Seilers Gehen: Was von der Gösserhalle übrig bleibt
Bevor ich über den Viktor-Adler-Markt streune, möchte ich eine Aufmunterung in Form eines sogenannten Heißgetränks, und weil das Café Leibniz solches anbietet, betrete ich das, wie es über der Eingangstür heißt, „Espresso“. Es ist leer, bis auf einen Herren an der Budel, der sich zu seinem kleinen Mokka auch ein Achtel vom Schankwein gönnt. Er informiert mich, dass der Wirt gleich kommen wird, er stelle gerade den Standlern ihren Kaffee zu. Also warte ich ein bisschen, bis der Wirt zur Tür hereineilt, mich aber nicht nach meinen Getränkewünschen fragt, sondern nach meinem Impfausweis, first things first. Es haben ja nur Geimpfte Zutritt, alle anderen müssen draußen bleiben.
Das erklärt einerseits, warum die Hütte leer ist, andererseits, wieso der Chef keine Zeit für einen Plausch hat, er muss schließlich Kaffee verkaufen an die Ungeimpften, die draußen einer Erfrischung harren. Ich genieße meine Melange in völliger Einsamkeit. Der Wirt liefert. Der Herr an der Budel hat sich auch verabschiedet. Von den Wänden grüßen ein paar Rapid-Spieler und der Meinl-Mohr. Ich zahle und gehe über den Markt. Unzählige Obst- und Gemüsestandeln, einzelne aus Wien, die meisten mit Ware vom Großgrünmarkt. Viele Fleischstände, wo die Beschriftungen klarmachen, dass „halal“ wichtiger ist als bio. Einzelne Stände mit orientalischen Gewürzen, ein Pferdefleischer, in der ersten Reihe ein Radatz mit seinem Innenstadtangebot.
Glaswarze des Einkaufszentrums
Ich gehe die Favoritenstraße stadteinwärts, es ist noch früh. Am Columbusplatz eine große Baulücke, so kommt die Glaswarze an der Fassade der Shopping Mall noch deutlicher zur Geltung. Ich schaue mir die hübschen Häuser an, die den Platz säumen, der vor allem von der zweispurigen Einfahrt zur Tiefgarage in Anspruch genommen wird.
Das Hotel Kolbeck „Zur Linde“ hat derzeit „keine freien Zimmer“, es wird nämlich umgebaut. Das „Columbus“, ein Bierlokal mit dem Motto „Schlemmen bis zum Kentern“ öffnet um elf. Die Post geht sowieso jenseits der Laxenburger Straße ab, wo gerade ein neuer Stadtteil – noch ein neuer Stadtteil – gebaut wird, das „Neue Landgut“.
Geplant sind Wohnungen für 4.000 Menschen. Überbleibsel der alten Besiedelungen – etwa die Inventarhalle der ÖBB, ein sehenswertes Ziegelgebäude – sind noch zu erkennen. Oder wenigstens Reste davon: Die 1902 erbaute Gösserhalle zum Beispiel ist nur noch in Gestalt ihrer Außenmauern vorhanden, ein Skelett, in dessen Innerem gerade die Bagger in die Tiefe vordringen. Der Nutzungsplan sieht eine Mischung aus Bürohaus und Café vor, die innerhalb der alten Kubatur entstehen soll, so dass die alten Mauern mit den neuen in eine Art historische Verbindung treten. Ich bin gespannt.
Wenn wir nicht mehr sind
Auf einem Baucontainer an der Laxenburger Straße steht weiß auf rot ein Zitat des früheren Wiener Bürgermeisters Karl Seitz (1869–1950): „Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.“ Das ist ein großes Wort, denke ich mir, und jeder, der hier Wände umreißt oder aufstellt, sollte täglich an sie denken.
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