"Die Welt bleibt nicht stehen"

Zuhören und ernst genommen werden – das wünschen sich Krebspatientinnen von ihren Kontaktpersonen, medizinisch und privat
Eine Betroffene und ein Psychoonkologe berichten über den Umgang mit der Krankheit.

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"Sie haben Krebs? Wo denn?" – "Das muss ja nicht das a-b-s-o-l-u-t-e Ende bedeuten!" – Oder: "Du bist selbst schuld an deinem Krebs."

Das sind nur einige Beispiele aus ihrer persönlichen "Hitliste der dümmsten Sprüche", die die deutsche Journalisitn Sonja Funke zu hören bekam, als vor zwei Jahren bei ihr völlig überraschend Brustkrebs diagnostiziert wurde. Operation, Chemo- und Strahlentherapie folgten. Ihre Erfahrungen hat sie im soeben erschienenen Buch "Fische gegen Krebs" (Herder, 20,60 €) verarbeitet.

Bildergalerie: Die dümmsten Sprüche bei Krebs

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Darin schildert sie schonungslos, aber auch mit Witz und Sarkasmus, wie es ihr erging – und was half. Ihre "Hitliste" zählt da dazu, "weil ich mit ihr gelernt habe, Distanz zu gewinnen und Komik in Situationen zu erkennen, die eigentlich unangenehm oder verletzend waren."

Die Bedeutung der richtigen Worte zur richtigen Zeit – das ist ein wesentlicher Aspekt im Umgang mit Krebspatienten, betont der Wiener Internist und Psychoonkologe Günther Linemayr. Dabei gehe es nicht darum, positiv zu denken. "Positives Denken ist ein heikles Thema. Wenn ich jemanden in einer aussichtslosen oder sehr schmerzhaften Situation ermuntere, positiv zu denken, ist das eine Verhöhnung."

Ängste, Wünsche und Hoffnungen in einem offenen Gesprächsklima deponieren zu können, sei aber aus seiner Erfahrung wesentlich für die Patienten. "Doch die Informationen müssen ehrlich und offen weitergegeben werden. Wenn ein Patient zu einer Therapie ,Ja‘ sagen kann, hat das positive Auswirkungen auf die Lebensqualität, aber auch auf den Krankheitsverlauf."

Gut aufgehoben

Für Sonja Funke zählte besonders, sich in jeder Situation "gut aufgehoben" zu fühlen – bei Ärzten und in ihrem persönlichen Umfeld. "Ich hatte das große Glück, dass meine Schwester mich zu Arzt-Terminen begleitet hat. Denn häufig habe ich zwar gehört, was die Ärzte gesagt haben, hatte es aber oft genug schon vor der Tür wieder komplett vergessen."

"Die Welt bleibt nicht stehen"
Buch, Sonja Funke, Fische gegen Krebs
"Die Welt bleibt nicht stehen"
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Und man sollte Hilfe ohne Scheu annehmen, wenn sie sich einem bietet. Das war zum Beispiel einmal ein ganz banaler Turnschuh-Kauf, nachdem sie ihre Kollegen über ihre Erkrankung informiert hatte. "Dieser Schuhkauf ist mir noch immer in Erinnerung, weil in dem Augenblick wirklich nichts wichtiger war, als die Frage: Passt dieser Schuh oder drückt er?" Derartige "kleine Auszeiten" haben ihr gezeigt, "dass die Welt nicht stehen bleibt". In Extremsituationen lerne man zudem viel über sich selbst: "Auch wenn alles in die falsche Richtung läuft, bist du der Situation doch nie ganz ausgeliefert. Denn du kannst dich immer entscheiden, welche innere Haltung du dazu einnehmen willst."

Gesellschaft

Seit 1984 setzt sich die Österreichische Gesellschaft für Psychoonkologie (ÖGPO) dafür ein, bei Krebs gleichzeitig Körper und Seele zu betreuen. Ziel ist es, die Lebensqualität zu erhalten und persönliche Ressourcen zu fördern. Es werden Ausbildungen für medizinisch Tätige angeboten.

Patienten

Jeder Patient braucht etwas anderes, etwa Einzel- oder Gruppengespräche. Dazu kommen bei Bedarf Krisenintervention oder Psychotherapie. Infos unter: www.oegpo.at, 02235/47230

Brustkrebspatientinnen haben spezifische Bedürfnisse, die in der Therapie berücksichtigt werden sollen. Der Internist und Psychoonkologe Günther Linemayr nennt das "Beziehungsmedizin".

KURIER: Warum sollte psychoonkologische Betreuung in jede Behandlung einfließen?

Linemayr: Psychoonkologen beschäftigen sich mit allen psychischen und sozialen Aspekten einer Krebserkrankung. Es geht um Betroffene, aber auch um Angehörige und Betreuer. In der Gesellschaft für Psychoonkologie setzen wir uns dafür ein, eine psychoonkologische Haltung – also eine ganzheitliche Sicht der Patienten – zu implementieren.

Was bringt das Patienten?

Im Idealfall entwickelt sich durch Kontinuität und gute Kommunikation eine vertrauensvolle Beziehung. Dafür muss man aber miteinander kommunizieren. Leider bleibt dafür immer weniger Zeit. Ich hatte Patienten, die durch Kommunikationsdefizite ihren Lebensmut fast verloren haben. Es hat positive Auswirkungen auf die Lebensqualität und sogar auf den Krankheitsverlauf, wenn die Arzt-Patienten-Beziehung passt. Ein Beispiel für hilfreiche Kommunikation sind etwa die Kontrollen nach einer überstandenen Brustkrebserkrankung. Sie sind angstbesetzt und hängen meist wie ein Damoklesschwert über den Frauen. Wenn wir vermitteln, dass die Kontrollen der persönlichen Sicherheit dienen, nimmt das viel Druck heraus.

Psychoonkologie ist häufig negativ besetzt. Nach dem Motto "Jetzt soll ich auch noch in eine Psychotherapie".

Wichtig ist einmal die genaue und verständliche Information über alle Möglichkeiten. Wichtig sind individuelle Angebote. Manchmal reicht ein einziges Gespräch. Wenn sich jemand mit der Krankheitsverarbeitung schwer tut, kann man auch psychotherapeutische Begleitung in Anspruch nehmen. Das gilt ebenso für die Angehörigen, denen die Diagnose oft sehr zu schaffen macht. Besonders bei Brustkrebs ist das typisch: Die Betroffenen tragen nicht nur die Belastung der eigenen Erkrankung, sie müssen auch noch ihre Angehörigen stützen. Da gilt es, für alle Möglichkeiten der Stressreduktion aufzuzeigen. Wir wissen heute, dass chronischer Stress krank macht und eine Stressreduktion sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken kann.

Was brauchen Krebspatientinnen außerdem?

Oft ist das Körperbild durcheinander geraten. Die Bedeutung des äußeren Erscheinungsbilds für den Heilungsprozess darf man nicht außer Acht lassen. Das wird heute weniger tabuisiert und Kurse mit Tipps über das modische Binden von Tüchern oder Infos über Perücken gibt es immer mehr.

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