Sie haben wieder Hochsaison. Musikalische Stimmungsmacher zum angeblich schönsten Fest des Jahres. Was manchmal gelingt, in einigen Fällen aber auch ziemlich daneben gehen kann.
Jetzt tauchen auch noch die Herren Elton John und Ed Sheeran vor dem Gabentisch auf. „Merry Christmas“, heißt ihr nicht gerade einfallsreich betiteltes Geschenk. Sie ist wieder länger geworden, die Liste des weihnachtlichen Liedguts.
Warum eigentlich? Ist es der Drang, die Frohbotschaft zu verkünden? Oder saisonbedingte, in melodiösen Zuckerguss getauchte, oft von flockigem Pferdeschlittengebimmel begleitete Gewinnsucht? Nur eine Spielerei, oder doch das Streben nach kreativer Vollkommenheit?
Ein ganz und gar subjektiver Blick in die musikalische Weihnachtsgeschichte:
Ewige Lichter
1) Stille Nacht, heilige Nacht
Sie wussten es damals noch nicht, aber Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr komponierten und texteten in Oberndorf den absoluten Welthit im weihnachtlichen Liederbuch. Ihr Pech: Das Marketing im Jahr 1818 war nicht reif genug, um Kapital daraus zu schlagen. Übersetzt wurde das Lied in 300 Sprachen, sieben maorische Versionen lassen die Freaks frohlocken. Und wer Bestätigung von höchster Stelle braucht: Papst Franziskus erklärte „Stille Nacht“ zu seinem Lieblingslied.
2) O Tannenbaum
Der im 16. Jahrhundert entstandene Evergreen überzeugt mit feierlich-getragener Melodie, taugte 200 Jahre später als tragisches Liebeslied, bevor es zur weihnachtlichen Weise wurde. Maryland erkannte wiederum die staatstragende Wirkung und machte daraus seine Hymne.
3) Ihr Kinderlein kommet
1794 wurde das Gedicht „Kinder bey der Krippe“ in Augsburg vertont. Im Mittelpunkt steht das Szenario in Betlehem mit dem schließlich alles begann.
4) O du Fröhliche
Einer sizilianischen Weise entlehnt, stammt das Lied mit irreführendem Titel aus einer trostlosen Zeit. Napoleon wurde gerade besiegt, die Folgen des Krieges waren im Jahr 1815 Gründe dafür, alles andere als fröhlich zu sein.
5) Es wird scho glei dumpa
Bodenständiger Austro-Beitrag im traditionellen Ranking. Anton Reidinger, ein im oberösterreichischen Krenglbach geborener Geistlicher, war 1884 dafür verantwortlich. Was sollte auch schiefgehen – Reidinger war Sängerknabe in St. Florian und Schüler Anton Bruckners.
Helle Lichter
1) White Christmas
1947 von Irvin Berlin komponiert, wurde Bing Crosby zum singenden Urvater des Erfolgstitels. Seine Single wurde weltweit 50 Millionen Mal verkauft – Rekord. Crosby kam auch an „Silent Night“ nicht vorbei. Still blieb vergleichsweise der Erfolg. 1977 folgte „Peace on Earth/Little Drummer Boy“. Ein Duett mit David Bowie zum Abschied. Einen Monat nach der Studioaufnahme verließ Crosby diese Welt.
2) Last Christmas
Seit 1984 treibt die Nummer Menschen in den Verfolgungswahn. Sie war und ist überall. Im Kaufhaus, Supermarkt, beim Wirten, im eigenen Wohnzimmer. Fast reflexartig tauchen die Gesichter von Georg Michael und Andrew Ridgeley auf – das zu „Wham“ vereinte Duo im winterlichen Video-Idyll. 130 Wochen verschaffte sich „Last Christmas“ Platz in den deutschen Charts. 300 Millionen Euro hat Michael bis zu seinem frühen Tod 2016 damit verdient. In 61 Jahren wird für die Erben die Geldquelle endgültig versiegen. Dann ist Schluss mit den Tantiemen, das Lied wird zum Allgemeingut.
3) All I Want For Christmas Is You
1994 war Mariah Cary und ihr Happysound im kitschig überladenen Träumeland kein Fixstarter auf der Playlist globaler Feierstimmung. Doch im Laufe der Jahre hat sich die Welt zunehmend vernetzt. Und der Strom des breiten Geschmacks auch: Mit 714 Millionen Streams erstrahlt Mariah seither als hellstes Licht auf dem weihnachtlichen Liederbaum. 1,17 Millionen waren es am Heiligen Abend 2016.
4) Merry Xmas Everybody
Seit 1973 stampfen sich die Weihnachtswünsche der Glam-Rock-Band Slade ins Hörverhalten der Konsumenten. Schritt für Schritt. Bis der Beitrag der Briten in Radiosendern und auf diversen Best-of-Sammlungen unverzichtbar wurde. Ergibt 500.000 Pfund pro Jahr.
5) Schlager-Sterne
Österreichs Freddy Quinn feierte 1964 „Weihnachten auf hoher See.“ Wo sonst? 500.000 Menschen steuerten im deutschsprachigen Raum die Plattenläden an. Helene Fischer ankerte 2015 mit „Weihnachten“ ebenfalls vier Wochen in den Charts. Als Segen betrachtet wurde das Album nicht. Trotzdem: 1,2 Millionen wollten es.
Im Lauf der weihnachtlichen Musikhistorie verleitete das unbändige Streben, eine heile Welt zu vermitteln, oft zu einer naiven, peinlichen bis völlig verunglückten Produktpräsentation. Ein paar Beispiele gefällig:
1984 wurden Bob Geldof von einer Reportage über die Hungersnot in Äthiopien gefesselt. Bowie, Bono, Collins bis Sting – sie alle tanzten an, um als Benefiz-Projekt Band Aid mit dem eingängigen „Do They Know It’s Christmas?“ Käufer und damit Spender anzulocken. Gut gemeint, aber schlimm kritisiert wurde eine stereotype Darstellung Afrikas. 24 Millionen Dollar konnten eingespielt werden, ein großer Teil davon soll in falsche Kanäle geflossen sein. Mehrmals wurde der Song als Reaktion auf diverse Krisen (Darfur, Ebola) umgeschrieben. Der Weihnachtsfriede blieb aus. 30 Jahre nach dem Debüt meinte Geldof zu den Kritikern: „Oh, bitte, es ist ein Popsong, keine Doktorarbeit. Die können mich alle mal.“
2) A Volks-Rock'n'Roll Christmas
Last Christmas .... Andreas Gabalier verleiht Klassikern seine Stimme zur blechgeblasenen Begleitung. In ganz einsamen Momenten beschäftigt die Frage: Musste das wirklich sein?
3) Boney M: Christmas Album
„Mary’s Boy Child“ zündete als Wunderkerze im Jahr 1981. Unverändert traurig bleibt die Geschichte von Frank Farians Hitkonservenfabrik. Und dann schenkt er der Menschheit in der angeblich schönsten Zeit des Jahres ein Weihnachtsalbum. Man kann alles übertreiben.
4) Paul McCartney: Wonderful Christmas Time
„Die Party steigt. Das Gefühl ist da. Das kommt vor. In dieser Jahreszeit.“ 1979 tauchte Sir Paul solch belanglose Erzählungen ins nicht minder belanglose Synthesizer-Gewabber. Weihnachten erlebte ein Wunder: Sogar ein Ex-Beatle hat keine Garantie auf himmlische Eingebungen.
Ein bunter Weihnachts-Mix:
Shane MacGowan offenbart die liebliche Seite der nicht immer zimperlichen Briten.
Als hätte Dino am Vorabend einen Punschstand leer getrunken. Charmant.
Ab 1984 schmeichelte sich die Band ins Weihnachtsgeschäft. Irgendwie berührend.
Der „Godfather of Soul“ ist für solche Experimente geradezu prädestiniert.
Vielleicht doch die schönste Version des Klassikers?
„Wish I was at Home for Christmas“ ist der einzige weihnachtliche Hinweis in der trübseligen Story aus dem 1. Weltkrieg. Nur ein Satz, aber einer fürs Gemüt.
Wenn schon sentimental, dann ordentlich. Auf Single gepresste Zugabe im aktuellen „Rolling Stone“.
Waits grummelt am Barpiano. Und als Abschluss...
Wer festlich tafelt, bekommt die passende Begleitmusik.
Es ist nicht die Zeit „für heftiges Trinken“, „oder Essen“ und schon gar nicht für sexuelle Ausschweifungen, mahnt Ian Anderson.
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