Die berühmteste Flasche der Welt wird 100
Ein heißer Sommertag im Juni 1915: Chapman J. Root, Besitzer der gleichnamigen Glasmanufaktur in Terre Haute südlich von Chicago, zitiert Earl R. Dean in sein Büro, um dem 25-jährigen Arbeiter zu eröffnen, dass die Firma innerhalb von zwei Tagen eine neue Glasflasche erfinden müsse.
Die Coca-Cola-Company will eine Flasche, die unverwechselbar ist, im Dunkeln und wenn sie zerbrochen am Boden liegt, noch immer zu erkennen ist. Denn die Firma kämpfte seit Jahren gegen dreiste Nachahmer: Coke-Ola, Carbo-Cola, Sola-Cola, Coca-Nola, Pepsi-Nola, Cola-Coke, oder Cold-Cola.
Trittbrettfahrer
Um der verworrenen Situation Herr zu werden, heuerte Coke-Anwalt Harold Hirsch bereits 1909 Detektive an, die in den Bars kontrollierten, ob unter dem Namen Coca-Cola andere Produkte ausgeschenkt wurden. Bis 1915 baute er eine hausinterne Ermittlungsabteilung auf, die Coca-Cola-Trittbrettfahrer verfolgte. Als finalen Schritt wollte Hirsch Coca-Cola optisch unverwechselbar machen: 1915 schrieb er einen Wettbewerb aus, an dem 30 Flaschenhersteller teilnahmen.
Auch Root aus Indiana. Während des Treffens fragt Betriebsleiter Alexander Samuelson: "Woraus besteht Coca-Cola eigentlich?" Dies, so Dean später, sei der einzige Beitrag des Mannes gewesen, der als Cola-Flaschen-Erfinder in den Geschichtsbüchern steht.
Die wahre Geschichte
In seinem 2010 erschienenen Buch "The Man Behind the Bottle" erzählt Norman L. Dean die wahre Geschichte der Erfindung der berühmtesten Flasche und der Rolle seines Vaters Earl: 1971 erinnerte der sich in einem Brief, wie sein Boss Chapman Root ihn – chauffiert von seinem Fahrer – in die örtliche Fairbanks Library schickte, um sich inspirieren zu lassen. Dort wälzt er Bücher; Abbildungen von Kokablättern und Kolanüssen – wichtige Cola-Bestandteile – finden die beiden aber nicht. In der Encyclopedia Britannica entdeckt er ein paar Seiten weiter die Darstellung einer Kakaobohne. Bildunterschrift: "Kakaosamen produzieren ein Getränk, das zu den Göttern passt". Das gefällt Dean. Was er nicht realisiert: "cocoa" ist nicht "coca" und auch kein Bestandteil von Coca-Cola.
Dean fertigt eine Skizze der Kakaobohne an, entwirft einen ersten Prototyp der Flasche. Wegen der bevorstehenden Deadline arbeitet er 22 Stunden durch. Der Rest ist Geschichte. Die Verantwortlichen erklären sein Design mit überwältigender Mehrheit zum Sieger. Alexander Samuelson, der damalige Betriebsleiter der Root Glass Company, meldete die Konturflasche beim US-Patentamt in seinem Namen an, am 16. November 1915 erhält er das Patent.
Und Dean? Der konnte sich zwischen einem Bonus von 500 US-Dollar und einer Arbeitsplatzgarantie auf Lebenszeit entscheiden. Erwählte den Job.
Falsche Federn
Bei Coca-Cola gesteht man heute ein, dass der Chef Samuelson die Meriten unverdient geerntet habe: "Deans Rolle wird inzwischen auch von Coca-Cola anerkannt", sagt der langjährige Coke-Archivar Phil Mooney. "Selbst wenn nicht das gesamte Design von ihm stammen sollte, ist es größtenteils sein Werk."
Die Werbebranche schwärmt weltweit auch 100 Jahre danach vom Design-Bestseller. Künstler – meist nicht im Verdacht, Markenbotschafter zu sein – fanden die Flasche faszinierend und malten sie – egal, ob Salvador Dalí, Roy Lichtenstein, Andy Warhol oder Keith Haring.
Die Konturflasche ist wohl der berühmteste Klassiker in der Welt der gläsernen Verpackung, aber nicht der einzige. Man denke an Bluna, Afri-Cola, die Perlenflasche von Günter Kupetz, auch die Form der Almdudler-Flasche, die alten Römerquelle-Bouteillen, die kobaltblaue walisische Quellwasser-Flasche Ty Nant oder die charakteristische Absolut-Vodka-Flasche.
In Österreich hat es etwas länger gedauert, bis man den Wert des Flaschendesigns als Branding-Bestandteil erkannte: 2009 wurde erstmals eine Flasche für den Staatspreis Design nominiert – die asymmetrische Gasteiner-"Kristallflasche", von einem Bergkristall inspiriert, symbolisiert reines Quellwasser. Also das, was Werbung mit Mineralwasser verbinden möchte.
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