Handy bei Tisch – geht’s auch ohne?

Handy bei Tisch – geht’s auch ohne?
Die stille Beschäftigung bei Tisch kann schnell in ein Machtspiel ausarten. Die Kinderpsychotherapeutin Dorit Hejze gibt Tipps für harmonische Esskultur in der Familie.

In Ruhe essen, ohne dass ein Kind mit den Nudeln herumspielt, laut ist oder die Mahlzeit gar verweigert: Der Traum vieler Eltern, der sich mit einem einfachen Hilfsmittel verwirklichen lässt – einem Handy oder Tablet. Schnell ein Video oder ein Spiel aufdrehen und schon hat man ein Kind, das artig bei Tisch sitzt und isst.

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Eine scheinbar perfekte Lösung, wenn es da nicht ein paar Tücken gäbe, wie die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Dorit Hejze erklärt.

Warum es für Kinder wichtig ist, das Handy beim Essen wegzulegen

„Unser Sättigungsgefühl hat viel mit dem Erlebnis zu tun. Essen wird vom Gehirn nicht nur im Magen wahrgenommen. Wenn man gerade den visuellen Input von Essen ausblendet, nimmt man dem Körper der Kinder einen wichtigen Inputfaktor für die Essensregulierung“, sagt Hejze.

Wie man Tischmanieren bei Kindern etabliert

Außerdem habe die Nahrungsaufnahme viel mit der taktilen Erfahrung zu tun: „Kinder brauchen die Auseinandersetzung mit dem Essen, das Herumgatschen, um überhaupt ein Interesse zu entwickeln“, sagt Hejze und rät dazu, Experimente am Tisch nicht per se zu unterbinden, sondern angepasst ans Alter Tischmanieren zu etablieren.

„Dabei eine Regel nach der anderen einführen und nicht auf einmal verlangen, dass das Kind nicht schmatzt, ruhig sitzen bleibt und die Gabel verwendet. Zu viele Regeln auf einmal überfordern die Kinder und sie machen nicht mit.“ Hejze warnt dabei davor, das Essen zu einem Machtkampf werden zu lassen. „Weder die eine, noch die andere Seite sollte das Essen als Druckmittel einsetzen. Damit wird niemand glücklich.“

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Entscheidend für ein harmonisches Miteinander am Familientisch ist die Vorbildhaltung: „Wenn Eltern nicht wollen, dass Kinder bei Tisch abgelenkt sind, sollten sie selbst ihr Handy weglegen. Und wenn sie nicht wollen, dass Kinder dazwischenreden, sollten sie ihrem Kind auch verlässlich zu Ende zuhören. Sonst lernt das Kind, es muss sich reindrängen, weil es sonst nicht gehört wird.“

"Ich habe gar keinen Hunger!"

Für mehr Teilhabe am Familienessen rät Hejze dazu, die Kinder mehr in den Vorbereitungsprozess einzubinden. „Unser Gehirn braucht Rituale, um überhaupt Hunger und Appetit zu entwickeln“, erklärt die Expertin und vergleicht die Situation mit dem Einschlafen: „Durch Abendrituale beginnt der Körper Schlafhormone einzuleiten. So ist das auch beim Essen.“

Kinder können beim Einkaufen und beim Kochen helfen und wenn täglich zu einem ähnlichen Zeitpunkt gegessen wird, kann sich der Körper des Kindes darauf einstellen, dass es bald etwas zu essen gibt. „Das kommt im Alltagsstress oft etwas kurz, wenn etwas auf den Tisch kommen soll. Aber damit könnte man es Kindern leichter machen.“

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Ein weiterer Faktor sei, dass Kinder oft nicht genug Abstand zwischen zwei Mahlzeiten haben. „Säfte oder Milch zwischendurch sättigen ungemein“, warnt Hejze.

Ausnahmesituationen

Das Handy am Tisch würde die Kindertherapeutin trotzdem nicht kategorisch verbieten: „Es für besondere Anlässe zu nutzen, ist nicht schlimm. Davon nimmt das Kind keinen Schaden.“

Allerdings kann es gut sein, dass es bei nächster Gelegenheit wieder eingefordert wird: „Kinder bleiben manchmal an Themen dran, um zu kontrollieren, ob ein Nein so stabil ist, wie es scheint. Wenn Eltern nach drei Mal Nein doch nachgeben, lernt das Kind, dass es nur lange genug dranbleiben muss, um sich durchzusetzen.“

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Generell spiegelt das Thema Essen eine Grundhaltung über die gesamte Erziehung, sagt Hejze: „Es geht darum flexibel und beweglich zu bleiben, ohne in Extreme zu rutschen.“

Ein Tipp der Expertin zum Schluss: „Man kann sein Kind auch einfach fragen, warum das Handy so wichtig ist und nicht auf später geschoben werden kann. Stattdessen könnte man etwa ein Familienspiel am Tisch etablieren.“

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