Warum die Schule durch Reden und Zuhören besser wird
Was macht eine Organisation erfolgreich? Das wollten Forscher des renommierten MIT in Boston wissen und kamen zu einem überraschenden Ergebnis. Wenn Menschen offen und respektvoll miteinander reden können, sind sie neuen Herausforderungen besser gewachsen. Dialog heißt nicht, seine Machtposition durchzusetzen. Dialog heißt, dem anderen auf Augenhöhe zu begegnen und ihm ohne Vorbehalte zuzuhören – sogar in einer Lehrer-Schüler-Beziehung. Drei Experten klären im Dialog, wie man diese Erkenntnisse im Schulsystem umsetzen und es so verbessern kann: Der Schauspieler Ulrich Reinthaller, der das Seminarzentrum Phönixberg gegründet hat, sowie der Pädagoge Benno Kapelari und der Lebens- und Sozialberater Eelco de Geus. Letztere bilden gemeinsam zum Dialogprozessbegleiter aus.
KURIER: Herr Reinthaller, was hat Dialog mit Bildung zu tun?
Ulrich Reinthaller: Das Einander-Zuhören ist eine Grundvoraussetzung. Denn was heißt Bildung? Es bedeutet, dass ich mich in die Lage bringe, mir selbst Wissen anzueignen. Dazu brauche ich das Gespräch mit anderen, um ihre Meinungen und Ansichten zu verstehen. Daraus kann ich Verständnis für andere und in diesem Zuge eigenes Wissen erarbeiten. Im Moment ist das Weltbild eher ein anderes: Es wird fremdes Wissen in die Kinder eingetrichtert und dann muss es wiedergegeben werden, damit die Noten stimmen.
Benno Kapelari: Ich komme aus der Pädagogik und habe in der Arbeit mit Schülern gelernt: Bildung hat viel mit Haltung zu tun. Ich beobachte das Schulwesen seit Jahren und stelle fest: Es sind alle Erkenntnisse da, die zeigen, was Kinder brauchen, damit sie gut lernen können. Trotzdem passiert so wenig. Ich habe 1998 ein Symposium organisiert. Schon da ging es darum, in welcher Haltung wir in Kontakt mit Schülern sind. Wenn ich heute durch Schulen gehe, begegne ich immer noch Lehrern, die Kindern nicht mit einem neugierigen Blick begegnen, sondern ausdrücken: "Ich gehe in die Klasse und mit den Schülern muss ich jetzt etwas tun." Das ist permanente Anstrengung.
Das Dialogische ist keine Technik oder Methode, sondern eine Haltung. Als Lehrer frage ich mich: Wie trete ich in Beziehung? Das sind Prozesse, die in einem Gesprächskreis passieren. Deshalb ist es wichtig, dass es dafür Räume gibt.
Wer mit Menschen eine Beziehung auf Augenhöhe eingeht, muss sich selbst hinterfragen.
Eelco de Geus: Das Dialogische wird oft interpretiert als ein gutes Gespräch, das zu führen ist. Aber es ist ein Set von Haltungen, das tiefer geht. Es geht um Zuhören und ums Sprechen vom Herzen, was ganz schwierig ist in einem Schulsystem, in dem man als Lehrer Kontrollfunktionen hat. Wir müssen da unser eigenes Denken hinterfragen, was nicht leicht ist. Einen eigenen Standpunkt in der Schwebe halten zu können und sich zu fragen: "Kann ich den anderen wirklich hören?" braucht Zeit und Übung, wofür es (noch) wenig Räume gibt.
Wie kann man das ändern?
Kapelari: Für mich ist der erste Schritt, dass Lehrer ihr Verhalten reflektieren. Dafür bräuchte es Trainingsräume. Lehrer brauchen einen Platz, an dem sie lernen, sich selbst und die eigenen Wertungen und Annahmen infrage zu stellen. Etwa die Annahme, dass ich immer allen das Gleiche beibringen muss. Sobald ich damit in die Klasse gehe, erzeuge ich einen bestimmten Raum. Deshalb müssen wir Räume schaffen – in der Direktoren- bzw. Lehrerausbildung, wo es möglich wird, Folgendes zu entdecken: Wir sind nicht alle gleich. Essenziell ist ein Konzept, das auf Unterschiedlichkeit neugierig macht. Das ermöglicht das Entstehen echter Inklusion.
de Geus: Schule ist immer noch altmodisch und hierarchisch strukturiert. Es gibt aber darin viele Lehrer, die anders wollen. Eine Möglichkeit, die wir betreiben, ist, dass wir Dialoge organisieren: Lehrer und Schüler setzen sich im Kreis und schauen, ob sie sich gleichwertig mitteilen können. Jeder kommt zu Wort und wird gehört. Lehrer sind sehr erstaunt, wenn die Schüler sich wirklich trauen. Es ist unglaublich, wie viel Weisheit diese mitbringen. Wir haben z.B. mehr als sechs Jahre 20 Schulklassen an einer niederösterreichischen AHS begleitet und spannende Erfahrungen gemacht: Am Anfang fürchteten die Lehrer, durch die Gleichwertigkeit Autorität zu verlieren. Später sagten sie: Wir haben natürliche Autorität gewonnen – durch die eingebrachte Menschlichkeit. Nicht nur Kinder lassen sich gerne führen, wenn sie in Beziehung sind.
Bildung ist heuer der Schwerpunkt beim Dialogikum Phönixberg. Warum dieses Thema?
Reinthaller: Weil es nach Mystik, Kunst und Wissenschaft die logische Folge ist: Wie können wir diese Themen in Kommunikation zueinander bringen? Das hängt mit Bewusstsein zusammen und mit Bildung. Wie wir miteinander umgehen, wie wir Beziehung setzen zwischen Wissenschaft und der Kunst, Kunst und Mystik, Religion und Atheismus – überall liegt Beziehung zugrunde. Derzeit herrscht ein Clusterdenken vor: Hier Religiöse, da Atheisten, zum Beispiel. In Wirklichkeit sitzen wir alle in einem Boot.
Herr Kapelari, Sie waren 14 Jahre Lehrer. Wie hat der Dialog den Schulalltag beeinflusst?
Eltern kann diese Form der Schule auch stressen: Je lebendiger die Kinder werden, desto mehr Fragen und Widerstände tauchen bei Eltern auf. Aus diesem Grund habe ich begonnen, den Dialogprozess in Form von Redekreisen für Elternabende einzuführen.
Reinthaller: Es ist wichtig, diesen Geist des Dialogs wachzuhalten. Dazu brauchen wir keine Vorbilder. Die Menschen wissen doch tief in sich drin, was ihnen fehlt und was sie brauchen.
Welche Botschaft ist Ihnen besonders wichtig?
de Geus: Das Dialogische kann man als hohes Ideal sehen. Es beginnt aber im ganz Kleinen. Ein bisschen mehr zuhören, mehr Beziehung aufzubauen: Darin haben die Kinder Zukunft.
Reinthaller:Dass sich eine Lebensart entwickelt. Pädagogik ist in uns selber: "Teach yourself" – sei offen dafür, in welcher Form von Beziehung du dein Leben lang lernen willst. Das hört nicht mit 18 auf.
Kapelari: Soziale Räume zu schaffen, wo ich den sozialen Muskel im Zuhören, Wahrnehmen, offen Sprechen, Reflektieren trainieren kann. So, dass Achtsam-Sein und Gesehen-Werden ganz alltäglich werden.
Zur Person:
Ulrich Reinthaller wurde einem breiten Publikum als Fernseharzt in der Serie „Hallo, Onkel Doc“. Auch im Burgtheater sowie im Film und anderen TV-Rollen ist der 50-Jährige zu sehen. 2009 errichtete er das Seminar.Kunst.Haus Phönixberg im nö. Mostviertel. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Barbara Pachl-Eberhart eröffnete Reinthaller 2013 das Dialogikum Phönixberg. Es ist Veranstaltungsort für Seminare und Vortagsreihen, die sich mit Themen wie Bildung, Mystik und Philosophie beschäftigen.
Eelco de Geus: Der Lebens- und Sozialberater hat das Gespräch zur Lebensaufgabe gemacht: „Der Dialog bietet einen Rahmen, in dem wir unsere Kommunikation verlangsamen, einander wirklich zuhören und unsere Gedanken gleichwertig mitteilen“ , lautet sein Credo. Der gebürtige Niederländer begleitet Firmen und gemeinsam mit seine Frau Julia de Geus Paare, Familien und Schulen dabei, in einen Dialogprozess zu gehen. Gemeinsam mit Benno Kapelari bildet er zum Dialogprozessbegleiter aus. Er lebt mit seiner Frau und ihren drei Kindern in Pressbaum, NÖ. www.lebenimdialog.at, www.leadershipwerkstatt.at
Benno Kapelari: Er ist einer der Wegbereiter der Reformpädagogik in Österreich: Einst leitete Benno Kapelari die Lernwerkstatt Pottenbrunn (NÖ) und die Niederhofschule. Er ist Co-Autor im Buch „Miteinanderdenken: Das Geheimnis des Dialogs“. Der Vater von vier Kindern wurde 1964 in Innsbruck geboren und lebt in einer langjährigen Beziehung, Vom 26. bis 29. August bietet er gemeinsam mit Eelco de Geus eine Fortbildung zum Dialogprozessbegleiter an.
Der beschauliche Phönixberg steht im Sommer ganz im Zeichen der Bildung. „Der lernende Mensch in seinem Umfeld“ ist der Titel einer Veranstaltungsreihe vom 8. bis 12. Juli 2015 im Dialogikum Phönixberg in Kooperation mit der Donau-Universität Krems. Eingeladen zu den Tagesseminaren und Vorträgen sind Vordenker wie Margret Rasfeld oder André Heller. KURIER-Leser können je zwei Karten zu folgenden Abenden gewinnen:
Wozu bilden? Wie der Mensch zum Menschen wird.Theologe Matthias Beck und Philosoph Christoph Quarch im Dialog. Ort: 8. Juli, GuK Rabenstein, Marktplatz 6, 3203 Rabenstein.
Der dritte Pädagoge. Der Unternehmensberater Jan Teunen spricht am 9. Juli über „Raum und Potenzialerfahrung“. Ort: 9. Juli, Kirchberghalle, Schulgasse 8, 3204 Kirchberg/Pielach.
Träumt weiter! Vom Lehrwert und Nährwert menschlicher Fantasie spricht André Heller mit Barbara Pachl-Eberhart. Ort: 10. Juli, Grünauer Halle, Kirchenplatz 5, 3202 Hofstetten-Grünau.
Wir können die Kinder nicht nach unserem Sinn formen. Reformpädagogin Margret Rasfeld und Karl-Heinz Bordbeck wollen Kinder ins Leben begleiten. Ort: 11. Juli, Pielachtalhalle, Raiffeisengasse 9, 3200 Ober-Grafendorf.
Bildung ohne Bewusstsein ist wie Denken ohne Kopf. Ulrich Reinthaller und Yi Liu über das „Menschenbild und Bildungswege im Kopf“. Ort: 12. Juli, GuK Rabenstein, Marktplatz 6, 3203 Rabenstein.
Beginn ist jeweils um 20 Uhr. Programm aller Seminare unter www.dialogikum.at
Gewinnspiel: Schicken Sie eine eMail mit dem Betreff "DIALOG" an lebensart@kurier.at und schreiben Sie dazu, welche Veranstaltung Sie besuchen möchten.
EINSENDESCHLUSS: 15. Juni 2015. Die Gewinner werden schriftlich verständigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Barablöse ist nicht möglich. Gilt nur für Verbraucher im Sinne des KSchG.
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