Ein Graf, der auf Tiktok gutes Benehmen lehrt

Ein Graf, der auf Tiktok gutes Benehmen lehrt
Clemens Hoyos beantwortet die Knigge-Fragen der Generation Z - und erklärt, ob die Jugend wirklich immer unhöflicher wird.

Die erste Frage könnte bereits ein Fettnäpfchen sein: Ob die Interviewerin den ungefähr gleich alten Gesprächspartner im beruflichen Kontext duzen darf? „Ja, natürlich“, gibt Clemens Hoyos Entwarnung, „das ist vollkommen in Ordnung“. Eigentlich heißt der 35-jährige Clemens Graf von Hoyos, er entstammt einer einst adeligen bayrischen Familie und hat sich in den vergangenen Jahren als Benimmexperte für junge Erwachsene einen Namen gemacht. Nach seiner Ausbildung zum Knigge-Trainer übernahm er die Knigge Akademie und startete einen gleichnamigen Tiktok-Kanal, mit dem er Hunderttausende Onlinenutzer erreicht.

In seinen Videos beantwortet er – meist in weißem Hemd und blauem Sakko – Fragen aus der Community, die sich aus den Generationen Y und Z, also etwa 20- bis 40-Jährigen, zusammensetzt: Was soll ich am Heiligen Abend anziehen? Muss ich beim ersten Date die Rechnung übernehmen? Hilfe, ich lerne meine Schwiegereltern kennen! „Natürlich hat Knigge immer auch mit Zeitgeist zu tun, die Grundauffassung von kniggekonformem Verhalten bleibt aber gleich: Es sollte stets anlass- und adressatenbezogen sein“, erklärt der Münchner.

Apropos Zeitgeist: Dieser spiegelt sich in einer seiner häufigsten Anfragen. „Etwas, das die Jugend offenbar verlernt, ist: Wie komme ich mit Leuten in Kontakt? Da geht es um Small Talk, um Networking, auch um Telefonieren.“ Oder beim Thema Essen. „Es geht heute nicht mehr darum: Wie esse ich richtig einen Hummer? Sondern: Wie esse ich richtig einen Kebab?“ Sein Vortrag über Tinder-Knigge verkauft sich so gut wie kein anderer.

Dass „die Jugend“ unhöflicher werde, will unterschreibt er nicht. „Diese Leier ist so alt wie die Menschheit selbst“, sagt Hoyos. „Allerdings wird die Art der Unflätigkeit aufgemischt – etwa durch das Smartphone.“ Durch die Pandemie-Zeit habe sich einiges geändert. „Wir sind dünnhäutig geworden, weil es eine  Ausnahmesituation mit polarisierenden Standpunkten war. Wie wir diskutieren, essen, uns kleiden, all das hat sich verändert. Bequemlichkeit ist für viele Menschen zum obersten Gebot geworden.“

Drei Regeln

Die Vorliebe für das Vornehme entwickelte der Jungvater bereits in seiner Kindheit. Disziplin spielte eine wichtige Rolle in seiner Familie. Bis heute sei sein Großvater für ihn das größte Vorbild, erzählt er. „Ich bewundere meinen Großvater für seine Disziplin. Er ist sehr feudal aufgewachsen, hat im Krieg alles verloren und sich mühsam wieder hochgearbeitet. Trotz künstlicher Hüften und durchschossenem Knie hat er es sich nie nehmen lassen, seine Gäste zur Tür zu begleiten.“ Von ihm stammen auch Hoyos’ drei Faustregeln für ein gutes, respektvolles Miteinander: „Aufrecht dastehen, freundlich lächeln und immer höflich Bitte und Danke sagen.“

Als „Benimmfluencer“ sieht er sich als Brückenbauer zwischen jenen, die Knigge-Regeln dogmatisch sehen und jenen, die diese komplett ablehnen. „Es gibt kein Richtig und Falsch, es gibt nur geschickt und angemessen oder ungeschickt und unangemessen“, sagt Hoyos. „Aber eine Laisser-faire-Haltung bringt uns auch nicht weiter. Wenn der Regelbruch zur Norm wird, haben wir irgendwann Beliebigkeit.“

Buchtipp: „Anstand statt Ellbogen“ von Birte Steinkamp und Clemens Hoyos ist 2023 im Forward Verlag erschienen

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