Eine Leber, so schwer wie ein Kind

Verena Geier vor der Operation
Verena Geier wurde 17 Kilogramm schweres Organ in Graz entfernt. So einen Fall gab es noch nie.

„Socken anziehen war schon schwierig“, erinnert sich Verena Geier. „Und Autofahren erst. Der Bauch war so groß.“ Die 34-Jährige dehnt das „so“ beim Sprechen und deutet mit den Armen an, wie groß: 17,5 Kilogramm wog ihre von Zysten befallene Leber, die im August entfernt und durch ein Spenderorgan ersetzt wurde.

Eine solche Erkrankung ist per se schon selten: Auf 10.000 Menschen gerechnet erkrankt statistisch nur einer an daran. Die Ursache ist genetisch. Im Organ wuchern Zysten, es ist mit Hohlräumen durchzogen, die sich mit Wasser füllen. Aber eine auf diese Masse angewachsene Leber ist einzigartig. In Europa definitiv, vermutlich aber weltweit, betont Peter Schemmer, Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Graz / LKH Graz. „In der Literatur ist kein solcher Fall beschrieben. Sie müssen sich vorstellen: 17 Kilogramm wiegt ein fünfjähriges Kind.“

Durchsetzt von dem Zystengeflecht und aufgeschwemmt mit Wasser war Geigers Bauch so aufgequollen, dass die Steirerin insgesamt 40 Kilogramm zusätzlich mit sich herumschleppte. 2005 wurden die Zysten an der Leber entdeckt. Gutartig, aber schon damals war klar: Diese Zysten werden sich wohl ausbreiten.

Teileingriff unmöglich

Medikamentöse Behandlung gab es keine und operatives Entfernen der damals noch wenigen Zysten war laut Uni-Professor Schemmer nicht möglich. „Es handelte sich um multiple Zysten, es gab keine einzelnen führenden Zysten“, beschreibt der Mediziner. „Man hätte nichts machen können. Wo hätte man anfangen sollen?“

Schon 2005 warnten die damals behandelten Ärzte Geiger vor, dass eine Transplantion unumgänglich werden könnte. „Aber ich hab’ mir gedacht, Zysten, das haben doch viele Menschen. Ich habe auch keine Beschwerden gehabt“, erinnert sich die 34-Jährige.

Eine Leber, so schwer wie ein Kind

Die 34-Jährige wurde von Daniela Kniepeiss und Peter Schemmer operiert

Also lebte sie mit der Leber, in der es im Lauf der Zeit zu wuchern begann, die aber dennoch funktionsfähig blieb. Ab 2010 nahm sie an einer Studie teil: Ein spezielles Medikament wurde verabreicht, das Zysten wenigstens verkleinern soll. Aber das brachte nichts.

Erneut rieten die Ärzte, eine Transplantion zu erwägen. Doch Geiger fürchtete sich vor diesem Schritt. „Ich habe extreme Angst gehabt. Ich habe ja noch alles machen können.“ Ein Jahr vor dem Eingriff sie sie sogar noch Skifahren gewesen. „Freilich, der Bauch war da. Aber vielleicht geht es mir danach noch schlechter?“

Etwa ab 2017 schwollen die Leber und damit der Bauch dann jedoch massiv an, die Beschwerden wuchsen. Körperliche wie Atemnot und Muskelschwund, weil sich Geiger nicht mehr gut bewegen konnte, auch Mangelernährung trat auf. Seelisch tat die Zystenleber dann auch weh, gesteht Geiger ein. „Als mich die ersten drauf angesprochen haben, ob sich schwanger bin, ist mir bewusst geworden: Ich bin ja krank und die anderen sehen das jetzt auch.“ Bis dahin habe sie den Bauch noch ganz gut unter Kleidung kaschieren könne. „Da ist für mich dann schon eine Welt zusammengebrochen.“

Erfolgreich operiert

Geiger ließ sich im Vorjahr auf die Transplantationsliste setzen. Zwei Spenderorgane waren nicht geeignet, das dritte passte. Am 23. August 2018 wurde sie von Schemmer und seiner Kollegein Daniela Kniepeiss in Graz operiert. Nach vier Stunden im OP-Saal und einigen Wochen in der Klinik wurde die Steirerin entlassen auf einen Schlag um 40 Kilogramm leichter und gesund.

Geiger strahlt am Donnerstag in Fernsehkameras und erzählt ihre Geschichte: „Ich bin ein positiver Mensch. Sicher, ich muss jeden Tag Medikamente schlucken. Aber das ist das kleinere Übel.“ Seit Mitte Februar habe sie auch wieder einen Job. „Für mich beginnt langsam wieder die Normalität.“ 39 Lebertransplantationen wurden im Vorjahr im Grazer Klinikum durchgeführt.

Kommentare