Star-Pianist Buchbinder: "Talent ist ein Geschenk, man braucht aber auch Disziplin"
Warum es nicht reicht, ein Genie zu sein, und was das Geheimnis ihrer glücklichen Ehe ausmacht, erzählen Star-Pianist Rudolf Buchbinder und seine Frau Agnes.
Ein heiteres Gespräch mit einem gut „eingespielten“ Paar.
KURIER: Herr Buchbinder, Sie konnten schon mit drei Jahren Stücke nachklimpern, die sie im Radio hörten und wurden weltberühmt. Eigentlich sind Sie nicht nur ein Wunder-, sondern auch ein „Glückskind“, oder?
Rudolf Buchbinder: Glückskind ist etwas übertrieben. Auch Wunderkind empfinde ich als schwieriges Wort. Ich habe zeit meines Lebens gerne Klavier gespielt – schon als Kleinkind, auch in meiner Pubertät, wo ich nicht ausgeflippt bin. Mit fünf habe ich die Aufnahmeprüfung in der Musikhochschule gemacht, als ich noch nicht Noten lesen konnte. Ich habe gespielt: „Ich möcht gern dein Herzklopfen hör’n“ – aber selbst zusammengebastelt. Daraufhin wurde ich aufgenommen.
Wieso wurde Bundeskanzler Julias Raab dann später Ihr Firmpate?
Rudolf: Mein erstes großes Konzert im Musikverein war eine Veranstaltung der Caritas, daher saß der Bundeskanzler oben in der Loge. Er lud mich ins Kanzleramt ein, wo ich mit meinem Onkel erschien. Der Kanzler schob mir über den Riesentisch hinweg eine Silbermünze zu. Das war eine große Sache für mich.
Sie kamen nicht aus begütertem Haus, Ihr Vater starb vor Ihrer Geburt.
Rudolf: Ich bin ein armes Nachkriegskind. Er bot an, mein Firmpate zu werden, und fragte nach einem großen Wunsch. Natürlich träumte ich von einem eigenen Klavier, hatte daheim nur ein Mietklavier mit dieser schweren „Wiener Mechanik“, was mir noch heute zugutekommt. Das hat meine Finger stark gemacht. Ich begann schon zu reisen und hatte Probleme mit der Schule. Daher wäre ein Privatlehrer gut, um nur zu den Prüfungen anreisen zu müssen. Der Kanzler fragte dann bei Unterrichtsminister Drimmel nach, der nur meinte: „Der Lausbua soll in die Schule gehen.“ Daraufhin zahlte Raab den Privatlehrer aus eigener Tasche. Einmal schickte er mir sogar eine Postkarte von einem Staatsbesuch in Amerika. Und noch eine lustige Anekdote: Im Religionsunterricht saß ich immer Händchen haltend mit einem Mädchen in der letzten Reihe, was dem Religionslehrer nicht gefiel. Er mochte mich nicht.
Es war aber nicht Agnes?
Agnes Buchbinder: Nein, sonst hätte er das nicht dürfen!
Rudolf: Bei der Firmung war mein Religionslehrer dann einer der Helfer des Kardinals. Als er sah, dass der Julius Raab als mein Firmpate die Hand auf meine Schulter legte, ist ihm, glaube ich, fast sein Gebiss rausgefallen.
Sie beide haben sich sehr jung kennengelernt, waren fast noch Kinder – durch den Klavierunterricht. Warum haben Sie das Klavierspiel aufgegeben, Frau Buchbinder? Ihr zukünftiger Mann hätte gerne vierhändig mit Ihnen gespielt.
Agnes: Ja, das wollte er. Aber ich wollte eine glückliche, gesunde Partnerschaft behalten (beide lachen). Und ich dachte mir, einer von der Sorte ist genug in der Familie. Aber ich lebe nach wie vor mit der Musik. Er hat mich von Anfang an in all seine Pläne miteinbezogen.
Spielen Sie noch privat?
Agnes: Nein. Anfangs schon. Da habe ich oft stundenlang an einer schwierigen Stelle geübt, bis ich sie konnte. Und dann kommt er nach Hause und spielt dieselbe Stelle auswendig besser als ich nach Stunden. Danach habe ich gefunden: Jeder soll das tun, was er besser kann.
Was ist das Geheimnis Ihrer glücklichen Ehe?
Rudolf: Ich red’ ihr nicht drein beim Kochen. Sie kocht, ich esse (lacht).
Agnes: Nur kochen tu’ ich natürlich auch nicht. Das ist nur mein Ruf.
Sie gelten als beste Köchin Wiens.
Agnes: Das bin ich sicher nicht. Ich habe nie kochen gelernt. Durch die vielen Reisen hat sich unser Geschmack entwickelt. Ich experimentiere – das ist nichts anderes als ein dilettantischer Versuch. Ich verwöhne gerne Freunde.
Ihr Mann hat einmal gemeint, Sie hätten sich für ihn „aufgeopfert“. Empfinden Sie das auch so?
Agnes: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Er hat mich immer ermutigt. Wir hätten sogar einen Platten-Vertrag für vierhändige Aufnahmen gehabt. Aber man muss seine Grenzen kennen. Ich hatte nicht annähernd seine Qualität im Spiel.
Wie ist es, mit einem Genie verheiratet zu sein?
Agnes: Die Gabe hat er vom lieben Gott bekommen, aber genial damit umzugehen, das ist die Schwierigkeit. Es steckt wahnsinnig viel Arbeit dahinter!
Rudolf: Mit Talent geboren zu werden, ist ein unglaubliches Geschenk. Aber man braucht auch sehr viel Disziplin, sonst hat man in dieser Branche keine Chance.
Wie viel üben Sie?
Rudolf: Ich war nie der Typ, der sechs Stunden am Tag übt. Aber wenn ich eine oder zwei Stunden übe, dann tue ich das so konzentriert wie bei einem Konzert. Ich bin danach vollkommen erschöpft. Daher spiele ich jetzt in meinem Alter wahrscheinlich besser als vor zehn Jahren. Heute fällt mir vieles leichter.
Agnes und Rudolf Buchbinder zu Gast im "Salon Salomon"
Sie spielen stets ohne Noten. Wie kann man sich so viele Stücke merken?
Rudolf: Erstens ist das Hirn unbegrenzt belastbar. Zweitens muss das Stück in einen hineinwachsen, in den gesamten Körper. Das ist ein eigenes Gedächtnis, das ich habe. Namen merke ich mir zum Beispiel nicht, Telefonnummern hingegen schon. Zwischen Zahlen und Musik gibt es vielleicht irgendeine Art von Verwandtschaft.
Sie sind Beethoven-Spezialist und wurden damit berühmt, den Satz seiner 32 Sonaten vollständig innerhalb kurzer Zeit aufzuführen. Was fasziniert Sie daran?
Rudolf: Bei keinem Komponisten gibt es so ein gesamthaftes Oeuvre, das ihn ein Leben lang begleitete. Sie werden bei jeder Sonate seinen Gemütszustand bemerken – ob er verliebt oder traurig war, manchmal auch mit sehr viel Humor.
Ihr Zweitwohnsitz ist das Flugzeug, stand einmal in einem Artikel. Wie halten Sie das beide aus?
Agnes: Wunderbar! Dort geht das Telefon nicht, er muss Ruhe geben und wir können reden.
Rudolf: Wir entspannen uns im Flugzeug. Ich muss noch erzählen, wie ich um ihre Hand angehalten habe.
Agnes: Aber nicht, dass du jetzt peinlich wirst!
Rudolf: Ihr Vater schaut mich an, nimmt meine Hand und sagt: „Warum soll es dir besser gehen, als mir.“ Damit ist eine wirklich große Liebe entstanden. Er hat mich geliebt wie einen eigenen Sohn.
Sie sind Intendant von Grafenegg. Was ist das Besondere an diesem Festival?
Rudolf: Es ist das gesamte Ambiente mit dem Park: Unser Foyer ist der Garten! Man kann dazwischen auch immer ein Schluckerl Wein trinken. Natürlich nicht ich vor dem Konzert. Immerhin war schon im ersten Jahr Zubin Mehta da, und Renée Fleming hat gesungen.
Rudolf: Ich darf mich über eine gute Kritik nicht zu sehr freuen, weil dann müsste ich mich über eine schlechte ärgern. In meinem Beruf hat man nicht nur Freunde. Aber wenn man versucht, es allen recht zu machen, ist man Mittelmaß. Man muss anecken können.
Wie verändert das Vielreisen den Blick auf die Heimat?
Rudolf: Je mehr wir reisen, desto dankbarer sind wir, in Wien leben zu dürfen.
Sie gelten als Autonarr. Was ist Ihr Lieblingsauto?
Rudolf: Ich habe einen Bentley, Baujahr 1962, der vorher Nadja Tiller gehörte.
Was halten Sie von Sanktionen gegen russische Künstler?
Rudolf: Mir tun die vielen Künstler leid, die sanktioniert sind, obwohl sie keine „Putin-Künstler“ sind, sondern einfach Russen, das ist doch auch unsere Kultur.
Wie feiern Sie Weihnachten?
Agnes: Mit Familie und Freunden, die sonst vielleicht einsam wären. Ich werde alle zu bekochen versuchen. Und wir singen gemeinsam.
Ausnahmekünstler Rudolf Buchbinder ist künstlerischer Leiter des Musikfestivals in Grafenegg und auf allen Konzertbühnen der Welt daheim. Er hat sich speziell Beethoven gewidmet und 2014 sämtliche Klaviersonaten innerhalb des Salzburger Festspiel-Sommers gespielt. Er galt als Wunderkind, konnte nach Gehör Stücke nachspielen und wurde schon mit fünf Jahren in die Musikhochschule aufgenommen
Seine Frau Agnes (von allen Agi genannt) kennt er seit Jugendtagen. Sie gab ihre eigene Pianistenkarriere auf und begleitet ihn, seit die gemeinsamen Kinder erwachsen sind, auf den Konzerttouren. Die gebürtige Ungarin ist begeisterte Köchin und pflegt den großen und teils berühmten Freundeskreis des Paares
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