Denn jedes Follow, erklärt Joe, "ist eine Konsumentscheidung“. Folgt man einem Influencer, schließt man quasi ein Abo für diese Person ab. Man entscheidet sich dafür, regelmäßig Content – und vor allem ihre Werte und Ansichten – über Social Media vermittelt zu bekommen. Zwar würden viele ihre Reichweite heute für sinnvolle Inhalte – etwa Nachhaltigkeit – nutzen. "Wenn das aber jemand ist, der nur bearbeitete Bikinifotos von sich postet, mit denen ich mich ständig vergleiche und mich folglich schlecht fühle, dann ist das eine dumme Konsumentscheidung gewesen.“
Kinder und Jugendliche gilt es davor besonders zu schützen. Weil Influencer viel näher an der Lebenswelt der Jungen dran sind, ist ihr Einfluss auf sie deutlich größer als jener von anderen Personen des öffentlichen Lebens, etwa von Sportlerinnen oder von Schauspielern. Grund dafür ist ein Phänomen der Psychologie: parasoziale Beziehungen, also einseitige soziale Beziehungen, bei der sich eine Person der anderen wie einem Freund verbunden fühlt.
Was die Situation für viele Familien besonders schwierig macht: Kinder können heutzutage oft besser mit dem Smartphone umgehen als ihre Eltern. "Da muss man sich als Elternteil schon reinfuchsen, denn das wird auch in Zukunft immer wichtiger werden.“ Für sie gilt es zu überprüfen, was das Kind im Internet macht, mit wem es chattet und welche Influencer es verfolgt – und diese anschließend selbst unter die Lupe nehmen: "Was machen die im Netz? Bewerben die irgendwelche komischen Produkte, Challenges oder sogar Glücksspiele?“
Auch bei der Altersbeschränkung gehöre nachgeschärft, so Joe: Tiktok darf offiziell ab 13 Jahren verwendet werden. Viele sind auf der App aber schon deutlich früher aktiv, "weil es keine Hürde gibt. Nicht mal ein Ausweis wird kontrolliert.“ Familieninfluencer sieht sie ebenfalls kritisch: "Sie setzen ihre Kinder regelmäßig vor die Kamera, praktisch gibt es aber keine Regelungen dafür, obwohl Kinderarbeit in Film und Fernsehen in Deutschland etwa sehr streng geregelt ist.“
In der Schule gehöre Medienkompetenz stärker in bestehende Fächer eingebunden: "Im Deutschunterricht sollte man sich nicht nur mit Text auseinandersetzen, sondern auch mit Youtube-Videos, etwa von Rezo.“ Ihr Branchenkollege sorgt mit Politikvideos für Aufsehen. Mit dem "Rezo-Effekt“ erklärten Polit-Kommentatoren nach der Europawahl 2019 den Erfolg der Grünen in Deutschland.
Joe selbst sieht sich heute mehr als Journalistin und Beobachterin, auch wenn sie ihre Beiträge via Youtube verbreitet. Wie sie reagieren würde, wenn ihr eigenes Kind mal Influencer werden möchte? "Ich würde sagen, dass man Influencer nicht als richtigen Berufswunsch bezeichnen kann. Es bedeutet nur, dass man über das Internet eine Tätigkeit ausführt und andere dabei zusehen. Man sollte sich überlegen, womit man im Netz Bekanntheit erlangen will.“
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