"Deutsch lernen ist da kaum möglich"

Zweites Kindergartenjahr: Ja oder Nein?
Pädagogen und Experten sind sich einig: Ein zweites verpflichtendes Jahr bringt derzeit wenig.

Ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr? Über die Forderung kann die Kindergärtnerin Melanie S. nur schmunzeln: "Wir bekommen ja nicht einmal das eine verpflichtende Jahr so ordentlich hin, dass es den Kleinen etwas bringt."

Melanie S.* möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Über ihre Erfahrungen in einem Wiener Kindergarten will sie sehr wohl berichten: "In meiner Gruppe sind 25 Kinder. Außer mir gibt es eine Assistentin, die unter anderem dafür zuständig ist, das Essen zuzubereiten." Keines der Kinder spreche Deutsch: "Wir haben traumatisierte syrische Kinder, andere kommen aus Tschetschenien, Serbien, Ägypten. Für eine Pädagogin allein ist es schwierig, die Kleinen so zu fördern, dass sie am Ende die deutsche Sprache beherrschen. Da viele Assistentinnen selbst schlechte Sprachkenntnisse haben, ist es für die Kinder auch kaum möglich, gut Deutsch zu lernen."

Dass die Geschichte von Melanie S. kein Einzelfall ist, weiß Heidemarie Lex-Nalis von der Plattform Educare. "In den Wiener Kindergärten wurde zwar mehr Personal, eingestellt , doch nicht immer sind nur ausgebildete Pädagogen in den Gruppen. Das hängt vom jeweiligen Träger ab ", kritisiert die Ex- Direktorin einer BAKIP (Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik). Für Lex-Nalis ist deshalb klar: "Ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, das genau so schlecht ist wie das erste, bringt nichts." Damit dieses zum Erfolg wird, sei ein Qualitätsschub erforderlich: "Das fängt mir der Ausbildung an, die endlich auf der Hochschule stattfinden muss. Derzeit beginnt die Bildung mit 14 – da sind die Schülerinnen einfach zu jung, um pädagogische Hintergründe zu verstehen." Zudem arbeitet nur ein Bruchteil der BAKIP-Absolventen später im erlernten Beruf. Schon lange mahnt Lex-Nalis international üblich Qualitätsstandards für die Kindergärten ein: "Die Gruppen müssen kleiner werden und je Gruppe sind mindestens zwei ausgebildete Pädagoginnen nötig. In Standorte, wo sich soziale Probleme häufen, muss endlich mehr investiert werden – das rechnet sich langfristig."

Sobald Qualitätsstandards definiert seien, müssten sie kontrolliert werden: "Leider ist noch nicht klar, was genau in Kindergärten vermittelt werden soll und wer die Qualität überwacht."

Gesetz statt Pädagogik

Auch bürokratische Auflagen machen den Pädagogen das Leben schwer: "Eltern dürfen kein selbst gemachtes Essen mehr in die Einrichtungen bringen, was die Arbeit mit ihnen erschwert. Lokale Speisen wären ein guter Anknüpfungspunkt, um mit Eltern ins Gespräch zu kommen", sagt Melanie S. Und sie nennt ein weiteres Beispiel: "Bisher teilten Tücher die Räume, damit gemütliche Ecken entstehen. Doch plötzlich mussten diese Stoffe aus Brandschutzgründen weg. Jetzt wirken die Kindergärten kalt wie Bahnhofshallen."

*Name geändert

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