Wo sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beginnt

Wo sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beginnt
Die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten ist manchmal schwer zu sehen – und doch genau definiert.

Es ist ein ganz normaler Nachmittag im Großraumbüro. Auf dem Gang kommt der 31-jährigen Barbara der um einiges ältere Kollege entgegen, mit dem sie über viele Jahre auf professioneller Ebene sehr gut zusammengearbeitet hat und immer im besten Einvernehmen war. Als er auf gleicher Höhe angekommen ist, tritt er ganz nah an sie heran und sagt leise: „Das Kleid steht Ihnen ausgezeichnet.“ Im Grunde: nichts passiert. Ein Kompliment, mehr nicht. Und doch: es fühlt sich einfach falsch an. Unsicher sagt Barbara „Danke“ und geht weiter. Doch sie wird noch lange an diese Begegnung denken, die sie als zutiefst übergriffig wahrnahm.

Die junge Praktikantin Sylvia fühlt sich rundum wohl in ihrem neuen Team. Auch der Chef ist prinzipiell sehr nett. Wenn er sie nur nicht unentwegt bei jeder Gelegenheit anstarren würde. Sie kann es nicht wirklich in Worte fassen, doch sie fühlt sich unwohl und vermeidet es, mit ihm alleine zu sein.

Bauchgefühl

Die Einschätzung der beiden Frauen ist absolut berechtigt. Denn es gelten bei Weitem nicht nur eindeutig einordenbare körperliche Übergriffe als sexuelle Belästigung. Diese Grenze wird schon viel früher überschritten.

„Der Gesetzgeber sagt recht klar: Sexuelle Belästigung ist u. a., was als solche empfunden wird und für die betroffene Person unerwünscht ist“, hält Bianca Schrittwieser, Leiterin der Abteilung Arbeitsrecht der Arbeiterkammer Wien (AK), fest.

Gleichbehandlung

„Es geht dabei immer um Machtübergriffe“, erklärt sie. „Sexuelle Belästigung beginnt nicht erst bei unerwünschten Berührungen oder bei Versprechen von beruflichen Vorteilen bei sexuellem Entgegenkommen.“ In § 6 des Gleichbehandlungsgesetzes wird sie definiert als „ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt und für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist.“ Der Definition nach können also auch unerwünschte anzügliche Witze, Bemerkungen über die Figur oder Erzählungen über sexuelles Verhalten Belästigungen nach dem Gesetz darstellen.

Hat ein Kollege in der Kantine einen Kalender mit Nacktfotos aufgehängt, oder gibt seinen weiblichen Angestellten gerne ungebetene Schultermassagen, kann auch das unter sexuelle Belästigung fallen. Und auch die wiederholte Einladung zum Essen samt eindeutig benannter Abendgestaltung muss man sich nicht gefallen lassen.

Beratung und Hilfe

Ist man dennoch unsicher und braucht als betroffene Person Unterstützung, die Situation einzuordnen, kann man sich an AK, Gewerkschaft, Gleichbehandlungsanwaltschaft oder an die Act4Respect-Hotline wenden – auch zwecks Beratung und Information über die möglichen nächsten Schritte.

Eines steht fest, so Ludwig Dvořák, Leiter der Arbeitsrechtlichen Beratung der AK: „Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt.“ Als betroffene Person sollte man daher immer seinem Bauchgefühl vertrauen und seine Intuition ernst nehmen.

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