Der Verlust Dianas ist nur eines vieler Problemfelder im Windsor-Konflikt, die den Weg in Harrys Buch gefunden haben. Es geht um Neid, Macht, Anerkennung, Geld – und jede Menge Kränkungen, die nie aufgearbeitet wurden.
„In abgeschwächter Form kennen wir alle diese Dynamiken in den eigenen Familien“, sagt die Familienberaterin Sophia Bolzano, die auf Konflikte und Veränderungen spezialisiert ist. Wohl aus diesem Grund sei das Interesse und Mitgefühl am royalen Drama auch so groß (siehe unten). „Wir erkennen, dass diese königliche Familie ähnliche Probleme hat wie wir – und doch wieder ganz anders. Denn diese Familie muss seit mehr als hundert Jahren auf jeden Schritt, jeden Tritt, jede Aussage achten. Oft wurde geschwiegen. Vielleicht zu oft und zu viel.“
Der Zeitpunkt des Ausbruchs ist wohl kein Zufall – wie in vielen Familien entlud sich der Konflikt nach dem Tod der allseits respektierten Matriarchin. „Ich denke, dass Queen Elizabeth der Kitt war, der die Familie zusammengehalten hat und dass ihre Regeln großteils eingehalten wurden“, analysiert Bolzano. „Jetzt nach ihrem Tod bricht mehr heraus, sodass es auch die Öffentlichkeit sehen kann. Was genau vorgefallen ist, ist schwer zu sagen, da ja eine Seite schweigt.“
Auch die Dynamik zwischen den Brüdern ist archetypisch für Geschwister und die Rollen, die ihnen die Psychologie zuschreibt: Auf der einen Seite der vernünftige Erstgeborene, der Verantwortung übernimmt und Traditionen bewahrt, auf der anderen Seite der Jüngere, der rebelliert und Probleme anspricht. Bezeichnend war diese Woche der Auftritt von Kate und William bei der Eröffnung eines Spitals: Farblich akkordiert im Partnerlook lächelten sie alle Anschuldigungen weg und ignorierten Fragen der Fotografen.
Bleibt die Frage: Was animierte Harry, den großen Kritiker der Boulevardmedien, zum Seelenstriptease, der mehr böse Schlagzeilen denn je produziert? Er wolle mehr Sendezeit in den künftigen Staffeln „The Crown“, witzelten Twitter-Nutzer. Andere machen seine Frau Meghan verantwortlich, die „woke“ US-Amerikanerin, die das Schweigen und Mauscheln im Palast nicht hinnehmen wollte. „Ich denke, für Harry ist das Buch ein Befreiungsschlag“, erklärt Bolzano. „Er schreibt sich alles Aufgestaute, über die Jahre Zurückgehaltene von der Seele. Und es ist eben seine Wahrheit.“
Die britische Kolumnistin Bryony Gordon drehte den Spieß um. Jahrelang habe die Welt von Harry wissen wollen, wie das Leben als Royal sei. Nun gebe es endlich eine ausführliche Antwort. „Dass so viele diese Antwort nicht mögen, ist unser Problem – nicht seines“, schrieb sie.
Harry gibt sich gesprächsbereit und hofft auf eine Versöhnung mit „Will“ und „Pa“. Ein Szenario, das vor allem durch die Kritik an Stiefmutter Camilla und die Andeutung weiterer Bücher unrealistisch scheint. Wie schätzt die Expertin die Chancen ein?
Mit einer Mediation sei es nicht getan, sagt Bolzano. „Da ist ein Prozess von Nöten, da sich das Ganze ja auch langsam aufgebaut hat.“ Sie würde mit allen Beteiligten „eine Woche an einen neutralen Ort fahren und mit anderen Coaches in Form von Einzel- und Gruppengesprächen mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen arbeiten“. Am Anfang müsse die Entscheidung stehen: „Wollen wir Krieg oder Frieden? Wollen alle Frieden, ist vieles möglich.“ Sogar ein Happy End. Harry-Potter-Leser wissen es.
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