"Weniger verkrampft": Was Wein über die Gesellschaft aussagt
Wien ist ein Ort, an dem man gerne Wein trinkt, so weit ist das bekannt. Weniger bekannt ist, dass Wien die einzige Millionenstadt der Welt ist, in der in nennenswertem Ausmaß Weinbau betrieben wird. Einer der größten Winzerbetriebe dabei ist der Mayer am Pfarrplatz. Ja, das ist der Heurige, zu dem aber eben auch ein Weingut gehört.
Für die Bewirtschaftung der gut siebzig Hektar Anbaufläche auf knapp zweihundert Einzelgrundstücken zwischen 220 Meter und 400 Meter Seehöhe ist Gerhard Lobner als Geschäftsführer hauptverantwortlich. Wir wollten wissen, welche Trends er beim Wein kommen sieht und welche vorbei sind.
KURIER ReiseGenuss: Weil wir da gerade unter dem Kahlenberg stehen: Welcher Wein wächst denn besser auf 200 Meter, welcher auf 400?
Gerhard Lobner: Je höher, umso kühler – da baut man eher die fruchtbetonteren Sorten an. Je tiefer eher die kräftigen, gehaltvolleren.
Welche davon beliebter sind, unterliegt ständig veränderlichen Trends. Worauf können wir uns derzeit denn einstellen?
Wein ist immer ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Er unterliegt gewissen Moden, wie der Lifestyle entwickelt sich auch der Genuss. Also sind auch beim Wein Nachhaltigkeit und Regionalität zuletzt immer – noch – wichtiger geworden.
Sie meinen, wenn Menschen gerade puritanischer leben oder üppiger, das merkt man am Wein?
Absolut. An der Kulinarik generell. Die Trends einer Gesellschaft spiegeln sich in der Küche wider – und im Keller. In den 1990er-Jahren konnte es zum Beispiel gar nicht international genug sein, da kamen der Chardonnay und der Cabernet Sauvignon. Die Weinfreunde haben jeden Stein im Piemont, in der Toskana und im Bordeaux gekannt, aber die österreichischen Weinbaugebiete waren eher nicht auf dem Reiseplan. Das hat sich geändert, zuerst mit der Wachau, dann Kremstal, Kamptal, Südsteiermark. Und seit fünfzehn Jahren ist es Wien, vor allem der Nussberg wurde wiederentdeckt.
Der ist ja das Aushängeschild vom Wiener Weinbau. Welche Rebsorten passen denn da am besten her?
Wiener Gemischter Satz, Riesling, Burgundersorten und Pinot Noir. Speziell hier im 19. Bezirk haben wir auf kleiner Fläche extrem unterschiedliche Lagen, von Seehöhe über Hangneigung bis Bodentypen. Das macht den Weinbau hier so besonders, das ist schon über der Donau am Bisamberg ganz anders. Wegen dieser Unterschiede kommt es im Geschmack rüber, wenn wir Lagen rausarbeiten. Daher füllen alleine wir zehn Einzellagen ab.
Warum wurden diese Lagenweine eigentlich zu so einem starken Trend?
Weil wir diese Besinnung auf die Herkunft im Detail wieder mehr schätzen. Bis hin zur Riede, bis zum konkreten Boden und zum Mikroklima. Deshalb versuchen wir auch, wieder alte Eigenschaften in der Genetik von alten Rebstöcken herauszubekommen: im Grünen Veltliner, alten Rieslingstöcken, im Welschriesling oder in Neuburger und Traminer, beides extrem alte Sorten.
Die Rückbesinnung auf die Weisheit der Elterngeneration quasi.
Ja, früher musste man den Weingarten genauer beobachten, das Wetter und alles, das sich um den Rebstock getan hat, Tiere, Vegetation ... daraus hat man Rückschlüsse gezogen. Heute haben wir viele Unterstützungsmechanismen, so fallen Entscheidungen leichter. Das Ziel ist, sich in beiden Welten zurechtzufinden, um die Klaviatur komplett zu spielen.
Was wurde aus den Trends vergangener Jahre? Von Orange-Wine bis Rosé.
Die Natural-Weine haben ihre Liebhaber gefunden, in einer sehr wichtigen Nische, die bleibt. Das fließt in das Gesamtbild ein, eine gute Weinbegleitung braucht heute Vielfalt, da kann ich mit einem trockenen, fruchtbetonten Grünen Veltliner beginnen und nehme aber vielleicht zum Hauptgang etwas Extravagantes. Beim Rosé versuchte man die vergangenen fünfzehn Jahre, einen Trend herbeizuschreiben, jetzt geht es wirklich in die Richtung: leichte, aromatische Rosés, die saftig sind und im Sommer ein Trinkvergnügen bereiten.
Und der Schaumwein?
Da kann man nicht von Trend sprechen, sondern von Entwicklung. Vor dreißig Jahren brauchte man für Sekt und Champagner einen Anlass, heute macht man zu gutem Essen auch einmal eine Flasche Rieslingsekt auf, zum Beispiel. Ich sehe zwei spannende Richtungen: Beim klassischen Sekt werden Winzersekte immer bedeutsamer. Auf der anderen Seite die Pet-Nat-Produkte (Pétillant Naturel, Anm.): Das ist zwischen Wein und Sekt, die zweite Gärung beginnt in der Flasche, wird aber nicht ganz durchgeführt.
Es ist nicht mehr so strikt. Heute würden nicht einmal mehr die Konservativsten schief schauen, wenn man einen leichten Zweigelt zum Saibling möchte, im Sommer vielleicht sogar leicht gekühlt. Vor dreißig Jahren wäre man bei der Bestellung vom Top-Sommelier nicht mehr bedient worden.
Vielleicht heißt das dann im Umkehrschluss, wir sind als Gesellschaft nicht mehr so verkrampft.
Genau. Weil in das Lokal vom Top-Sommelier wäre man damals ohne Krawatte nicht reingekommen. Heute muss man Krawatten dort schon suchen.
Rezept mit Wein: Riesling-Schaumsuppe
Zutaten
2 Zwiebeln geschält und in kleine Würfel geschnitten
1 Sellerieknolle geschält und klein geschnitten
1 Kohlrabi geschält und klein geschnitten
Etwas Pflanzenöl und 1 EL Butter zum Anbraten
Ein halber Liter Riesling
Salz, Pfeffer, Muskatnuss, Zimt, Kräutersalz
1 Liter kräftiger Fond z. B. Gemüse- oder Rindsuppe
Ein halber Liter Obers
Weißbrotwürfel zum Drüberstreuen
Zubereitung
- Zwiebeln, Sellerie und Kohlrabi in einem Topf mit Öl und Butter leicht ohne Farbe anbraten, mit Riesling ablöschen und aufkochen.
- Mit Salz und Pfeffer würzen, je eine Prise Muskatnuss und Zimt sowie etwas Kräutersalz dazugeben. Mit dem Fond aufgießen und einkochen, bis das Gemüse weich ist.
- Obers zugeben. Mit einem Stabmixer fein pürieren. Weißbrotwürfel anrösten, drüberstreuen und servieren.
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