Liking Gap: Warum wir ständig glauben, dass uns andere nicht mögen
Vermutlich jeder hat es schon mal erlebt: Das Gespräch lief gut, am Nachhauseweg lässt man die Konversation mit der Arbeitskollegin oder dem neuen Bekannten Revue passieren – und beginnt sich übermäßig Gedanken darüber zu machen. "War das ein blöder Sager? Habe ich einen Blick falsch gedeutet, zu viel oder zu wenig Interesse gezeigt oder mit dieser Aussage sogar überheblich gewirkt?“
Die gute Nachricht vorweg: Gesprächspartner sind im allgemeinen nicht annähernd so kritisch, wie man vielleicht erwarten würde. In der Regel genießen sie unsere Gesellschaft sogar deutlich mehr, als wir glauben. In der Wissenschaft hat diese Diskrepanz der Perspektiven einen Namen: "Liking Gap“ oder "Sympathielücke“.
Zu stark zerpflücken
Benannt wurde das Phänomen vom Forscherteam rund um Erica Boothby von der US-amerikanischen Cornell University. In groß angelegten Studien fanden sie heraus, dass die Probandinnen und Probanden "chronisch unterschätzen, wie sehr ihre Gesprächspartner sie mögen“. Das traf auf Begegnungen im Labor, das Kennenlernen von Erstsemestrigen im Studentenwohnheim, aber auch bei Erwachsenen im Rahmen eines Workshops gleichermaßen zu. Die Forschenden sahen auch, dass der Liking Gap kurze, mittlere und lange Gespräche betrifft. Nur kleine Kinder sind ausgenommen (siehe unten).
Wie stark Menschen längst vergangene Gesprächssituationen zerpflücken, erlebt die Klinische und Gesundheitspsychologin Marcella Stolz regelmäßig in ihrer Praxis. "Es ist ein riesiges Thema und die Menschen machen sich darüber wirklich viele Gedanken“, sagt sie zum KURIER.
Frauen und Männer
In den Studien von Psychologin Erica Boothby war die Sympathielücke – entgegen der Erwartungen – bei den Geschlechtern gleichermaßen ausgeprägt.
In Gruppen
Das Phänomen war in Einzel- und Gruppengesprächen gleichermaßen präsent.
Kinder
Bei Vierjährigen wurde der Liking Gap in einer Studie nicht nachgewiesen. Der Grund liegt laut Psychologin Marcella Stolz darin, dass Kinder bis dahin noch nicht in der Lage sind, andere Perspektiven zu übernehmen – und sich keine Gedanken darüber machen, was das Gegenüber von ihnen denkt. Danach tritt der Liking Gap auch bei ihnen auf.
Wenn sie dann jedoch nachhakt und Details erfragt, "bemerke ich, dass dieses Gespräch wahrscheinlich relativ positiv verlaufen ist, aber die Person selbst das gar nicht wirklich sehen kann.“ Woran liegt das?
Selbstkritik, nimmt die Psychologin vorweg, ist ein Urinstinkt des Menschen, eine evolutionsbedingte Schutzfunktion: "Es war essenziell, dass man zu einer Gruppe dazugehört, weil man alleine nicht überlebensfähig wäre.“ Auch heute noch hilft die kleine selbstkritische Stimme im Hinterkopf, um nicht über die Stränge zu schlagen oder unangebrachte Dinge zu sagen.
Nur das Negative sehen
Das Problem ist allerdings, dass die Selbsteinschätzung immer im Nachhinein stattfindet. Während man neue Menschen trifft, ist man "nur damit beschäftig, was man als nächstes sagt und welchen Eindruck man hinterlässt.“ Versucht man, sich rückblickend daran zu erinnern, "neigt man dazu, nur das Negative zu sehen.“ Die Forschenden rund um Boothby betonen, dass der Liking Gap durchaus Vorteile haben könne. So sorge er dafür, dass man sich und sein Auftreten in Gesprächssituationen stets zu verbessern versucht. Kritisch wird es jedoch, "wenn ich dem ganzen zu viel Bedeutung beimesse und nach jedem wichtigen oder unwichtigem Gespräch nachgrüble“, betont Stolz.
Das habe dann Auswirkungen auf das nächste Gespräch: "Ich gehe schon ganz nervös in die Situation rein und verhalte mich total unnatürlich. So wird das dann eine Art Teufelskreis.“ Um den inneren Kritiker nicht die Überhand gewinnen zu lassen, solle man Gesprächssituationen regelmäßig üben: "So bekommt man mehr Selbstsicherheit und kann sich mehr auf das Gegenüber und die Signale (Mimik, Gestik, Blickkontakt, Anm.), die man bekommt, konzentrieren.“
Was die eingangs erwähnte Studie ebenfalls zeigte: Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern des Studentenwohnheims schloss sich die Sympathielücke im Laufe der Zeit. Wen also die Erinnerung einer kürzlich geführten Konversation plagt, der kann aufatmen: Es ist wissenschaftlich belegt, dass dieses Gefühl zumindest vorübergeht.
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