Frauen auf der Flucht

Frauen in der Fremde: Bisher von der Migrationsforschung wenig beachtet
Die Historikerin Sylvia Hahn über Arbeitsmigrantinnen und Vertriebene.
Von Uwe Mauch

Die Bilder von jungen Männern, die nach Europa fliehen, hat auch sie registriert. Sie kann jedoch erklären, warum Frauen seltener flüchten als Männer. Darüber hinaus möchte Sylvia Hahn, Vizerektorin für Internationale Beziehungen und Kommunikation an der Uni Salzburg, auf ein wenig bekanntes Phänomen aufmerksam machen: Die Migration europäischer Frauen in heutige Kriegsgebiete.

KURIER: Frau Professor Hahn, seit wann beschäftigen Sie sich mit der Migration von Frauen?

Sylvia Hahn: Eigentlich schon seit dem Abschluss meiner Dissertation in den 1980er-Jahren. Damals habe ich die Volkszählungen von 1869 und 1880 für Wiener Neustadt ausgewertet. Dabei habe ich festgestellt, dass drei von vier Wiener Neustädtern Zuwanderer waren, unter ihnen auffallend viele Frauen.

Frauen auf der Flucht
Sylvia Hahn
Hat Sie das überrascht?

Absolut. Das bürgerliche Ideal "Der Mann muss hinaus, die Frau bleibt im Haus" hat lange unser Bewusstsein und die Forschung dominiert. Auch in der Migrationsforschung regierte lange der männliche Blick. Dem Thema der Frauen als Migrantinnen wurde daher lange Zeit keine Beachtung geschenkt.

Was haben Ihre männlichen Kollegen dabei übersehen?

Zum Beispiel die zahlreichen Dienstbotinnen, die allein oder mit ihren Arbeitgebern quer über den europäischen Kontinent unterwegs waren. All die irischen, deutschen, schwedischen Dienstbotinnen, die in die USA auswanderten. In Kairo, Alexandria, Beirut oder Konstantinopel finden wir wiederum um 1900 rund 6000 Arbeitsmigrantinnen aus der Habsburgermonarchie.

Frauen auf der Flucht
Alexandrinke als Kindermädchen
Die Frauen haben in den aktuellen Kriegsgebieten gearbeitet?

Ja, die meisten kamen aus dem heute slowenischen Hinterland von Triest. Sie haben ihre Familien, ihre Männer und Höfe verlassen, um als Dienstbotinnen oder Ammen mit dem Schiff von Triest zu ihren neuen Arbeitsplätzen in Ägypten oder in andere Levantestädte zu fahren. In Slowenien nennt man sie heute noch Aleksandrinke. Mit ihrem in der Fremde verdienten Einkommen sicherten sie nicht zuletzt die wirtschaftliche Existenz ihrer Familien und damit den Fortbestand der Landwirtschaft im slowenischen Karst.

Wirtschaftsflüchtlinge?

Arbeitsmigrantinnen!

Und wo fanden die Alexandrinerinnen Arbeit?

Zunächst bei wohlhabenden europäischen Familien. Durch den Bau des Suezkanals kamen viele Ingenieure und Kaufleute in die Region, viele aus England. Später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, arbeiteten sie auch für Familien der ägyptischen Oberschicht. Die letzten Migrantinnen kamen erst in den 1970er-Jahren zurück. Übrigens sind damals doppelt so viele Frauen wie Männer ausgewandert.

Frauen auf der Flucht
Und heute zählen wir in Österreich 80.000 Frauen aus Ost- und Südosteuropa, die in privaten Haushalten als Personenbetreuerinnen arbeiten.

Ja, und in New York leistet sich die reiche Oberschicht Nannys aus China, damit ihre Kinder Mandarin lernen. Und in arabischen Ländern arbeiten Philippininnen und Somalierinnen als Dienstpersonal, unter teils menschenunwürdigen Bedingungen. Die weltweite Migration von Frauen ist inzwischen enorm.

Unter den Kriegsflüchtlingen sehen wir aber wenige Frauen.

Zunächst muss man sagen, dass die sogenannte Langstreckenmigration nicht billig ist, vor allem nicht für die derzeit aus den Kriegsgebieten flüchtende Mittelschicht. Daher wird in eine Person investiert. Die Flucht ist gefährlich, allein reisende Frauen sind in diesem Kulturkreis selten. Dazu kommt, dass Männer bei uns weiterhin mehr verdienen können. Daher werden in erster Linie Männer losgeschickt.

Die Flucht ist somit ein männliches "Privileg"?

Feststeht, dass Männer in der Vergangenheit wie heute die "Vorreiter" sind. Studien haben gezeigt, dass Männer leichter politisches Asyl bekommen als Frauen. Bis heute wird Frauen ein politisches Engagement vielfach nicht abgenommen.

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