen Überblick über die Standards. Generell kranken Reformen daran, dass es viele kleine Schritte gibt und viel Energie in fruchtlosen Diskussionen – Stichwort Lehrerarbeitszeit im Klassenzimmer – verloren geht. Dadurch geht viel Zeit verloren und das ist schade. Andere Länder sind viel schneller in diesen Prozessen. Aber: Man muss jede Chance nutzen, um einen weiteren Anstoß nehmen zu können. Da ist die Bildungsreformkommission eine Möglichkeit.

Die Kommission tagt. Viel herausgekommen ist bisher nicht.

Von der Aufsetzung her ist die Kommission verbesserungswürdig. Sie hat keinen großen Auftrag erhalten, der zeitliche Endpunkt ist nicht festgelegt. Doch es gibt dort Aussagen – insbesondere von den Landeshauptleuten – die erkennen lassen, dass man gewillt ist, strukturell mehr zu tun als bisher getan wurde.

Welche Aussagen meinen Sie?

Hans Niessl (SP) und Erwin Pröll (ÖVP) haben sich für eine stärkere Autonomie der Schulen ausgesprochen. Das forcieren auch wir stark. Unser Ansatz: Bildungsstandards und -inhalte sind Bundessache. Anschauen muss man sich, was auf der Umsetzungsebene in der Region passiert. Wir wünschen uns, dass wir bei der Strukturfrage ein Stück weiterkommen.

Wer den Schulen Autonomie gewährt, gibt Macht aus der Hand zu. Wie erreicht man, dass sich die Politik selbst entmachtet?

Das ist die Kernfrage, die wir bei allen Aufgabenreformen in diesem Land haben. Uns schwebt ein Schulträgermodell vor, das es den Ländern ermöglicht, in der Bildung weiterhin eine Rolle zu spielen. Akkreditierte Träger – Bund, aber auch Länder, kirchliche Institutionen usw. – könnten die Schulen strategisch begleiten. Im Gegenzug werden Landesschulräte und weitere Ebenen aus der Verwaltung herausgenommen. Die Länder hätten weiter Einfluss, die Verwaltung wäre effizienter.

Jeder kann Schulen gründen: Wie will man da kontrollieren, dass die auf dem Boden der Verfassung stehen und keine extremistischen Lehren verbreiten?

Es braucht die externe Qualitätskontrolle, die überprüft, wie Inhalte und in welcher Qualität vermittelt werden und ob sie naturgemäß verfassungskonform sind. Eine weisungsunabhängige Schulinspektion sollte für die Qualitätssicherung verantwortlich sein. Darüber kann man diskutieren. Zentrale Prüfungen sind jedenfalls auch eine Form der Kontrolle.

Die IV will, dass nicht nur über Schulstrukturen, sondern auch über Bildungsziele gesprochen wird. Was sollen junge Menschen in der Schule lernen?

Wir bekennen uns zur Allgemeinbildung. Wir fühlen uns dem humanistischen Bildungskanon verpflichtet. Dazu gehört die politische Bildung – besonders wichtig in Zeiten der Radikalisierung. Auf der anderen Seite sehen wir in der Wirtschaft neue Anforderungen, etwa durch Entwicklungen, die durch das Schlagwort „Industrie 4.0“ beschrieben werden – die Frage, wie Produktionen zukünftig stattfindet: Wir brauchen beispielsweise mehr Softwaretechniker. Früher lag der Schwerpunkt bei der Mechaniker in Kombination mit Elektronik. Heute geht es darum, Einheiten bedienen und programmieren zu können. Wir brauchen also ein Fundament der Allgemeinbildung, und eine Spezialisierung, die es jungen Menschen ermöglicht, in einer komplexen Welt erfolgreich zu sein. Sonst produzieren wir - ökonomisch gesprochen - am Markt vorbei.

Wo sehen sie in der Struktur des Schulsystems Änderungsbedarf?

Unser System hat Stärken in den berufsbildenden Schulen, insbesondere den HTL. Evaluieren müssen wir die Neue Mittelschule. Wir plädieren für eine nach innen differenzierte gemeinsame Schule mit mehr Spitze und Breite. Aber sie muss eine neue Schule sein. Am meisten ansetzen muss man in der Elementarpädagogik und im Bereich bis 14/15 Jahren. Diese sogenannte Sekundarstufe I sollte man mit einer Mittleren Reife abschließen.

Geht es der IV wirklich um Bildung oder nicht vielmehr darum, Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt zu machen?

Wir sehen Bildung grundsätzlich als hohes Gut. Es geht nicht nur darum, Menschen auszubilden, die möglichst gut für die Wirtschaft „funktionieren“. Wir wollen eine demokratische, offene Gesellschaft und bekennen uns zum humanistischen Bildungskanon. Das gehört zusammen. Auch deshalb, weil die Berufe der Zukunft neue Anforderungen stellen, die längst weg sind vom Funktionieren. Da geht es um komplexere Aufgabenstellungen, um Kreativität. Die Industrie braucht keine Befehlsempfänger und Abarbeiter, sondern wache, sehr kreative, flexible und motivatorisch aus sich heraus handelnde Mitarbeiter.

Also doch eine ökonomische Begründung.

Das ist sie. Aber Wirtschaft findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einer Gesellschaft, die wir als offen und stark erleben wollen und deshalb braucht es die Beteiligung der Menschen an gesellschaftlichen Prozessen, die man insbesondere auch durch Allgemeinbildung ermöglicht.

Haben Sie den Eindruck, dass in Österreich Bildung als Wert an sich wahrgenommen wird?

Es gibt viele Milieus, denen Bildung sehr wichtig ist. Wo wir verstärkt arbeiten müssen – und das ist eine der Triebfedern unseres Konzepts – ist bei den bildungsfernen Schichten. Dort müssen wir motivieren, dass Bildung die Grundlage dafür ist ist, dass - wie man früher gesagt hat - „es meine Kinder einmal besser haben sollen.“ Also vermitteln, dass Bildung einen Wert an sich hat und durch mehr Wohlstand und mehr Selbstbestimmung belohnt wird.

Wie kann man das erreichen?

Durch das Erkennen von Potenzialen und Schwächen. So nehmen wir mehr mit auf dem Weg nach oben.

Dazu braucht es gute Lehrer. Man hat den Eindruck, dass Pädagogen durch das System derzeit so eingeengt werden, dass die besten kündigen.

Leider wird überdurchschnittliche Leistung zu wenig honoriert. Da setzt unser Konzept an: Mehr Schulautonomie, so dass Direktoren, sich Lehrer aussuchen und Leistungen honorieren können – durch finanzielle oder andere Bonifikationen. Derzeit stellt sich die Frage: Können wir von Lehrern, die nicht einmal einen Schreibtisch haben, Topleistungen verlangen? Zum Glück sind viele intrinsisch getrieben. Ich halte nichts von Lehrer-Bashing.

Was wünschen Sie sich bildungspolitisch für 2015?

Wir werden unser Bildungskonzept um die Themen Universität, duale Ausbildung und Elementarpädagogik erweitern. Bildungspolitisch ist mein Wunsch, dass die Bildungsreformkommission heuer endet und vorzeigbare, auch strukturelle Ergebnisse umgesetzt werden. Und alle aufgrund dieser Leistung so motiviert sind, dass sie sofort am Bildungsstandort weiterarbeiten (schmunzelt).

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