Wie es war, ein Lebensbornkind zu sein: "Ein Trauma"

Wie es war, ein Lebensbornkind zu sein: "Ein Trauma"
Am Weltkindertag werden zwischen 77 und 84 Jahre alte Zeitzeugen erstmals in Österreich öffentlich über das Tabu ihrer Geburt sprechen.

Professor Erben trägt den schönen Vornamen Valentin. Und die Nazis hätten damit wohl ihre helle Freude gehabt (vom lateinischen valere = „gesund sein“, „stark sein“). Wobei guten deutschen Müttern in Lebensbornheimen einer der 90 Favoriten ans Herz gelegt wurde, angeführt von Horst, Manfred und Uwe sowie Ingeborg, Inge und Karen. „Eingedeutschte Namen fremden Ursprungs“ würden den Kindern gleichsam artfremdes Gedankengut mit auf den Weg geben, erklärte man den Müttern auch im Lebensbornheim „Ostmark“/„Wienerwald“ im niederösterreichischen Feichtenbach.

Eben dort wurde Valentin Erben im März 1945 geboren und er legt Wert auf die Feststellung, dass „ich kein richtiges Lebensbornkind bin. Meine Eltern sind meine Eltern.“ Weil der Großvater Gemeindearzt in Gutenstein war und gute Verbindung nach Feichtenbach hatte, wo natürlich auch im März 1945 noch beste ärztliche Versorgung gesichert war, habe er seiner Tochter einen Platz zur Entbindung verschafft.

Wie es war, ein Lebensbornkind zu sein: "Ein Trauma"

Valentin Erben, geboren 1945, war Chellist im Alban-Berg-Orchester

Tabu brechen

Heute sagt Erben: „Das ist ein Trauma. Man spürte ja, dass da was war.“ Und: „Dieses Tabu ist wie ein Rucksack, den man umgehängt bekommt.“

Wie es war, ein Lebensbornkind zu sein: "Ein Trauma"

Valentin Erben als kleiner Bub

„Im Heim ,Wienerwald‘ in Pernitz wurden zwischen Oktober 1938 und Kriegsende 1945 mehr als 1.200 Kinder geboren. Es war eines der größten Entbindungsheime des Lebensborn, der zur Förderung von Geburten ,rassisch wertvoller‘ Kinder gegründet worden war“, erzählt die Historikerin Barbara Stelzl-Marx.

Die Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz arbeitet mit ihren Kollegen Akten zum Heim Wienerwald wissenschaftlich auf. Und das Team sprach mit einigen im Heim Geborenen.

Ledig und auch verheiratet

„Diese ehemaligen Lebensbornkinder – heute zwischen 77 und 84 Jahre alt – sprechen jetzt erstmals in Österreich über die Bedeutung des Heimes ,Wienerwald‘ in ihrer Familiengeschichte“, sagt die Historikerin. Das Projektteam initiierte eine Podiumsdiskussion, die am 20. September stattfinden wird.

Nach dem Auswerten der Akten weiß Stelzl-Marx, dass „die Hälfte der Mütter ledig war. Die andere Hälfte war mit SS-Männern verheiratet und zum Teil selbst im Regime tätig.“ Die Historikerin weiter: „Vier ehemalige Lebensbornkinder werden schildern, was es bedeutet, dort auf die Welt gekommen zu sein, was sie darüber wissen oder eben nicht wissen.“

Spurensuche

Eines dieser Kinder ist Valentin Erben und auch er hat sehr spät zu fragen begonnen, eigentlich machte er sich erst nach dem Tod seiner Eltern auf Spurensuche, berichtet er im KURIER-Interview: „Es wurde nicht darüber gesprochen. Wie sind vielleicht ein-, zweimal dorthin gefahren“, erzählt er und meint mit dorthin „das riesige unheimliche Gebäude“, das Heim Wienerwald.

Wie es war, ein Lebensbornkind zu sein: "Ein Trauma"

Das Lebensborn-Heim im Wienerwald

„Meine Mutter meinte dann zwar: ,Schau Valentin! Da bist du zur Welt gekommen.‘ Und das war es! Sie hat mir nicht sagen können und wollen, was es mit diesem Gebäude und dem Lebensborn auf sich hatte.“

Nach einer Pause setzt er fort: „Ich hatte ein unendlich reiches und schönes Leben, aber das hat es doch überschattet. Es ist eine Hypothek. Man fragt sich: Wer bin ich und woher komme ich“.

Von den Nazis wurden die Lebensborn-Kinder verehrt, nach dem Krieg wurde in den Familien über den Lebensborn meist nicht gesprochen. Für manche stand das Gefühl, „etwas stimmt nicht“, am Beginn der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte und dem Ort ihrer Entbindung.

Froh wegzukommen

So auch bei Valentin Erben: „Es berührt mich enorm, dass sich diese Menschen, die jetzt alle an die 80 sind, treffen. Unheimlich, was da hochkommt“. Der Zeitzeuge selbst erinnert sich, dass man ihm berichtet hatte, dass seine Mutter im Heim Wienerwald einiges über die Lebensborn-Bewegung erfahren habe (zur Ideologie siehe Stichwort Lebensborn): „Da war sie recht froh, wieder von dort wegzukommen.“

Zum Beispiel sei ihr nahegelegt worden, ihren Valentin am Namensgebungsfest teilnehmen zu lassen. Dabei wurden Neugeborene unter Auflegung eines silbernen SS-Dolches unter der Hakenkreuzfahne „getauft“. Als Geschenk erhielten sie einen im KZ Dachau gefertigten Kerzenleuchter. „Aber das hat sie abgelehnt und ich rechne ihr das hoch an“, sagt Erben. Und weiter: „Das Erdbeben – das nationalsozialistische – selbst habe ich nicht erlebt, aber die Nachbeben sehr wohl.“ Dieses Zurechtbiegen der Wahrheit in der Kindheit sei furchtbar gewesen. Fast noch schlimmer aber sei die Historie des verfallenden Gebäudes selbst: „Wenn man heute da hingeht, hat man das Gefühl, die noch unbewältigte Geschichte Österreichs schaut einen mit toten Augen an.“ Und er, das unechte Lebensbornkind, wünscht sich: „Wenn das irgendwie befriedet werden könnte, etwa durch einen Gedenkstein, wäre es schön.

Info
“Podiumsgespräch & Diskussion Lebensborn-Heim „Ostmark„/„Wienerwald“, Haus der Geschichte im Landesmuseum Niederösterreich, St. Pölten.
20. September 2022, 18 Uhr

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