Kampf ums Überleben: Warum uns Survivalstories so faszinieren
Wie mache ich Feuer? Wo finde ich Trinkwasser und Nahrung? Wie baue ich mir ein stabiles Nachtlager, das mich vor Wind und Regen schützt? All diese Fragen stellen sich – glücklicherweise – im Alltag eher nicht. Die Teilnehmer der aktuell laufenden zweiten Staffel der Youtube-Reality-Serie „7 vs. Wild“ sind jedoch genau damit konfrontiert.
Ausgesetzt auf einer einsamen panamaischen Insel, auf sich allein gestellt zwischen Dschungel und Meer, mit nichts als der Kleidung, die sie am Leib tragen und ein paar wenigen Gegenständen, die das Überleben sichern sollen, gilt es für sie, eine Woche auszuharren. Angenehm ist etwas anderes. Den Zuschauern jedoch gefällt der Kampf mit der Wildnis: die bisher 12 Folgen wurden millionenfach angesehen.
Starke Emotionen
Doch warum ist der Kampf ums Überleben für ein unbeteiligtes Publikum so faszinierend? Kerstin Schuller, Klinische und Gesundheitspsychologin bei Instahelp, der Plattform für psychologische Beratung online, liefert eine Erklärung: „Unser menschliches Gehirn liebt zwei Dinge, die dafür ganz entscheidend sind: Zum Ersten sind das starke Emotionen. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns so gerne mit Dingen, die uns emotional berühren – und das nicht nur auf angenehme Weise. Emotionen signalisieren uns: ,Da geschieht etwas Wichtiges – bleib dran!’ Zweitens ist unser Gehirn stets auf der Suche, etwas Neues wahrzunehmen und daraus zu lernen. Je aufregender und ungewöhnlicher das Gesehene ist, desto größer die Faszination. Damit signalisiert das Gehirn ,Sieh genau hin, vielleicht brauchen wir das einmal!’“
Historisches Phänomen
Diese Faszination ist alles andere als ein neues Phänomen. Immerhin sorgte Daniel Defoes von wahren Begebenheiten inspirierter Roman „Robinson Crusoe“, über einen Schiffbrüchigen, der 28 Jahre lang auf einer einsamen Insel gestrandet ist, bereits im Jahr 1719 für Furore.
Und auch das Schicksal der 87-köpfigen Donner Party – amerikanische Siedlerfamilien, die 1846 auf dem Weg nach Kalifornien in den Bergen der Sierra Nevada vom frühen Schnee überrascht wurden – ist noch heute Thema zahlreicher Podcasts, Bücher und Dokumentationen. Nur 45 Siedler überlebten den waghalsigen Treck in den Westen – teilweise nur durch den Verzehr der Körper bereits verstorbener Expeditionsteilnehmerinnen und -teilnehmer.
Auf dieselbe Art retteten sich auch die Überlebenden des „Wunders in den Anden“ vor dem sicheren Tod: 1972 stürzte ein Flugzeug mit einer Rugbymannschaft an Bord im chilenisch-argentinischen Grenzgebiet der Berge ab. Bis sie nach dem fatalen Absturz, 72 Tagen im Eis, extremer Kälte und Hunger und einem schweren Lawinenabgang gerettet wurden, waren noch 16 der ursprünglich 45 Passagiere am Leben. Aller schrecklichen Details zum Trotz inspiriert und interessiert die Geschichte der Überlebenden auch heute noch.
Voyeurismus oder Vorbereitung?
Geht es aber bei der Beschäftigung mit diesen Geschichten um Voyeurismus oder will man sich insgeheim auf den (hoffentlich) unwahrscheinlichen Extremfall vorbereiten? „Es ist wohl eine Kombination aus beiden Faktoren“, sagt dazu Schuller. Man verarbeite täglich Tausende von Reizen. Tanze etwas aus der Reihe, errege das meistens unsere Aufmerksamkeit und wecke die Neugierde. „Dem Voyeurismus liegt aber das Bedürfnis zugrunde, Neues aufzusaugen und daran selbst zu wachsen. Durch das Beobachten von Survivalgeschichten könnten wir uns Wissen aneignen, das auch für unser eigenes Leben von Bedeutung sein kann.“ Schließlich schwebt über der Beschäftigung mit dem Thema ja auch die bange Frage: „Würde ich diese Situation überleben?“
Inspiration
Ein Grundwissen zu Überlebensstrategien verschaffte auch der damals 17-jährigen Juliane Koepcke einen entscheidenden Vorteil, als sie sich 1971 nach einem Flugzeugabsturz, schwer verletzt und als einzige Überlebende, zehn Tage lang durch den Amazonas-Regenwald kämpfen musste, bis sie auf andere Menschen traf.
„Überlebensgeschichten berühren uns immer, auch wenn es uns selbst gerade gut geht“, erklärt Schuller. Doch sie erfüllen noch einen Zweck: „In schlechteren Phasen kann das Verfolgen solcher Abenteuer auch die eigene Perspektive verändern. Vor deren Hintergrund wirken so manche Alltagsprobleme gar nicht mehr so unüberwindbar und schenken uns Mut, auch in schwierigen Situationen durchzuhalten.“ Oder um es (abgewandelt) mit der Tante Jolesch zu sagen: „Es ist noch ein Glück, dass man nicht alleine in der Wildnis gestrandet ist.“
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