Weitere Verbote
Anfänglich erscheint er als die große Rettung. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 18 Jahre alt und gilt als eines der schönsten Mädchen im Dorf. Thomas ist gerade 20 geworden und bewohnt mit Renate Hofer den oberen Stock des Einfamilienhauses, seinen Eltern gehört der untere Bereich. Was anfänglich nach einer Verbesserung aussah, entpuppte sich rasch als Enttäuschung. „Die Verbote gingen weiter, Thomas war sehr eifersüchtig.“ So habe er ihr nicht erlaubt, mit anderen Männern zu reden.
Auch in dieser Familie habe ein traditionelles, rückständiges Frauenbild mit all seinen für Renate Hofer negativen Auswüchsen geherrscht. „Im Endeffekt musste ich tun, was er wollte. Seine Eltern hatten die gleiche Einstellung. Frauen sind Gebärmaschinen, praktisch für den Haushalt und für einen einfachen Job. Ansonsten sollten sie vor dem Mann kuschen.“
Renate Hofer arbeitete als Verkäuferin in einem Supermarkt. Auch hier habe er ständig angerufen, um zu kontrollieren, ob sie tatsächlich in der Arbeit erschienen sei. Zu Hause habe Thomas sie regelmäßig im Schlafzimmer eingesperrt und „Sex mit mir gehabt, obwohl ich nicht wollte. Ich war sein Besitz.“ Zur Polizei zu gehen, das wäre niemals eine Option gewesen. „In so einem Dorf ist das wirklich schwierig, man kennt sich.“ Thomas und seine Familie hätten immer mehr in Richtung Hochzeit und Kinder gedrängt. Immerhin war Renate Hofer nun schon 28 Jahre alt, worauf also noch warten? Obwohl sie diesen Schritt nicht gehen wollte, willigte sie in die Ehelichung ein.
Die Hölle bricht los
Kurz nach der Trauung passierte etwas, mit dem sie nicht mehr gerechnet hatte. Sie verliebte sich in ihren damaligen Vorgesetzten, der ganz anders als Thomas war. Es spielte für Renate Hofer auch keine Rolle, dass der Mann ihre Gefühle nicht erwiderte. Es zeigte ihr lediglich, dass es da draußen mehr gab und sie nicht mit Thomas zusammen sein wollte. Also sagte sie ihm, dass sie unglücklich mit ihm sei, dass es besser wäre, sie gingen getrennte Wege, und dass sie Gefühle für diesen anderen Mann entwickelt habe. „Dann brach die Hölle los, Thomas hat es allen im Dorf erzählt, mich bloßgestellt. Mein komplettes Umfeld hat mir verboten, mich zu trennen.“
Der 14. Februar 2002 ist ein Donnerstag. Renate Hofer hat frei und erledigt ein paar Einkäufe, unter anderem auch in dem Supermarkt, wo sie normalerweise arbeitet. Thomas dürfte sie beobachtet haben. Als sie kurz nach hinten ins Büro zu den Kolleginnen schaut, stürmt er herein und befiehlt ihr, sofort nach Hause zu fahren. Ihr Vorgesetzter erinnert sich an diesen Tag: „Die Situation schien zu eskalieren, löste sich aber in Wohlgefallen auf, als Renate die Filiale verließ und in ihr Auto stieg.“
Sie könnte sterben
Drei Stunden später liegt Renate Hofer bewusstlos und blutend auf dem Gehsteig unter dem Balkon vor ihrem Wohnhaus. Es ist 17 Uhr, als der Notarzt mit der Erstversorgung beginnt. Sie hat schwere Kopfverletzungen und wird mit der Rettung ins Grazer Krankenhaus gebracht. Die Angehörigen werden vorgewarnt. Es schaue sehr schlecht aus. Sie kommt umgehend in den OP. Bis zu diesem Zeitpunkt weiß niemand, was genau geschehen ist. Und ob sie überleben wird. Die Version, die Thomas und seine Familie der Polizei und dem Notarzt damals erzählten: Renate Hofer habe aufgrund ihrer emotionalen Instabilität und einer Affäre Suizid begehen wollen, indem sie vom Balkon gesprungen sei.
Die Wochen vergehen, der Heilungsprozess ist zäh. Im Bericht des Neurologen heißt es: „Schweres Schädelhirntrauma mit Epiduralhämatom rechts temporal und akutem Subduralhämatom links temporal sowie links frontoparietal gelegenen Kontusionsblutungen. Die Patientin kam mit dem Notarzt zu uns, nachdem sie angeblich unter unklaren Umständen von einem Balkon gestürzt sei.“
Renate Hofer überlebt die zahlreichen Operationen. Der Gerichtsmediziner, der sie noch am Krankenbett untersuchte, hatte starke Zweifel an der Version des Suizidversuchs. Ihre Verletzungen, so der Experte in seinem damaligen Gutachten, könnten keinesfalls von einem Sturz stammen, eher von einem Schlag mit einem harten Gegenstand. Die Mordgruppe der Kriminalpolizei übernahm den Fall. Zwei Wochen später wurde Thomas unter dringendem Tatverdacht verhaftet.
Es war kein Sturz
Renate Hofer erinnert sich an den Moment, als sie aus dem Koma aufwachte. „Ich war komplett verwirrt. Sie mussten mich sofort ans Bett binden, weil ich so wild um mich geschlagen habe. Die Schläuche waren furchtbar, auch die künstliche Ernährung.“
Es war ihr nicht möglich, klare Sätze zu formulieren, auch nicht, sich normal zu bewegen oder Dinge aus dem Gedächtnis abzurufen. Die ersten Schritte glichen einem Marathon. Sie musste wieder lernen, wie das Gehen funktioniert, ihre Sprachfehler korrigieren, die gesamte Motorik wieder in Erinnerung rufen, den Gleichgewichtssinn hatte sie verloren.
Am rechten Ohr blieb ihr lange ein Tinnitus, bis heute funktioniert es nur zu 20 Prozent. Regelmäßig erlitt sie epileptische Anfälle. Da sie vor Gericht aussagen sollte, wurde mit dem Termin viele Monate gewartet, so lang, bis ihr Zustand diesen Schritt zuließ. „Sie hätte einen gestreckten Salto rückwärts machen müssen, damit sie so weit fliegt“, meinte der Sachverständige. Ihre Verletzungen würden überhaupt nicht zu einem Sturz passen. Thomas wurde schließlich wegen Mordversuchs an seiner Frau zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Der zweite Geburtstag
"Der Valentinstag ist mein zweiter Geburtstag", sagt Renate Hofer. "Wenn man bedenkt, dass er mein ganzes Leben zerstört hat, erscheinen diese zehn Jahre Strafe nicht viel. Er hat im Gefängnis jeden Tag zu essen bekommen, konnte eine Ausbildung machen. Bekam recht früh Freigang. Ich hingegen hatte nichts, musste ins Frauenhaus, fand keinen Job, weil ich so beeinträchtigt war. Ich spüre die Folgen der Tat auch heute noch."
Aber die Wut hat sie nun hinter sich gelassen. Viel mehr möchte Renate Hofer anderen Frauen zeigen, dass es ein Leben danach gibt. Eines, in dem sie endlich wieder alleine spazieren gehen kann, ohne Angst zu haben.
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