Humor im Krieg: Darüber lachen die Menschen in der Ukraine

Humor im Krieg: Darüber lachen die Menschen in der Ukraine
Die aus Lviv (Lemberg) stammende Germanistin Oksana Havryliv erklärt den fäkal-analen Wortwitz in ihrer Heimat und dessen Nähe zum Wiener Schmäh.
Von Uwe Mauch

Sie forscht schon seit 2006 an der Universität Wien zur Kultur des Schimpfens und des Humors. Das Besondere daran: Ihr Spezialgebiet ist nicht so sehr der Wortwitz in ihrer Heimatstadt Lviv (Lemberg), sondern der Wiener Schmäh.

Die aus der Ukraine stammende Germanistin Oksana Havryliv kann uns daher helfen, das Verbindende mit ihren Landsleuten in beiden Sprachen zu entdecken, aber auch Missverständnisse durch unbedarfte Wortwahl zu vermeiden. So werten sie und ihre Landsleute ein Sujet der Wirtschaftskammer aus dem Vorjahr, das ein ukrainisch-russisches Paar zeigt, als nicht sehr amüsant.

Humor im Krieg: Darüber lachen die Menschen in der Ukraine

KURIER: Lacht ihr in der Ukraine generell über dieselben Witze wie die Menschen in Österreich?

Oksana Havryliv: Grundsätzlich ja. Auch sind die scherzhaften Kommunikationsstile in multikulturellen Städten wie Lviv (Lemberg), Kyiv (Kiew) oder Odessa dem Wiener Schmäh sehr ähnlich. Ich erinnere mich, dass sich meine Kollegen an der Universität in Lviv Witze erzählt haben. Während der österreichische Lektor mit uns laut lachen konnte, fand das sein deutscher Kollege gar nicht so lustig.

Sie haben über den Wiener Schmäh geforscht. Was genau sind denn da die Gemeinsamkeiten?

Nehmen wir nur den Schmäh bei uns in Lviv, den Lviver balak: Der basiert ebenso auf Doppelsinnigkeit und Ambivalenz, auf Andeutungen, auf dem Spiel mit Höflichkeit und Unhöflichkeit, und nicht zuletzt auf der Glorifizierung des Todes.

Humor im Krieg: Darüber lachen die Menschen in der Ukraine

In Wien stirbt man, indem man „die Patschen streckt“ oder „mit dem 71er heimfährt“. Wie umschreibt man das Sterben im Ukrainischen?

Die Beine strecken haben wir auch. Und dann fällt mir noch ein: Der Frosch gibt einem die Zitze, weil man ja zuvor ertrunken ist.

Apropos Tod: Hat der Krieg in der Ukraine auch den Humor Ihrer Landsleute beeinflusst?

Ja, eindeutig. Die Wirkung von Witzen, Wortspielen, Schmähungen, vom Schimpfen und vom Lachen in Krisenzeiten ist ja bekannt. Damit können Menschen die grausame Realität abwerten, Distanz zu ihr schaffen, sich von Ängsten befreien. Beim auslachenden Schimpfen wird die reinigende Funktion sogar verdoppelt. Es gibt viele Belege dafür.

Zum Beispiel?

Nachdem die Kremlpropaganda behauptet hatte, dass in der Ukraine chemische Waffen produziert werden, schrieb jemand auf Facebook: „Das einzige Biolabor in der Ukraine ist mein Kyiver Kühlschrank – mit dem Borschtsch, der seit meiner hastigen Flucht dort verdirbt.“ Außerdem werden russische Phrasen von uns gerne beim Wort genommen und mit dunklem Humor konterkariert: Mit dem Hirn werfen, das ja ursprünglich intensiv nachdenken bedeutet, geben wir heute eine ganz andere Bedeutung.

Der Hass gegen Putin und sein Land muss in der Ukraine riesig sein.

Das ist er. Er wird als positiv wahrgenommen, als Gegenpart zur Angst. Auch aufgrund der Tatsache, dass die Aggressoren zielgerichtet schon so viele Zivilisten – darunter unzählige Kinder – getötet haben.

Der Humor kann aber auch eine tröstende Funktion erfüllen.

Genau. Während ich mit meinen Eltern geskypt habe, höre ich im Hintergrund den Bombenalarm und mache mir sofort Sorgen. Doch die bleiben ganz entspannt und tun das Sirenengeheul als Symphonie ab. Damit wollen sie die akute Gefahr abwerten – und mich trösten.

Kommen wir nun zu Ihrem Spezialgebiet, dem Schimpfen. Gibt es auch da Gemeinsamkeiten?

Das Ukrainische gehört so wie das Österreichische grundsätzlich zu den fäkal-analen Schimpfkulturen: Gschissana, Hosenscheißer, Leck mi am Oasch, Dem hams ins Hirn gschissn kann man (fast) wörtlich ins Ukrainische übersetzen. Leck mi am Oasch gibt es bei uns als Küss mich am Arsch. Es sind aber im Zuge der Russifizierung eine Vielzahl von Schimpfwörtern und Wendungen aus dem Sexualkontext hinzugekommen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die legendäre Antwort des ukrainischen Soldaten auf der Schlangeninsel. Er antwortete auf die Drohung des Kommandanten eines russischen Militärschiffs per Funk mit den Worten Geh auf den Schwanz. Deren emotive Bedeutung entspricht in etwa dem Wienerischen Schleich di, du Oaschloch, obwohl ich persönlich die Wiener Variante als schwächer empfinde.

Welche Doppelbedeutungen sollten wir eventuell kennen?

Lustig ist für uns euer Ausruf Hui! Besonders, wenn er stark gehaucht wird, erinnert er uns an chuj. Das ist die vulgäre Bezeichnung für das männliche Geschlechtsorgan. Der Familienname Pistulka lässt uns wiederum sofort an die derbe Verkleinerungsform der Bezeichnung des weiblichen Geschlechtsorgans denken. Der Vorname Alfons bedeutet im Ukrainischen der Mann, der auf Kosten seiner Frau lebt. Und die Sisi, die können wir Ukrainer auch mit der weiblichen Brust assoziieren.

Die Germanistin: Oksana Havryliv wurde 1971 in der damals noch zur Sowjetunion zählenden Ukraine  geboren. Nach dem Abschluss des Germanistik-Studiums in Lemberg (Lviv) begann sie zum Wiener Schmäh und zur Wiener Schimpfkultur intensiv zu forschen. Schon seit 2012 lebt sie dauerhaft in Wien.

Ihr aktuelles Buch: Oksana Havryliv: „Schimpfen zwischen Scherz und Schmerz. Funktionenvielfalt am Beispiel des Wienerischen“, bei Picus erschienen, 96 Seiten, 14 Euro.

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