Lehrreiche Vorstellung
Ihr Publikum, das sind Medizinstudenten. Angehende Ärztinnen und Ärzte also, die in Lehrveranstaltungen den Umgang mit psychisch (und körperlich) kranken Menschen lernen sollen. Im Kontakt mit Schauspielpatienten machen sie sich praktische Kompetenzen zu eigen, um später echten Patienten einfühlsam, professionell und ohne Berührungsängste begegnen zu können.
Seit 2012 ist das Fach "Ärztliche Gesprächsführung" mit Schauspielpatientinnen und Schauspielpatienten fix im Curriculum integriert (siehe Infobox weiter unten). Die Lehrveranstaltung ist mehrteilig: Neben Anamnesegesprächen, in denen die Krankengeschichte ergründet wird, üben die Studierenden in Kleingruppen, wie man Diagnosen überbringt – und erkennt, wie im Fall der schwer depressiven Frau Swoboda.
Die Anfänge des Projekts reichen in die Neunzigerjahre zurück. Damals brachte der inzwischen pensionierte Psychiater Gerhard Lenz das im englischsprachigen Raum bereits etablierte Empathietraining nach Wien und holte Schauspielerinnen und Schauspieler ans AKH. Gabriela Hütter war eine von ihnen: "Ich wurde gefragt, ob ich Patientinnen, die gerade an der Abteilung für Psychiatrie stationär aufgenommen waren, kennenlernen, befragen und mich so weit in sie hineinversetzen möchte, dass ich sie im Laufe der Zeit darstellen kann."
Unter der Anleitung von Psychiater Lenz und mit dem Einverständnis der Patientinnen tastete sie sich "an ihre Befindlichkeiten und Spannungszustände und das Unangenehme der Krankheiten heran".
Das Herantasten klappte nicht von heute auf morgen, erinnert sich die gebürtige Grazerin. "Ich habe über Monate viele Stunden mit den Patientinnen verbracht, ihre Geschichten im Kopf gespeichert und irgendwann in den Rollendarstellungen reproduziert." Das Studium anonymisierter Krankenakten war ebenso Teil der Vorbereitung wie der Besuch von Psychiatrie-Vorlesungen. Vom Erlernen einer klassischen Theaterrolle unterscheidet sich der Prozess kaum: "Bei einer Theaterrolle ist die Literatur Basis meines Tuns. Hier ist es der Mensch, dem ich so nahe wie möglich kommen muss. Gleichzeitig muss ich wie bei einer herkömmlichen Rolle in mir nach Resonanzen suchen. Ich tue ja nur so, als ob ich dieser Mensch wäre."
So zu tun als ob – auf beeindruckend glaubwürdige Art und Weise – hat die 59-Jährige in den Achtzigern am Max Reinhardt Seminar gelernt. Inzwischen hat sie sechs Rollen im Repertoire. "Und jede Rolle, egal ob Depression, Sucht, Zwangs- oder Persönlichkeitsstörung, fesselt mich ganz speziell."
In den Übungsgesprächen an der Universität muss Gabriela Hütter stets authentisch und im Einklang mit der psychischen Krankheit agieren. Wie gelingt das? "Dank der intensiven Vorbereitung: Ich habe mir das Erleben, das mit bestimmten psychischen Erkrankungen einhergeht, angeeignet. Ich weiß, wie die Rollen in bestimmten Situationen agieren, was nicht aushaltbar ist. Jedes Gespräch ist am Ende einzigartig."
Was ein gelungenes Arzt-Patienten-Gespräch ausmacht, weiß die Schauspielerin inzwischen nur allzu gut: "Klarheit, Geduld, Mut im Umgang mit den menschlichen Zerbrechlichkeiten, die ich mime – und ehrliches Interesse."
Frau Swoboda, die in Wirklichkeit ganz anders heißt, hat Gabriela Hütter unzählige Male dargestellt. Was aus ihr geworden ist, weiß die Schauspielerin nicht. "Das sollen wir auch nicht. Es könnte die Darstellung verzerren. Ich bediene mich ja einer Momentaufnahme, einer akuten Phase im Leben dieser Menschen, die – so hoffe ich zumindest – vorübergegangen ist."
Dass sie vor über mittlerweile 20 Jahren in das Projekt eingestiegen ist, hat Gabriela Hütter nie bereut: "Es hat nie an Reiz verloren. Und das habe ich den Patientinnen und ihrer Offenheit zu verdanken."
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