Ethikprofessor Beck: "Ohne Jenseits macht alles keinen Sinn"
Theologieprofessor, Mediziner, Pfarrer: Matthias Beck über die verloren gegangene Spiritualität im Christentum, den Heiligen Geist in uns und seinen eigenen, unkonventionellen Lebensweg.
Ein Gespräch mit dem gefragten Vortragenden – der seit einiger Zeit auch einfacher Pfarrer ist.
KURIER:Ein Video über Sie trägt den Titel „Mit 66 fängt das Pfarrerleben an“. Sie sind nach Ihrer Emeritierung vor zwei Jahren Pfarrer geworden, waren davor schon Kaplan. Warum tut sich das ein Universitätsprofessor an?
Matthias Beck: Ich verstehe die Frage gut. Mein Onkel war auch Pfarrer, und das war für mich als Kind eher etwas langweilig. Für mich heute aber war es ganz einfach: Ich war 65 und zwei Pfarren wurden vakant. Da ich nicht der Typ bin, der in die Ferien fährt und sich ein schönes Leben macht, sondern etwas Vernünftiges tun möchte, habe ich es dem Kardinal angeboten.
Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit im Pfarrblatt mit den Worten geworben: „Keine Angst, ich glaube, ich bin auch ganz normal.“ Hatten Sie Sorge, als abgehobener Intellektueller wahrgenommen zu werden?
Ich nicht, aber vielleicht die anderen. Es macht mir Freude, und ich gestalte es ein bisschen anders. Zum Beispiel habe ich Abende zum Thema „Christentum und Politik“ gemacht, wo einmal Wolfgang Sobotka und einmal Michael Ludwig zu Gast waren. Ich habe auch schon Prof. Anton Zeilinger angefragt. Wir brauchen ein aufgeklärtes Christentum, das mit der Gesellschaft im Gespräch ist.
Was bewegt Ihre beiden Gemeinden, in denen Sie Pfarrer sind?
Das sind zwei sehr unterschiedliche Kirchen und die Menschen sind auch sehr unterschiedlich: Die einen suchen Gott, manche mehr die Gemeinschaft. Ich versuche, den Menschen zu erklären, dass das Christentum sinnvoll ist für das eigene Leben. Wir sprechen viel zu viel über die Struktur der Kirche.
Das Christentum hat in Europa einen riesigen Bedeutungsverlust erlitten. Ganz im Gegensatz zum Islam. Woran liegt es?
Das Christentum ist eine vernünftige, eine aufgeklärte Religion. Dem sind wir in der Kirche vielleicht zu wenig nachgekommen. Man kann Menschen heute nicht mehr mit katholischen Floskeln abspeisen, sondern muss ihnen erklären, wozu etwas gut ist – auch, warum der Sonntag der Sonntag ist. Es ist der Tag der Auferstehung.
Das ist dennoch alles intellektuell, was Sie sagen. Das Christentum wirkt im Gegensatz zum Islam einfach nicht emotional.
Wir haben in den Klöstern noch beides: ora et labora – Arbeit und Kontemplation. Der Islam hat viel mehr Gemeinschaft und relativ einfache Regeln, die wir eigentlich auch haben. Mittags um zwölf und abends um 18 Uhr läuten die Glocken. Warum? Das ist das Mittags- und das Abendgebet der Mönche. Wenn – und das habe ich selbst erlebt – ein muslimischer Spitalsarzt zum Freitagsgebet geht, ist das akzeptiert. Würde ein christlicher Arzt am Sonntag für zwei Stunden in die Messe verschwinden, würde er wahrscheinlich ausgelacht. Wir haben unsere Regeln durch nichts ersetzt, hätten sie aber mindestens durch eine Reflexionsrunde ersetzen müssen. Wenn man eine katholisch erzogene Ärzterunde nach ihrer Spiritualität fragt, dann kommt oft als Antwort, dass sie das eher im Zen-Buddhismus finden.
Was findet man dort?
Im Zen-Buddhismus lernt man schweigen. Das ist ganz wichtig. Beten ist ja viel mehr hören, als plappern. Deshalb sind Klöster mit Gästen relativ gut besucht. In einer christlichen Gemeinde findet man nicht so viel Spiritualität – außer in unseren Gemeinden natürlich (lacht).
Sie sind Mediziner, Pharmazeut und Theologe und bezeichnen das Christentum als „heilende Religion“. Hilft der Glaube, gesund zu werden oder zu bleiben?
Die Frage ist: welcher Glaube? Wenn ich bereit bin, dem Willen Gottes zu folgen, wenn ich das so fromm sagen darf, dann ist das keine Fremdbestimmung, sondern Hinführung zur Selbstfindung. Es gibt ein tolles Wort: Autorität im Sinne von „wachsen lassen“. Eigentlich gibt es für den Christen vor allem eine Autorität, und das ist der Heilige Geist in mir. Es gibt eine göttliche Stimme in mir, die mir den Weg weist und mir hilft, gute Entscheidungen zu treffen. Wenn ich mich nur an der äußeren Autorität der Kirche orientiere, laufe ich Gefahr, diesen inneren Punkt zu verfehlen.
Könnten die christlichen Kirchen die Polarisierung in der Gesellschaft „heilen“? Die Kirchen könnten helfen, zu zeigen, dass der Glaube innerlich stark macht und der einzelne aus dieser Stärke heraus Nächstenliebe, Respekt, Wohlwollen leben kann. Wir alle müssen mitwirken. Es geht um jeden einzelnen Menschen. Die Aggression beginnt ja in mir. Ich muss also an mir arbeiten, um mit dem, was mir in der Gesellschaft nicht gefällt, zurechtzukommen. Man kann von den Menschen schon etwas fordern.
Die katholische Kirche kommt oft recht bevormundend und verstaubt daher. Ständig geht es um die „übergroße“ Schuld und wenig um das Lebensbejahende. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Kirche. Gerade dieser Papst will ja auch den „Glaubenssinn“ des Volkes stärken und appelliert: „Denkt selber nach!“
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Sie sind Mitglied der Bioethikkommission. Was ist in der Pandemie falsch gelaufen, dass das solche Aggressionen erzeugt hat?
Man hat Lösungen gegen ein Virus gesucht, das keiner kannte – ein ganz normaler naturwissenschaftlicher Prozess. Nur haben die Kameras zugeschaut, was dazu geführt hat, dass die Bevölkerung die Wissenschafter als inkompetent eingestuft hat. Man hätte es begleitend erklären müssen. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass wir in der Bioethikkommission dazu ein Papier machen.
Wohnen als Mediziner und Theologe nicht zwei Seelen in Ihrer Brust bei ethischen Entscheidungen?
Ganz im Gegenteil, das ist eine Einheit. Auch in den Naturgesetzen ist der göttliche Logos gegenwärtig.
Wer gläubig ist, kann den eigenen Tod gelassener erwarten und auch den Tod geliebter Menschen leichter verkraften. Glauben Sie als Naturwissenschaftler an ein Jenseits?
Wieso soll nach 80 Jahren alles im Nichts enden? Ohne Jenseits macht alles keinen Sinn. Meiner Meinung nach kann man zum Beispiel auch die in der Bioethikkommission diskutierte Frage nach dem assistierten Suizid nur aus einer religiösen Perspektive beantworten: Weil es ein Jenseits gibt und man sein Leben nicht frühzeitig beenden sollte. Ich als Christ – und wir feiern zu Ostern Auferstehung – sage natürlich, dass es darüber hinausgeht, aber anders. Wir haben eine Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Wobei es eine Horrorvorstellung wäre, 200 Jahre alt zu werden – also besser Ewigkeit, die ohne Zeit ist.
Die Amtszeit von Kardinal Schönborn endet gerade. Was hielten Sie von ihm?
Ich schätze ihn sehr. Ohne ihn wäre ich nie Priester geworden. Bei einem Mittagessen habe ich ihn gefragt, ob ich Priester werden solle. Er schaute mich mit großen Augen an und meinte: „Ja, Matthias, wir müssen neue Wege gehen. Sie bleiben Professor an der Uni, sprechen Sie mit dem Regens im Priesterseminar.“ Ich habe dann vier Jahre lang die offizielle Ausbildung gemacht. Ich war damals schon Professor an der Uni, und dieselben Studenten, die zu mir in die Vorlesung kamen, waren mit mir im Priesterseminar. Das ging aber sehr gut. Manche deutsche Bischöfe hätten vielleicht gemeint: „Das geht ja gar nicht.“
Welche Bedeutung haben die Heiligen Drei Könige?
König steht für Regentschaft. Jesus war auch ein König, aber mehr einer der Innerlichkeit, nicht der äußeren Herrschaft. Die drei Könige huldigen ihm, sie sind Weise aus dem Morgenland. Das ist eine zweite gute Bedeutung: Sie kommen aus dem Osten, wo das Licht herkommt, und sind gebildete Leute.
Sie arbeiten in einem Alter, wo andere längst in Pension sind. Warum?
Auf jedem Kirchturm steht: „Carpe diem“, nutze den Tag. Ich will die Kräfte, die ich noch habe, den Menschen zur Verfügung stellen.
Der in Hannover geborene Universitätsprofessor für theologische Ethik absolvierte zunächst ein Medizin- und Pharmaziestudium und sollte eigentlich die Apotheke seiner Tante übernehmen. Erst später kam er zur Theologie.
2007 wurde er an der Uni Wien Professor, 2011 ließ er sich zum Priester weihen. Der Spezialist für Medizinethik gehört der österreichischen Bioethikkommission an und ist korrespondierendes Mitglied der „Päpstlichen Akademie für das Leben“ im Vatikan. Seit seiner Pensionierung ist Beck Pfarrer in „St. Josef zu Margareten“ (wo er davor schon Kaplan war) und in der Pfarre „Auferstehung Christi“ im 5. Wiener Gemeindebezirk.
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