Fall Anne Wünsche: Warum Abtreibungen immer noch aufregen
TV-Star Anne Wünsche spricht öffentlich über ihre bevorstehende Abtreibung. Das Recht, selbst über ihren Körper zu bestimmen, gestehen ihr nicht alle zu.
Ein dickes Plussymbol auf dem Display eines Schwangerschaftstests: Mit diesem Bild machte die deutsche Schauspielerin Anne Wünsche vergangene Woche ihre Schwangerschaft auf Instagram öffentlich. Im gleichen Atemzug kündigte sie an, das Kind nicht bekommen zu wollen.
Anne Wünsche ist 31 Jahre alt. Bekannt wurde sie durch TV-Formate wie "Berlin – Tag & Nacht" oder "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Als Influencerin baute sich die gebürtige Brandenburgerin ein zweites berufliches Standbein auf.
Wünsche hat drei Kinder, das jüngste wird bald ein Jahr alt. Die unerwartete Schwangerschaft – trotz Hormonspirale – sei ein Schock, erklärt sie. Aktuell sei sie in der siebten Schwangerschaftswoche: "Für mich steht fest: ich kann es nicht behalten." Ihr sei bewusst, dass sie für Aufsehen sorgen werde. Sie wolle dennoch "offen mit der Situation umgehen". Die Entscheidung gegen das Kind treffe sie "keineswegs leichtfertig": "Worte können nicht beschreiben, wie ich mich fühle."
Tabubruch
Auf Instagram, wo der 31-Jährigen über eine Million Menschen folgen, gehen die Meinungen darüber auseinander. Wobei dort längst nicht nur Meinungen, sondern auch wüste Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen an die Dreifachmama adressiert werden. In den gemäßigteren Kommentaren wird Wünsche vorgeworfen, auf "pietätlose" und "beschämende" Art nach Aufmerksamkeit und Reichweite zu gieren. Andere zollen Wünsche Respekt für ihren mutigen Tabubruch. Niemand habe das Recht, ihren Entschluss zu bewerten, so der Tenor.
Dem schließt sich Barbara Maier, Vorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Klinik Ottakring, an.
Sie sieht den offenen Umgang mit dem Thema "positiv": "Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor extrem tabuisiert." Noch immer würde Frauen, "die über ihren Körper und ihr Leben bestimmen, vielfach mit Angst und Ablehnung begegnet".
Kein Nischenthema
Wenn Frauen mit Reichweite über ihre Abtreibungen sprechen, "trägt das wesentlich dazu bei, Schwangerschaftsabbrüche zu entstigmatisieren", betont auch Genderforscherin Beatrice Frasl. Der Meinung, Abtreibungen sollten nicht im Internet oder in der Öffentlichkeit besprochen werden, widerspricht die Expertin vehement. "Abtreibungen sind kein Nischenthema und ein normaler Teil des Lebens von vielen sexuell aktiven Frauen, auch wenn wir nicht drüber sprechen."
Von den Reaktionen im Netz sei sie teilweise schockiert: "Dass einer Frau im Jahr 2023 noch erzählt wird, sie würde ein 'Kind ermorden', hätte ich nicht für möglich gehalten. Das zeigt die Wichtigkeit des Darüber-Sprechens."
Keine Statistik
In Österreich gibt es keine systematischen Aufzeichnungen zu
Abtreibungen. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zwischen 30.000 und 60.000 pro Jahr.
Keine Pflicht
Hierzulande ist kein/e Arzt/Ärztin verpflichtet, eine Abtreibung durchzuführen oder daran mitzuwirken. Außer eine schwangere Frau kann nur so aus einer unmittelbar drohenden Lebensgefahr gerettet werden.
Ablauf
Eine Schwangerschaft kann medikamentös oder chirurgisch beendet werden. Die Kosten werden nur von der Sozialversicherung übernommen, wenn der Abbruch aus medizinischen Gründen (Gefahr für Gesundheit/Leben der Schwangeren, schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes) notwendig ist.
In der Vergangenheit haben etliche Prominente – etwa die Schauspielerinnen Uma Thurman, Whoopi Goldberg und Alyssa Milano – öffentlich über ihre Schwangerschaftsabbrüche gesprochen. In eindrücklicher Erinnerung ist die Titelseite des Magazins Stern aus dem Jahr 1971: Damals bekannten sich 374 Frauen, darunter Senta Berger und Romy Schneider, zu ihrer Abtreibung.
Überfällige Reform
Nur zwei Jahre später wurde in Österreich die "Fristenlösung" beschlossen. Seither sind Abtreibungen hierzulande in den ersten zwölf Wochen nach medizinischer Beratung möglich. "Damit sind sie nicht erlaubt, sondern lediglich straffrei", betont Maier, die eine Reform für dringend notwendig hält. Zwar müsste der Schwangerschaftsabbruch wie jeder andere medizinische Eingriff gewissen Regelungen unterliegen, "er gehört aber raus aus dem Strafgesetzbuch".
Der derzeitige Zustand dränge sowohl abbrechende Frauen wie auch am Abbruch beteiligte Ärztinnen und Ärzte "in eine problematische Sphäre".
"Es ist okay, wenn man diese Entscheidung nie selbst treffen würde, aber es ist auch okay, die von anderen zu akzeptieren."
von Promi Anne Wünsche
über ihre Abtreibung
Situation verbessern
Vorbilder seien Länder wie Schweden oder Norwegen. "Dort ist nicht nur der Zugang leichter, Abbrüche gehören in der medizinischen Ausbildung und Berufsausübung einfach dazu." Die Situation von ungewollt schwangeren Frauen "muss dringend verbessert werden", fordert auch Frasl. "Es gibt ganze Bundesländer in denen niemand eine Abtreibung als Gesundheitsdienstleistung anbietet." Viele Frauen müssten durch ganz Österreich oder ins Ausland fahren – "in einer ohnehin oft schon belasteten Situation".
Prävention
In Aufklärung und Verhütung wird laut Expertinnen und Experten nach wie vor zu wenig investiert, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. "Die Aufklärung über den eigenen Körper sollte im Kindergartenaltern beginnen und sich bis zur Matura bzw. Lehrabschluss ziehen", fordert Maier, die auch Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Familienplanung ist und das Themengebiet Liebe und Sexualität in einer neuen Ethikbuchreihe für Schülerinnen und Schüler der Oberstufen aufgearbeitet hat (erschienen im Hölzel-Verlag). Auch im kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln – zumindest für Jugendliche – sieht Maier einen relevanten Hebel.
Umstrittene Zahlen
Über Abtreibungen gibt es in Österreich keine Aufzeichnungen – diesbezüglich allerdings immer wieder Forderungen aus der Politik. Frasl sieht darin "die Gefahr einer weiteren Einschränkung des Zugangs". Für Maier liegt auf der Hand: "Nachdem Frauen den Abbruch immer noch selbst finanzieren müssen, wüsste ich nicht, warum dieser jemanden etwas anginge." Macht man daraus eine Versicherungsleistung, "hätte man sofort entsprechende Zahlen über die Abrechnungen".
Anna Wünsche will sich nicht "aus Angst vor Unverständnis verstecken". Vorwürfe seien allerdings das Letzte, was ungewollt schwangere Frauen brauchen, sagt Maier. "Sie benötigen vielmehr einen raschen Zugang zu Abbruchsmöglichkeiten. Je früher, desto unkomplizierter das Vorgehen. Und danach eine gute Verhütungsberatung."
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