Lehrer: Kinder, Ihr seid nichts Besonderes!

Lehrer: Kinder, Ihr seid nichts Besonderes!
Mit seiner Rede "Ihr seid nichts Besonderes" bei einer US-Maturafeier wurde Highschool-Lehrer David McCulloughs auf YouTube zum Star. Jetzt ist sein Buch erschienen.
Lehrer: Kinder, Ihr seid nichts Besonderes!
David McCullough jr
"Ihr seid nichts Besonderes!", warf Highschool-Lehrer David McCullough in der Abschlussrede seinen Absolventen und ihren Eltern an den Kopf. Inzwischen sahen 2,4 Millionen Menschen aufYouTubeseine Absage an den Erziehungs-Wahnsinn. In seinemBuch stellt der vierfache Vaters, selbst Sohn eines preisgekrönten Historikers, den Helikoptereltern, Streberkindern und Softie-Lehrern ein schlechtes Zeugnis aus. Wegen mangelnder Persönlichkeitsentwicklung vergibt er die Note 5:

Eltern benützen ihre Kinder zur Selbstdarstellung.

Die Erwartungen an die Jugendlichen der Mittelschicht sind so hoch wie nie zuvor. Ein Grund: "Frühere Generationen hatten mehr Kinder. Also mussten die Eltern ihre Fürsorge, ihre Mittel und Erwartungen teilen. Wie sie mit ihren Kindern umgingen, das würde heutzutage zum Teil als Vernachlässigung gelten, auch wenn unabhängigere Kinder das Ergebnis waren." Anders heute: "Es gibt einen Kult der Außergewöhnlichkeit und es kommt einem Versagen gleich, durchschnittlich, also ein normaler Jugendlicher zu sein."

Eltern unterdrücken die Entfaltung ihrer Kinder.

"Aus Angst, sich selbst überlassene Kinder würden beim Griff nach gesellschaftlichem Wohlstand daneben greifen, haben viele den Spielraum ihres Nachwuchses gegen Null reduziert. Und zwar Spielraum, wenn es darum geht, ihre Unabhängigkeit zu erproben, ihrem Forscherdrang nachzugeben, ein Risiko einzugehen, Niederlagen zu erleiden und herauszufinden, was man dagegen tun kann."

Eltern stehlen ihren Kindern die Freizeit.

"Man bringt sie zu Volleyball-Meisterschaften, zum Cello-Vorspiel, zu Schachturnieren und zum Mathecamp. Eltern erwarten, dass sich das auszahlen wird." So können Jugendliche sich selbst nicht mehr spüren: "Ihr Spaß, ihre Momente entspannender Selbstbestimmung, des simplen Rumgammelns, werden von den Eltern vereinnahmt."

Lehrer haben Angst, kritisch zu benoten.

"Der Lehrer ist heute längst nicht mehr nur Lehrer, sondern Erzieher, Therapeut, Guru, scharfer Kritiker, Minister ohne Ressort und Streifenpolizist. Aus Angst, elitär zu wirken und das Selbstwertgefühl eines Kindes zu beeinträchtigen, minimieren Lehrkräfte das Risiko, indem sie weniger streng sind, leicht erreichbare Ziele stecken und mit Konfetti schmeißen, wenn er oder sie diese erreicht." Die Folge: Das Niveau sinkt.

Wer keine Bücher liest, lernt auch nicht Denken.

Den Englisch-Lehrer stört, dass es wenig Spielraum gibt, um Schüler zum Lesen zu motivieren. Doch nur so würden sie lernen, selbst ihre Anliegen zu formulieren. Literatur fällt vielen schwer, weiß McCullough: "Ihnen fehlt die Erfahrung, beim Lesen viel davon mitzukriegen, was ein Text zwischen den Zeilen ausdrückt." Die Folge: Jugendliche können sich immer schlechter ausdrücken. "Mit dem Computer wurde aus Schreiben Textverarbeitung. Heute klicken junge Schreiber vor sich hin, lassen Rechtschreibung und Grammatik kontrollieren."

Lehrer begleiten nur mehr statt zu unterrichten.

"Schlechter Frontalunterricht wirkt tödlich auf alles, was in einem Fach interessant sein könnte. Dozieren gilt heute als stumpfes Trauma. Stattdessen sollten Lehrkräfte lieber ‚ den Lernprozess erleichtern‘ und motivieren. Dennoch halte ich einen Lehrvortrag als Denkanstoß für eine richtige Erfindung." Vergangenheit seien auch die Einprägung durch Übung, der Erwerb grundlegender Fähigkeiten durch Versuch und Irrtum sowie wiederholte Erfahrung. "Ein Fehler."

Mädchen und Buben werden in einen Topf geworfen statt zu differenziern.

"Geschlechter sind verschieden. Oft so verschieden, dass ich mich frage, ob wir nicht in zwei unterschiedlichen Realitäten leben. Ich habe kein Problem damit, zu sagen, dass weibliche Heranwachsende aufmerksamer sind und ihre Hausaufgaben sorgfältiger erledigen, sie passen besser auf ihre Bücher auf, ihre Handschrift ist lesbarer."

Multiple-Choice-Tests ruinieren das Denken.

"Eng umrissene vorgegebene Antworten sind absolut tödlich: Das Denken muss dann nicht fortgesetzt werden." Dabei sollten man in der Schule lernen zu fragen, warum etwas so ist, wie es ist. Sein Ansatz: Gebt Schülern schwierige und leichte Aufgaben – ihrem Niveau entsprechend – und verlangt von jedem, dass er sein Bestes gibt.

Jeder Schritt dient nur der Karriereplanung.

McCullough freut sich, wenn seine Schüler ein Thema finden, das sie wirklich begeistert. Doch: "Damit ihr etwas Bedeutung erlangt, müsst ihr erst einmal investieren. Ihr müsst euch darauf einlassen, euch darauf konzentrieren und dann arbeiten." Dass Schüler sich um der Sache willen verausgaben, sei aus der Mode gekommen. Eine Arbeit muss immer einen Zweck erfüllen. Da wird z.B. das Maturafach nicht nach Interesse ausgewählt, sondern danach, wie leicht man dort zu einer guten Note kommt. "Jede Aktivität ist nur ein Sprungbrett für den nächsten Schritt."

Ego-Kids fehlt die soziale Verantwortung.

Je mehr sich Jugendliche auf sich und ihren Werdegang konzentrieren, desto weniger Bezug haben sie zur Umwelt. Die Folge: "Wenn wir realitätsferne und überbehütete Kinder auf die Gesellschaft loslassen, dann wird sie – zu hohl für ihr eigenes Gewicht – in sich zusammenbrechen."

Lehrer: Kinder, Ihr seid nichts Besonderes!
McCullough
Mit Druck zu Spitzenleistungen gehen die Jugendlichen sehr unterschiedlich um, stellte McCoullough in seinen jahrelangen Beobachtungen fest: "Es findet eine freiwillige Auslese statt. Solche, die danach streben, was als das Allerbeste gilt, solche, die aus welchem Grund auch immer meinen, das nicht zu schaffen, solche die andere Präferenzen haben, und solche, denen alles egal ist."

Er selbst nimmt das Thema Erziehung mit Humor: "Für euch verantwortlich zu sein, das ist, als säße man auf dem Rücksitz eines Taxis und würde zusehen, wie der Taxameter in Lichtgeschwindigkeit läuft."

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