Was tun, wenn das Kind Gewaltpornos ansieht?
Diese Statistik erschreckt: Jedes zehnte neunjährige Kind hat schon einmal ein Gewaltporno angesehen, bei den Elfjährigen ist es schon jeder Vierte. Diese Daten stammen zwar aus Großbritannien, wie der KURIER berichtete.
Doch in Österreich dürfte die Lage nicht viel anders sein, sagt Wolfgang Kostenwein – der Psychologe leitet das Institut für Sexualpädagogik.
„Grundsätzlich gilt: Je jünger Kinder mit Pornografie konfrontiert sind, desto negativer ist deren Einfluss“, weiß er. Dass Kinder solche Videos sehen, sei nicht zu vermeiden: „Es ist normal, dass sich Kinder und Jugendliche für Sexualität interessieren. Dieses Grundverständnis ist für Erwachsene wichtig, weil es einen kompetenten und unaufgeregten Umgang mit diesem Thema ermöglicht. Jugendliche suchen ja nicht explizit Gewaltdarstellungen, sondern stoßen eher zufällig darauf.“
Eltern reagieren oft emotional
Wenn Eltern erfahren, dass ihre Kinder Pornos konsumiert haben, ist das Risiko groß, aus der eigenen Betroffenheit zu reagieren und das Verhalten abzuwerten. Wichtiger wäre aber, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Schließlich zeigen Kinder dadurch nur ihr Interesse an Sexualität. „Es ist Aufgabe der Erwachsenen, diesem Interesse respektvoll und altersadäquat zu begegnen. Aufklärungsbücher, Gespräche und Schulworkshops können hier unterstützen.“
Kostenwein betont, dass Pornografie nicht auf alle Jugendliche gleichermaßen eine negative Wirkung hat. Das hänge davon ab, wie sehr sie sich in den ersten Jahren Basiskompetenzen für ihre Sexualität aneignen konnten. „Jugendliche, die sich gut spüren können, werden sich in ihrer Sexualität nach der eigenen Lust verhalten.“ Nur diejenigen, die wenig Wahrnehmungskompetenz in Bezug auf eigene Gefühle und den eigenen Körper besitzen, nehmen Bilder aus der Pornografie als Basis für ihr Tun.
Im Kindergarten
Aufholbedarf sieht Kostenwein in der adäquaten Begleitung der sexuellen Entwicklung im Kindergarten- und Volksschulalter. Dabei gehe es primär nicht um Erklärungen zur Sexualität – Kinder sollen hier Bewegungs- und Spürangebote für den eigenen Körper bekommen. Diese „Spürfähigkeit“ sei eine grundlegende Voraussetzung für Sexualität. Auch emotionale Kompetenz sei nötig, um eine sexuelle Beziehung gestalten zu können.
Kinder sollten zudem Kompetenzen im Umgang mit Medien vermittelt bekommen. „Wenn bei einem Krimi klar ist, dass es sich um gespielte Gewalt handelt, ist das Kindern bei Pornos nicht immer bewusst.“ Übrigens: Ob Pornodarstellungen sexuelle Praktiken von Jugendlichen beeinflussen, ist noch nicht wissenschaftlich geklärt.
Gewalt unter Jugendlichen
Hedwig Wölfl vom Kinderschutzverein Möwe beobachtet allerdings durchaus einen Wechsel „von der bedürfnisgeleiteten hin zur bildgeleiteten Sexualität.“ Heißt: Junge Menschen machen das nach, was sie in den Videos sehen: „Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass man früher nur Fotos wie etwas im Bravo-Heft hatte, die mehr Platz für Fantasien ließen als bewegte Bilder.“
Und wenn dann noch Filme wie „50 Shades of Grey“ oder andere Videos mit Gewaltpraktiken populär werden, kann dadurch auch ein falsches Bild von Sexualität entstehen. „Deshalb ist es so wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern darüber reden und ihnen klarmachen, dass es nur eine kleine Minderheit ist, die an dieser Form der Sexualität Freude hat“, sagt Wölfl. Es sei jedenfalls toxisch für Kinder, wenn man sie damit allein lässt. „Auch weil in dem Alter gerade noch so vieles fluide ist und man viel ausprobiert.“
Um die eigene sexuelle Identität zu entwickeln, brauchen junge Menschen auch Zeit. Doch diese Entwicklung wurde während der Pandemie gebremst, merkt Wölfl an. „Ein langsames Kennenlernen konnte nicht stattfinden. Drei Jahre sind ja für einen heute 19-Jährigen eine Ewigkeit.“
Was sie seit Ende der Pandemie feststellt: „Gewaltsame sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung unter Jugendlichen werden uns vermehrt gemeldet.“ Ob das mit den Gewaltpornos zu tun hat, ist allerdings schwer zu sagen.
Die Neugier ist bei Kindern und Jugendlichen groß – auch weil das Thema Sexualität oft tabuisiert ist. Ein Video, das viele Fragen zum Thema altersgerecht erklärt, ist „Sex we can“.
Als Leitfaden für Eltern bietet sich auch elternseite.at an, die von Rat auf Draht betrieben wird – in einzelnen Modulen erfahren Väter und Mütter, wie sie mit Kindern in den verschiedenen Altersstufen über das Thema Sexualität sprechen können.
Das Institut für Sexualpädagogik bietet Workshops für junge Menschen in Schulen an. Das Thema sexuelle Gewalt wird dabei auch angesprochen. Schülerinnen und Schülern lernen eine altersadäquate Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität.
Jugendliche und Eltern können sich bei Verdacht oder Erleben von Gewalt und sexualisierter Gewalt in jedem Bundesland an ein Kinderschutzzentrum zur kostenlosen Beratung wenden: kinderschuetzen.at
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