Ein Sommer ohne BH: Warum die Generation Z wippende Brüste zeigt

Ein Sommer ohne BH: Warum die Generation Z wippende Brüste zeigt
Ob Stars auf der Bühne oder junge Frauen im Straßenbild: Die Generation Z verzichtet auf Unterwäsche unter dem T-Shirt - das erinnert an die Frauen von 1968.

Bauchfreie Kleidungsstücke wie Crop Tops und Bralettes sowie Oberteile mit Spaghettiträgern gehören zu den modischen Sommertrends. Unter dem wenigen Stoff verzichten auffallend viele junge Frauen diesen Sommer auf Unterwäsche: Wippende Brüste und sichtbare Brustwarzen prägen – abseits der Freibäder – plötzlich das Straßenbild.

Begonnen hat der sogenannte "No-Bra-Trend" im ersten Pandemiejahr 2020 – nach den Lockdowns ließen deutlich mehr Frauen ihre drückenden oder pushenden Büstenhalter einfach weg.

Doris Weichselbaumer, Leiterin des Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung an der Johannes Kepler Universität in Linz: "Als im Homeoffice abseits von Videokonferenzen keinerlei gesellschaftliche Erwartungen an das Aussehen einzelner gerichtet waren, haben viele Frauen bemerkt, dass sie nur aufgrund von gesellschaftlichen Normen einen BH tragen und ihnen der Verzicht darauf angenehm ist."

Wenn viele Frauen ihren BH ablegen, wird dieses Verhalten "normalisiert": "Das individuelle Handeln vieler kann damit gesellschaftliche Normen verändern. Ich denke, darum geht es den Akteurinnen."

Eine große Studie untermauerte im Sommer 2020 das Phänomen sogar mit Zahlen: Jede fünfte Französin unter 20 Jahren gab an, auf den BH verzichten zu wollen, vor den Ausgangsbeschränkungen waren es nur 4 Prozent der unter-20-Jährigen. Laut der Umfrage war das Hauptmotiv Bequemlichkeit, aber ein Drittel der Frauen wollte mit dem Verzicht auch gegen die Sexualisierung der weiblichen Brust kämpfen.

Körperbild

In sozialen Medien wie Tiktok kreierte die Generation Z – also jene, die zwischen 1997 und 2012 zur Welt gekommen sind – Hashtags wie #nobraday oder #freethenipple. Schauspielerinnen wie Zendaya erinnern mit dem Weglassen von Büstenhaltern an einstige Ikonen wie Jane Birkin, die schon in den 60ern gerne Brustwarzen zeigte.

Ein Sommer ohne BH: Warum die Generation Z wippende Brüste zeigt

Aber auch Influencerinnen wie Chiara Ferragni zeigen sich häufig oben ohne in spektakulären Abendkleidern.

Ein Sommer ohne BH: Warum die Generation Z wippende Brüste zeigt

Weichselbaumer beobachtet zwei gegenläufige gesellschaftliche Bewegungen: "Auf der einen Seite führen soziale Medien, digitale Filter und Bildbearbeitung zu immer engeren Schönheitsidealen, die großen Druck insbesondere auf junge Menschen ausüben. Auf der anderen Seite gibt es auch Gruppen, die sich diesem Druck aktiv zu widersetzen suchen: Unter dem Begriff "body positivity" etwa wird vor allem von der Generation Z gegen unrealistische Schönheitsideale und für die Akzeptanz vielfältiger Körperformen gekämpft."

Feministische Revolution 1968

Die Diskussion um das Nicht-Tragen eines Büstenhalters erinnert an das feministische Revolutionsjahr 1968. Die berühmte Verbrennung von BHs als Protest gegen das damalige Frauenbild in Atlantic City hat es zwar so nie gegeben. Dennoch warfen damals Hunderte Feministinnen während einer Miss-America-Wahl Kleidung wie Büstenhalter, Miedergürtel und Stilettos in einen großen Mistkübel. Alles, was einengte, musste weg.

Ein Sommer ohne BH: Warum die Generation Z wippende Brüste zeigt

Die deutsche Soziologin Tanja Kubes kann noch keine große gesellschaftliche Bewegung wie anno 1968 erkennen: "Es wäre schön, wenn der Verzicht ein Akt der Selbstermächtigung wäre, körperliche Vielfalt fördern und nachhaltig unser Körperbild in positivem Sinne verändern würde. Beim aktuellen Trend bin ich davon allerdings noch nicht wirklich überzeugt. Wenn wir uns anschauen, welche Brüste ohne BH auf der Straße, auf Laufsteggen oder in Social Media präsentiert werden, sind das in der Regel Brüste, die sehr stark normativen Schönheitsvorstellungen entsprechen. Junge, symmetrische, feste, nicht hängende Brüste."

Schönheitsideal und Modetrend

Brüste von Rihanna oder Ferragni sind laut der deutschen Wissenschafterin Sinnbild eines aktuellen Schönheitsideals. "Der No-Bra steht nicht für Bequemlichkeit sondern für eine auf High Heels präsentierte perfekte Inszenierung der stereotypen erotischen jungen Frau im transparenten Abendkleid", so Kubes.

Ein Sommer ohne BH: Warum die Generation Z wippende Brüste zeigt

Es wäre leichter, an die No-Bra Bewegung als Selbstermächtigung zu glauben, wenn Influencerinnen, Promis und Models die Brust nicht mit dauerhaft steifen Brustwarzen präsentieren würden. Kubes: "Ein körperlicher Zustand, der stark sexualisiert ist und den man außer bei Kälte und Erregung dauerhaft nur erreicht, wenn die Brustwarzen mit Hyaluron aufgespritzt werden."

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Kubes erinnert an das öffentliche Aufsehen, das Angela Merkel mit einem tief ausgeschnittenen Kleid im Jahr 2008 in Osloer Oper erregte und fragt sich: "Was wäre, wenn unsere Mütter und Großmütter genauso selbstbewusst nackte Brust zeigen würden? Wäre das auch von der Generation Z akzeptiert?"

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Von einer Revolution wie 1968 will die Wissenschafterin daher nicht sprechen, weil der Trend eben nicht alle Menschen in ihrer ganzen Vielfalt betrifft. "Solange das nicht auch normal ist, sehe ich in der No-Bra-Bewegung erst einmal eher einen Modetrend als eine Revolution gegen die Sexualisierung des weiblichen Körpers im Allgemeinen."

Täter-Opfer-Umkehr

In der oben erwähnten Umfrage aus Frankreich gab ein Drittel der Befragten (Frauen und Männer) an, dass Frauen, die keinen BH tragen, Blicke auf sich ziehen wollen. Jeder Fünfte sagte sogar, dass in Fällen von sexuelle Übergriffen mildernde Umstände für den Angreifer gelten sollten.

Frauenforscherin Weichselbaumer erinnert daran, dass kulturell konstruiert ist, welche Körperteile in einer Gesellschaft sexualisiert oder fetischisiert werden. Und dies unterliegt einem gesellschaftlichen Wandel. In Industriestaaten sind Frauen heute tendenziell einem "Entkleidungsdruck" unterworfen: "Sie sollen ihre Körper aktiv formen und zur Schau stellen – ihre "nipples" sollen dabei aber nicht zu sehen sein. Barbie scheint hier Modell zu stehen – aber auch sie ist derzeit dabei sich zu emanzipieren."

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