Darf Religion die Lebensrettung verbieten?

Darf Religion die Lebensrettung verbieten?
Der neue Film "Kindeswohl" wirft eine Frage auf: Wie weit kann Religionsfreiheit gehen?
Von Uwe Mauch

Der aktuelle Film „ Kindeswohl“ (mit Emma Thompson als Familienrichterin in der Hauptrolle) stellt die Frage, ob ein Vater, eine Mutter, eine Richterin oder ein Arzt einem Kind eine lebensrettende Bluttransfusion verweigern darf. Ist die Religionsfreiheit ein höheres Gut als die Menschenrechte der Kinder?

Auch das neue Buch von Oliver Wolschke, der sich nach 25 Jahren endgültig von den Zeugen Jehovas abgewandt hat, wirft zahlreiche ethische, rechtliche und medizinische Fragen auf (siehe unten).

„Aus Gehorsam“

Im Film und im Buch geht es unter anderem um einen Glaubensgrundsatz der Zeugen Jehovas. Diesen erläutert Wolfram , Sprecher der in Österreich anerkannten Glaubensgemeinschaft: „Wir lehnen Transfusionen von Vollblut und den Blutkomponenten Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten und Blutplasma ab.“

Mit folgender theologischen Begründung: „Aus Gehorsam gegenüber Gott und aus Respekt vor ihm als Lebengeber. Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament wird klar geboten, sich von Blut zu enthalten.“

Slupina beruft sich für diese Sichtweise auf die Bibel, unter anderem auf das 1. Buch Mose, Kapitel 9, Vers 4: „Nur Fleisch mit seiner Seele – seinem Blut – sollt ihr nicht essen.“ Oder auf die Apostelgeschichte, Kapitel 15, Vers 29. Dort wird gefordert, sich „von Dingen zu enthalten, die Götzen geopfert wurden, sowie von Blut und von Erwürgtem und von Hurerei“.

Auf die Frage, ob Zeugen Jehovas im Notfall tatsächlich eine lebensrettende Operation ablehnen, antwortet Wolfram Slupina, dass es heute „zahlreiche medizinische Transfusionsalternativen“ gibt und dass diese auch akzeptiert werden.

Darf Religion die Lebensrettung verbieten?

Leben oder Tod? Emma Thompson muss – filmreif – entscheiden

Gibt es zahlreiche Alternativen? Dazu erklärt Gerda Leitner, die interimistische Leiterin der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin im Wiener AKH: „Es gibt in der Tat Alternativen, und wir Ärzte bemühen uns immer, alle anderen Optionen auszuschöpfen.“ Doch es gibt Notfälle und chronische Krankheiten, da kommen Ärzte um eine Bluttransfusion nicht herum. Laut der internen Aufzeichnungen der Serologin Leitner erhalten pro Jahr rund 5600 Patienten eine Transfusion mit Blut aus einer Blutkonserve.

Das Wohl des Kindes

Und wie müssen Ärzte verfahren, wenn Eltern eine lebensrettende Operation ihres Kindes ablehnen? Können sie sich auf ihren Eid und das Wohl des Kindes berufen? Oder müssen sie den Wunsch der Eltern erfüllen?

Die Antwort der Juristin, Bioethikerin und Vorsitzenden der Österreichischen Bio-Ethik-Kommission, Christiane Druml, ist komplizierter, als die Frage vermuten lässt. Zunächst ist der Zeitpunkt entscheidend: „Im Notfall, nach einem Autounfall etwa, wenn es um Leben oder Tod geht, muss der Arzt unverzüglich behandeln. Da ist nicht ausreichend Zeit, um für jede medizinische Maßnahme die Einwilligung des Patienten bzw. einer Vertretungsperson zu erlangen.“

Und da sind nicht alle Kinder gleich: Kinder von sieben bis 14 Jahre gelten in Österreich als unmündige Minderjährige, für die die Eltern zu entscheiden haben. Druml betont: „Es gibt eine zu achtende Autonomie der Eltern in ihrer Rolle als Erzieher, jedoch darf das Kindeswohl nicht verletzt werden.“

Zwischen 14 und der Volljährigkeit mit dem 18. Lebensjahr gelten Kinder vor dem Gesetz als mündige Minderjährige. Hier ist zu prüfen, inwieweit ein junger Patient in der Lage ist, ohne Druck von seinen Eltern und/oder einer Glaubensgemeinschaft sowie in Kenntnis der Rechtslage und den konkreten Konsequenzen eine Entscheidung zu treffen. Kann er das, muss seine Ablehnung berücksichtigt werden. Ärzte können in dieser Situation – wie im Film – letztlich ein Gericht mit dem Fall befassen.

Auf die Frage, was passiert, wenn sich ein Zeuge Jehovas gegen Gott entscheidet, sagt Sprecher Slupina: „Dann bekommt er eben eine Bluttransfusion, wovon die Religionsgemeinschaft wahrscheinlich nie etwas erfährt.“

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