Faszination Ansichtskarte: "Wetter schön, Essen gut"

Faszination Ansichtskarte: "Wetter schön, Essen gut"
Urlaub und Urlaubsgrüße im Wandel der Zeit: Was Forscher aus historische Ansichtskarten herauslesen
Von Uwe Mauch

Das Wetter. Die wichtigste Konstante auf Ansichtskarten ist das Wetter. Weiß Heiko Hausendorf. Mit Akribie studiert der Professor für Linguistik all die historischen Karten, die er sich auf seinem Arbeitstisch zurechtgelegt hat.

Der Sprachforscher weiß: „Nie fehlen darf der obligatorische meteorologische Kurzbericht. Das Wetter ist meist schön, wobei diese Schönheit nie näher definiert wird.“ Hausendorf geht davon aus, dass schön gleich bedeutend mit sonnig ist. Seine These wird durch ein Wort untermauert, das Eingang in die Alltagssprache gefunden hat:

Das Postkartenwetter.

Ein weiterer Karten-Standard: Das Essen. Im Stakkato wird bis heute millionenfach den Adressaten via Karte mitgeteilt: Essen gut.

Ansonsten radeln wir viel. Liest dann Heiko Hausendorf auf einer alten Postkarte. Für ihn ist sofort ersichtlich, dass dieser Urlaubsgruß an den Beginn des neuzeitlichen Verreisens erinnert.

Seit zwei Jahren schon analysiert der Sprachforscher der Universität Zürich gemeinsam mit Kollegen der Technischen Universität in Dresden die Textierung von mehr als 12.000 historischen Ansichtskarten.

„Diese mit der Hand beschriebenen Karten sind eindeutige Belege dafür, dass sich die Idee von Urlaub im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert hat“, erklärt Hausendorf. Die vielleicht wichtigste Veränderung: „Wurde bis in die 1930er-Jahre vornehmlich den Lieben daheim Konkretes berichtet, etwa über die Reise oder die Ankunft, können wir mit dem Beginn des Massentourismus eine Veränderung hin zum Bewerten feststellen.“

Faszination Ansichtskarte: "Wetter schön, Essen gut"

Da die Linguisten aus Zürich und Dresden nur das Geschriebene erforschen, aber keine Zeitzeugen-Interviews führen, können sie manches nur aus dem Kontext heraus vermuten. Tatsache ist, dass die oft lange Anreise mit dem Auto über die Passstraßen der Alpen an die Adria seinerzeit mehr Abenteuer bot als das langweilige Ein- und Auschecken auf modernen Airports. Daher konzentrieren sich die Kartenschreiber heute mehr auf eine Beurteilung dessen, was ihnen ihre Reiseveranstalter zuvor versprochen haben.

Alles Wetter? Oder Essen? Der in der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) tätige Historiker Jan Mokre schmunzelt. Er erinnert sich an ein Gespräch, das er vor vielen Jahren auf einem norwegischen Postboot aufgeschnappt hat: „Ein Berliner Ehepaar diskutierte längere Zeit darüber, was auf eine Ansichtskarte nach Hause geschrieben werden sollte.“ Bis der Ehemann am Ende ausrief: „Dann schreib halt viele Berge und viel Wasser.“

Auch für ist die Ansichtskarte spannend. Der Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums hat mit seinem Team im Juli 2015 das publikumswirksame AKON-Projekt fertiggestellt. Seit drei Jahren können Online-Besucher im Internet 75.000 Karten-Motive ansehen und gratis herunterladen (siehe Seite 3).

„Auf den ersten Blick ist ja die Ansichtskarte ein recht banales Medium“, erläutert der ÖNB-Mitarbeiter. „Doch es beinhaltet gleich drei unterschiedliche Kommunikationsebenen: das vom Absender Notierte, die von ihm vorgenommene Auswahl des Kartenmotivs sowie eine dritte, versteckte Ebene.“ Diese dritte Ebene spiegelt die Absicht des Fotografen wieder: „Er hat keinen Schnappschuss produziert, er hat für sein Motiv den Blickwinkel mit Bedacht gewählt. Sehr wahrscheinlich hat er im Nachhinein das Foto retuschiert und zusätzlich Motive reinmontiert.“

Zu dieser dritten Ebene haben die Linguisten noch eine vierte Ebene entdeckt: analog zu den kolorierten Farben auf den Karten werden die Kurzberichte mit hübscher machenden Adjektiven angereichert: Pasta vorzüglich, Strand wunderbar, Land und Leute bezaubernd.

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Lange vor dem bedingungslosen Haschen nach Likes auf Facebook wollte manch einer, der sich eine Reise leisten konnte, das auch anderen zeigen. Der Urlaub als Statussymbol – er liegt in der Natur des Menschen.

Die Bearbeitung der Ansichten von unterwegs ist wiederum dem Zeitgeist geschuldet. So wurden, wie Direktor Jan Mokre mit Amüsement erzählt, in den 1930er-Jahren nachträglich Autos in die Fotos hineinmontiert, um damit die Modernität eines Ortes zu zeigen. Heute ist eher das Gegenteil der Fall: „Da werden Strommasten, die das Idyll stören, rausretuschiert.“

Die ersten Urlaubsgrüße tauchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Sie sind ein Phänomen, die mit den bezahlten Ferien korrespondieren. Am Anfang war die fotofreie Korrespondenzkarte. Dann kam die Ansichtskarte auf, anfangs noch ohne Textfeld. Eine Art Instagram der Monarchie.

„Weil immer mehr Absender auf die Fotos etwas kritzelten, reagierten die Hersteller“, erzählt der Linguist Hausendorf. Eine wichtige Zäsur: Damit beginnt die Ansichtskarte für die Forscher spannend zu werden. „Es gab schon in den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts Ansichtskarten mit einem kleinen Kästchen für Notizen. Später wurde das Schreibfeld auf die Adressseite gedruckt.“

Mithilfe eigener Suchmaschinen können die Sprachforscher die Veränderung der Sprache dokumentieren. Wunderbar ist folgende Entdeckung: „Wir haben zum Beispiel untersucht, wie oft das Wort gut notiert wird“, berichtet Joachim Scharloth, Professor für Angewandte Linguistik an der TU Dresden. „In den 1970er-Jahren wurde es noch sehr stark benutzt.“

Ein schnelles Medium

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In der zunehmenden Informationsflut drohte das schnöde gut unterzugehen, daher wurde das Adjektiv durch intensivere Beiwerke wie wunderschön und wunderbar ersetzt. Das Essen ist heute nicht mehr gut. Nein:

Essen wunderbar.

Laut Professor Scharloth ist seit den 1990er-Jahren eine „Emotionalisierung der Sprache“ auf den Ansichtskarten zu erkennen. Spannend ist in diesem Zusammenhang die Inflation des Prädikats genießen, das ebenso der Verstärkung dient.

Wir genießen die Berge, das Meer und die Ausflüge.

Der Linguist schlussfolgert daraus: „Das Genießen wird immer mehr zur Leistung.“

Ursprünglich galten die mit der Post verschickten Karten aus Karton als ein sehr schnelles Medium. „Heute sind sie ein Inbegriff der Langsamkeit“, erklärt Heiko Hausendorf von der Uni Zürich. Dass sie ganz von der Bildfläche verschwinden könnten, wie eine Zeit lang befürchtet wurde, glaubt heute keiner der Experten. Die Berichte der nationalen Postgesellschaften verzeichneten zuletzt leichte, aber keineswegs dramatische Beförderungsrückgänge.

Der Badener Familienbetrieb Meixner ist sogar auf Expansionskurs, wie Inhaber Andreas Meixner berichtet (siehe Bericht unten). Vor zwei Jahren hat er einen gut eingeführten Verlag in Kärnten gekauft, in diesem und im nächsten Jahr will er die Steiermark von Graz aus besser belichten. Auf seiner To-do-Liste stehen auch Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Mit einer Einschränkung: „Die Ansichtskarten funktionieren bei uns nur in Verbindung mit anderen Souvenir-Artikeln.“

Spuren des Transports

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SMS und Whatsapp haben die Ansichtskarte nicht verdrängt. Dafür gibt es nach Ansicht der Forscher handfeste Gründe: Mit einer Karte wird mehr Authentizität verbunden. So manifestieren sich auf ihr die Spuren des Transports, und die abgestempelte Briefmarke ist eindeutiger Beleg für ihren Postweg.

Zudem kann sie als langlebiges Erinnerungsstück überall physisch abgelegt oder angesteckt werden. Einzigartig sind aus Sicht der Sprachforscher auch die Zeugnisse sogenannter „Stegreif-Schriftlichkeit“, die im Unterschied zum Verfassen eines Briefes auf einen eher kurzfristigen Planungsprozess beim Schreiben hindeuten.

Der Klassiker: die Anrede Lieber Peter! wird noch großzügig in großen Buchstaben in das räumlich beschränkte Textfeld gemalt, doch mit jedem weiteren Wort reduziert sich der freie Platz für weitere Wörter. Diese werden kleiner und kleiner, ehe sie am Ende Liebe Grüße, Brigitte winzig geschrieben aus dem Textfeld hinausragen. Professor Hausendorf freut sich: „All das gibt es im elektronischen Kontext nicht.“

Derzeit erlebt das Ansichtskarten-Schreiben eine Art nostalgisches Revival, bemerkt der Linguist. „Und irgendwie werden auch die Kurznachrichten wieder origineller.“ Er selbst habe für sich entdeckt, „dass das Schreiben doch ein netter Bestandteil des Urlaubs ist und daher mehr sein kann als nur eine lästige Pflichterfüllung“.

Seine Kollegin im Projekt, die Dresdner Doktorandin Josephine Obert, findet wiederum bemerkenswert, dass die Texte auf den Ansichtskarten im Vergleich zu früher immer kürzer werden. Auf den Karten tauchen inzwischen zudem die Kürzel und Icons der Sozialen Medien auf, öfters mit Augenzwinkern:

Wetter schön. ;-)

Essen gut. ;-)

cu!

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AKON: Kostenloser Download von 75.000 Ansichtskarten

Die Vorarbeiten in der Österreichischen Nationalbibliothek waren nicht ganz ohne: Zunächst mussten die Mitarbeiter der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek 75.000 Motive aus der umfangreichen Ansichtskarten-Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek auswählen – und dann mussten sie digitalisiert und auf einer Online-Weltkarte ihren Entstehungsorten zugeordnet werden.

„Doch unsere Anstrengung hat sich ausgezahlt“, erklärt der Historiker Jan Mokre, der das Projekt AKON als Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums geleitet hat.
Vor drei Jahren ging das Angebot der Nationalbibliothek online. Seither kann jeder Internet-Besucher einen Ort seiner Wahl anklicken und bekommt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Ansichtskarte zur Ansicht.

Der ruhige, seriös arbeitende ÖNB-Mitarbeiter freut sich sichtlich: „Es ist unfassbar! Wir hatten in den drei Jahren bereits 720.000 Besucher und 55 Millionen Klicks. Ich hätte so etwas nie und nimmer erwartet.“ Offensichtlich wurde mit der Verschränkung eines alten Mediums mit einem neuen ein Nerv dieser Zeit getroffen. Jemand urlaubt beispielsweise derzeit im Badeort Grado: ein Blick auf die AKON-Italien-Karte zeigt ihm an: Es gibt 43 historische Motive, die er sofort auf dem Mobiltelefon ansehen kann.

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Geschmeidig ist auch die App der Nationalbibliothek. Die Besonderheit gegenüber der Desktop-Version ist die Option des  direkten Vergleichs: Mit der Kameravorschau des Handys lässt sich  das aktuelle Aussehen einer Sehenswürdigkeit mit alten Ansichtskarten desselben Orts überblenden. Vom Steffl in Wien über den Eiffelturm in Paris bis zur Wall Street in New York ist  so eine spannende Reise in die Vergangenheit möglich. Einen Ort Ihrer Wahl eingeben – und schon kann es losgehen: https://akon.onb.ac.at

Moderne Ansichten im Ansichtskartenverlag

Es gibt sie noch, die Ansichtskarten-Fotografen  und Ansichtskarten-Verlage. Doch es sind nur mehr einige wenige, jedenfalls deutlich weniger als noch in jener Aufbruchszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich zunehmend mehr Menschen im Land zum ersten Mal eine längere Sommerfrische oder einen Winterurlaub leisten konnten.

Zuletzt hat der erfahrene Villacher Fotograf und Verleger Herbert Steinmann seine Firma verkauft. Allerdings nicht aus ökonomischer Erfolglosigkeit. Steinmann hat eine noch größere Leidenschaft als das Verlegen von Postkarten gefunden. Er verdient heute sein Geld mit dem Pilotieren von Flugzeugen.

Sein Know-how ist nicht für immer verloren gegangen, konnte er doch seinen Ansichtskartenverlag und seinen Kundenstock an einen expandierenden Familienbetrieb in Baden bei Wien verkaufen. Den leitet Andreas Meixner mit Frau und Sohn in zweiter Generation.

Den Grundstein für das heutige Geschäftsmodell der Firma Meixner hat Meixners Vater in der zweiten Hälfte der 1960er- Jahre gelegt. „Damals fiel das Tabak-Großhandelsmonopol weg und mein Vater, ein Trafikant in Baden, hat seinen Trafikartikel-Großhandel erweitert und unter anderem einen Post- und Ansichtskartenverlag gegründet.“ Erste Motive des damals jungen Verlags: Baden und Umgebung, später aus ganz Niederösterreich sowie Motive aus dem nördlichen Burgenland: Neusiedler See und Eisenstadt.

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Wien hatte mein Vater nicht im Programm“, erzählt Andreas Meixner, und erklärt das mit einem Gentlemen Agreement, durch das sich die Verlage nicht gegenseitig konkurrenzierten.
Heute ist das anders. Weil viele Betriebe aufgehört haben und alleine mit dem Verkauf von Ansichten des Casinos in Baden kein Geld zu verdienen ist, haben die Meixners ihr Angebot deutlich ausgeweitet. Im Programm haben sie jetzt auch die Sehenswürdigkeiten von Wien, Kärnten und seit Kurzem auch von Graz und Umgebung.

„Wir setzen dabei auf Qualität und Originalität“, erklärt der Firmenchef. „Eine Ansichtskarte muss heute mehr bieten als ein monothematisches Foto.“

Andreas Meixner will schon bald Motive aus allen Bundesländern anbieten. Wer so etwas gezielt plant, glaubt an den Fortbestand der Ansichtskarte. Allerdings fügt er schnell hinzu, dass er ein Produkt im Sortiment hat, das deutlich mehr Potenzial in sich trägt: „Unsere Souvenir-Magnete sind ein Renner.“

Zunehmend mehr Touristen versuchen, sich mit den bunten Magneten ihr Urlaubsfeeling zu Hause zu bewahren.

 

 

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